Von Irmela Hennig
Görlitz. „Ich will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Wenn Dr. Tobias Dornheim leicht verständlich erklären soll, was er macht, dann zitiert er Johann Wolfgang von Goethe. Oder besser, dessen wohl bekannteste literarische Figur – den Dr. Faust. Dieser begründet zu Beginn der gleichnamigen „Tragödie erster Teil“ mit dem eingangs zitierten Satz sein ständiges Streben nach Wissen und Erkenntnis.
Beides ist auch das, was den promovierten Physiker Tobias Dornheim antreibt. „Lust am Forschen“, sagt er. Und meint ausdrücklich auch die Grundlagenforschung.
Dornheim, 34 Jahre alt, findet sie wichtig und legitim. Die Ergebnisse seiner Arbeit können aber auch helfen, den Antworten auf große praktische Fragen näher zu kommen. Der Frage nach umweltfreundlicher und zuverlässiger Energieversorgung durch Fusions-Kraftwerke zum Beispiel. Oder der nach neuen Materialien, die sich unter extremen Bedingungen formen. Gemeint sind unter anderem Nanodiamanten, sehr viel kleiner als ihr bekanntes Pendant für Schmuck und Bohrgeräte. Die Winzlinge könnten in der Medizin zum Einsatz kommen. Die Extremzustände, die Tobias Dornheim und sein Team von der Forschungseinrichtung CASUS Görlitz beschäftigen – enorm hoher Druck, hohe Dichte und Temperaturen – sind auf der Erde sehr selten. „Im Universum kommen sie aber häufig vor“, so Tobias Dornheim. Sie herrschen unter anderem im Inneren von Riesenplaneten wie dem Jupiter. Bei uns auf der Erde entstehen sie für einen Moment, wenn ein Meteor auf unserem Planeten einschlägt. Oder sie lassen sich für kurze Zeit im Experiment erzeugen. Wissenschaftler nutzen dafür beispielsweise Laser. Da setzt eine auf Röntgenstrahlen basierende Methode an, welche die siebenköpfige Gruppe, die Tobias Dornheim leitet, entwickelt hat. Mit deren Hilfe können Forschende die nur für Bruchteile von Sekundenbruchteilen erzeugten extremen Materialzuständen analysieren.
Forschungspreis erinnert an Stanislaw Lem
Für diese Methode – die wichtige Erkenntnisse zum Beispiel für die Entwicklung der Laserfusion liefert – wurde Tobias Dornheim nun der Europäische Forschungspreis der Technischen Universität Wrocław (Breslau) verliehen. Benannt ist die Auszeichnung nach dem polnischen Philosophen und Schriftsteller Stanislaw Lem (1921 bis 2006). Der hatte ab den 1940er-Jahren Romane und Erzählungen geschrieben, die sich mit außerirdischem Leben, Raumfahrt und dem Universum befassen. Der Pole, der sich auch mit Themen wie Nanotechnologie und virtueller Realität beschäftigte, erhielt 1981 die Ehrendoktorwürde der Breslauer Uni. Anlässlich seines 100. Geburtstags etablierte die Hochschule den Lem-Preis. Er geht seit 2021 an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis zu einem Alter von 40 Jahren, die in der Europäischen Union forschen. Dotiert ist er mit 100.000 Zloty, umgerechnet etwa 23.000 Euro. Dr. Tobias Dornheim ist der vierte Preisträger. Er, der selbst Bücher von Lem gelesen hat, empfindet die Ehrung als große Auszeichnung. Und als Möglichkeit, um positiv auf das zu blicken, was Wissenschaft, und zumindest auch teilweise Science-Fiction-Literatur, leisten kann. „Wir schauen optimistisch und selbstbewusst in die Zukunft, um neue Lösungen zu entwickeln, die uns als Menschheit in der Zukunft helfen können“, so Dornheim
Übergeben wird der Preis erst im November 2025. Dann wird Tobias Dornheim nach Wrocław fahren und dort einen Vortrag über seine Arbeit halten – möglichst allgemein verständlich. Das ist bei dem Thema, mit dem sich der Wissenschaftler beschäftigt, nicht so einfach. Um es wirklich zu verstehen, braucht es mehr als das, was der Schul-Physikunterricht vermittelt. Doch bei Tobias Dornheim war gerade der ausschlaggebend für den späteren Berufsweg. Der gebürtige Norddeutsche kam dabei mit Quantenmechanik in Berührung. Wählte Physik als Leistungskurs am Gymnasium. Studierte und promovierte danach an der Universität in Kiel. Durch einen persönlichen Kontakt wurde er aufmerksam auf das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das 1992 gegründete Zentrum leistet Forschungsarbeit in den Bereichen Materie, Energie und Gesundheit. Seit 2019 wird mit CASUS ein neuartiges Forschungszentrum in Görlitz aufgebaut, das mittlerweile als Institut dem HZDR angehört. Die fünf Buchstaben stehen für Center for Advanced Systems Understanding, übertragen ins Deutsche geht es um datenintensive Systemforschung über einzelne Disziplinen hinweg. Tobias Dornheim wurde erster wissenschaftlicher CASUS-Mitarbeiter. Inzwischen leitet er eine Nachwuchsgruppe mit derzeitigem Domizil im Herzen der Görlitzer Altstadt. Tobias Dornheim ist dankbar für die Freiheiten und die Entfaltungsmöglichkeiten, die er beim CASUS hat. „Einen Glücksfall“ nennt er das.
Dass sein Fachgebiet nicht als Gesprächsthema für Familienfeiern taugt, ist Tobias Dornheim bewusst. Schon eher sind es die Dienstreisen, die den Physiker unter anderem ins US-amerikanische Kalifornien führen. Dort befinden sich Versuchsanlagen, wo man auf die in Görlitz entwickelte Technologie schon zurückgreift. Auch in der European-XFEL-Anlage im schleswig-holsteinischen Schenefeld nutzt man sie. Für ihre Experimente reisen die Experten von Görlitz aus in die Welt. Für alle theoretischen Arbeiten sei die Neißestadt ein guter Standort, findet Tobias Dornheim.