Ihr Büro muss Jutta Matreux erst noch einrichten. Bisher lebt sie mit den dunklen Holzmöbeln ihres Vorgängers Gerd Kunkel. Künftig soll das Ambiente aber etwas funktionaler ausfallen, eine Videoleinwand für Konferenzen kann sich die 53-Jährige beispielsweise gut vorstellen. Doch vorerst gibt es wichtigere Aufgaben.
Jutta Matreux muss Mitarbeiter kennenlernen, sich mit den Strukturen im 130 Hektar großen Chemiewerk vertraut machen, eigene Ideen entwickeln. Seit Februar ist die gebürtige Unterfränkin die neue Leiterin des Wacker-Werkes am Standort in Nünchritz. Schon Anfang des Jahres ist sie deshalb an die Elbe gezogen – und hat dort auch gleich die ersten Besonderheiten entdeckt.
„In Nünchritz merkt man, dass hier in den vergangen 20 Jahren ein moderner Standort gestaltet wurde“, sagt Jutta Matreux. „Die Mitarbeiter sind mir sofort durch ihre klare und direkte Art aufgefallen. Wir haben hier vor Ort sehr viele Menschen, die offen über die Themen sprechen und ihr Wissen innerhalb des Unternehmens teilen.“
Jutta Matreux ist in der Branche längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Bereits seit 1994 arbeitet die studierte Chemikerin bei Wacker. Damals sammelte sie erste Erfahrungen als Assistentin im Bereich Klebrohstoffe, danach übernahm Matreux Schritt für Schritt mehr Verantwortung. Zuletzt war die 53-Jährige in leitender Funktion im Bereich Corporate Services tätig, der beispielsweise die Produktsicherheit und die globale Nachhaltigkeitskoordination des Unternehmens verantwortet.
„Ich habe schon immer davon geträumt, bei Wacker zu arbeiten“, sagt Jutta Matreux. Dass dieser Traum eines Tages bis an die Spitze eines Chemiewerkes reichen würde, ahnte die Unterfränkin aber nicht. „Ich habe nicht nach der Stelle als Werkleiterin gestrebt. Eher habe ich immer das gemacht, was mich ausfüllt“, so Matreux. „Ich will gestalten und Verantwortung tragen. Und mittlerweile merke ich, dass es für mich keinen schöneren Job geben könnte.“ Folglich ging im September 2018, als sich der Rückzug von Gerd Kunkel intern andeutete, alles ganz zügig. Nachdem Wacker Jutta Matreux den Job als Werkleiterin in Nünchritz angeboten hatte, habe sie nur eine Nacht darüber geschlafen und das Thema mit ihrem Sohn besprochen, da der gerade in Burghausen Abitur macht. Dann gab Jutta Matreux ihre Zusage. „Wenn etwas passt, bin ich ganz schnell.“
Standort soll weiter wachsen
Momentan steht für die neue Werkleiterin vor allem Einarbeitung auf dem Programm. Auch mit einigen örtlichen Gegebenheiten wie dem Landesrecht will sie sich noch intensiver vertraut machen. Doch mit einem Auge blickt Jutta Matreux bereits in die Zukunft. „Ich stehe für die Relevanz des Standortes Nünchritz im Gesamtverbund von Wacker“, sagt die 53-Jährige. „Ich will, dass wir in Nünchritz weiter wachsen.“ Was genau sich unter ihrer Leitung an der Elbe verändern soll, kann die Unterfränkin aber noch nicht sagen. „Noch muss ich mich orientieren und Eindrücke sammeln. Aber es entwickeln sich erste Ideen hinsichtlich Digitalisierung und Nachhaltigkeit.“
Besonders zu einem Thema, das sie in den vergangenen Wochen häufiger zu hören bekam, hat sie aber schon eine klare Vision: „Mein Ziel ist es, noch mehr jungen Frauen Lust auf die Arbeit im Werk zu machen“, sagt Jutta Matreux. „In Nünchritz hat es mich besonders erfreut, dass hier schon einige Frauen an den Anlagen unterwegs sind.“ Dennoch bekomme sie zuletzt immer wieder die Frage gestellt, wie es sich anfühle, Chefin in einer von Männern dominierten Branche zu sein. „In meinem Berufsleben habe ich noch nie Vorbehalte gegen meine Person gespürt, nur weil ich eine Frau bin“, so Matreux. „Natürlich fällt es auf, wenn man als einzige Frau zwischen unzähligen Männern sitzt. Es macht sichtbar. Aber ich für meinen Teil habe diese Aufmerksamkeit eher genutzt.“
Nutzen will Jutta Matreux auch ihren Urlaub im Sommer – dann soll ihr Büro umgestaltet werden. Aber erst müssen die wichtigsten Aufgaben erledigt sein.
Von Kevin Schwarzbach
Foto: © Sebastian Schultz