Von Luisa Zenker
Während sich am frühen Mittwochmorgen die Traktoren in Löbau, Oschatz und Bautzen auf den Weg zur Großdemonstration machen, fährt der Dresdner Koch Jens Dzurny seinen Laptop hoch. Er sitzt an einem Holztisch im italienischen Restaurant Aposto mitten in der Dresdner Altstadt. Um ihn herum klirrt und dampft es. Seine Mitarbeiter bereiten sich auf die Mittagsgäste vor.
Restaurantleiter Jens Dzurny lässt sich davon nicht ablenken. Vor ihm liegt eine Speisekarte, sie ist nigelnagelneu. Bilder von Pizzastücken mit Rucola, Oliven, Tomaten schmücken einen Großteil des Menüs, verstecken beinahe die Preise der Speisen: Pizza Margherita, 10 Euro. Jens Dzurny schaut auf den Tisch. Vor einem Monat kostete die Pizza noch 9,50 Euro. Für ein Schnitzel müssen seine Gäste jetzt mehr als 16 Euro bezahlen, 2021 waren es rund 12 Euro, erklärt der Koch, der außerdem die deutsche Gaststätte Wilma Wunder am Altmarkt leitet.
Der Koch holt tief Luft, schaut wieder in seinen Laptop und öffnet zwei Rechnungen. Die eine stammt von 2022, eine zehn Liter Flasche Rapsöl hat zu dem Zeitpunkt noch 13 Euro gekostet. Jetzt liegt der Preis bei 33 Euro. Auch für Tomatensoße muss er jetzt 3.000 Euro zusätzlich zahlen, um die 60.000 Pizzen pro Jahr auszuliefern, erklärt der Mann in schwarzem Pullover und gelben Schuhen. Nach und nach redet er sich in Rage. Er blickt zu seinen Mitarbeitern, die Gläser polieren und Stühle von den Tischen heben. Viele sind im vergangenen Jahr auf ihn zugekommen und haben um einen höheren Lohn gebeten. Die Energiekosten haben sich zwischenzeitlich verdreifacht, begründet der Koch die neuen Preise auf der Speisekarte.
„Ohne Bauern hätten wir nichts anzubieten“
Jens Dzurny zieht sich deshalb seine schwarze Jacke über. Zielstrebig läuft er mit grauer Pudelmütze auf den Theaterplatz zu, er will sich der Bauerndemonstration anschließen. Der Grund für seinen Protest: „Es muss mal wieder rütteln. Ich möchte ein Zeichen für den Mittelstand setzen.“ Er klatscht zwei Kollegen ab, zu dritt ziehen sie in Winterjacken vor die Semperoper, wo der Hotel- und Gaststättenverband eine Gulaschkanone aufgebaut hat. Aus den Töpfen dampft es. Der süße Punsch stammt von Jens Dzurny persönlich. Rund hundert Köche, Kellner, Hotelier protestieren an diesem Mittwoch gemeinsam mit 4.000 Bauern, Handwerkern, Spediteuren und Waldbesitzern. Die Menschenmenge auf dem Platz nimmt das wärmende Getränk bei den eiskalten Temperaturen dankbar an.
„Ohne Bauern hätten wir nichts anzubieten“, erklärt ein Hotelier aus Dresden, er muss brüllen, um die hupenden Traktoren zu übertönen. Er möchte gute regionale Lebensmittel zu fairen Preisen in seiner Gaststätte verkochen, bekräftigt er. „Ich will Steuergleichheit! Warum kann Rewe Salate mit sieben Prozent besteuern und ich servier‘ meinen Salat auf richtigen Tellern und muss 19 Prozent Steuern zahlen“, fragt ein junges Gastropaar aus Königstein. „Eine Kita, die sich das Essen liefern lässt, muss sieben Prozent Steuern zahlen. Eine Kita, die selbst kocht, 19 Prozent“, macht ein weiterer Gastronom auf den bürokratischen Aufwand aufmerksam. Er füllt mit voller Wucht den dampfenden Gulasch auf einen Pappteller. Beinahe schwappt es über. Der Ärger ist auf dem ganzen Platz zu spüren. An zahlreichen Traktoren kleben Banner mit der Aufschrift: „Die Ampel ist kaputt.“

© Foto: SZ/Veit Hengst
Die pinke Sieben wackelt
Auf dem Bierzelt des Gaststättenverbands wackelt eine pinke Sieben aus Pappmasche im Wind. Mehrere Gastronomen haben sich über die Winterjacken rosa T-Shirts gezogen: „7 Prozent auf Speisen müssen bleiben.“ Die Köche spielen damit auf den Wegfall des Steuer-Rabatts für Speisen im Gastgewerbe an.
Um die Corona- und Energiekrise abzufangen, hatte die Bundesregierung die Mehrwertsteuer im Jahr 2020 von 19 auf 7 Prozent gesenkt. In dieser Zeit hat Dzurny aber nicht die Preise auf der Karte reduziert. Warum? Weil er die Löhne seiner Mitarbeiter trotz fehlender Kundschaft zahlen und die gestiegenen Nebenkosten bedienen musste, verteidigt er sich. Seit diesem Jahr ist der Steuer-Rabatt wieder ausgelaufen, die Speisen teurer geworden. Der Koch rechnet nun mit einem stillen Protest seiner Gäste.
„Es werden schon jetzt weniger Getränke bestellt, die Pizza wird sich geteilt.“ Das merkt der Gastronom in der Jahresbilanz. „In der Großstadt geht das noch, aber auf dem Land“, sagt er mit Blick auf das Gastronomen-Paar aus Königstein. Dort sei die Gaststätte ein Treffpunkt, ein Ort, wo noch was los ist. Der Steuer-Rabatt könnte möglicherweise ein Todesstoß für Landlokale sein. Genau deshalb geht er auf die Straße und steht neben den Traktoren. Lauscht den Reden, klatscht ab und zu. Während andere in seinen Reihen Buhrufe brüllen, ist er leise. Umsturzversuche findet er absurd. Auch über Banner der Freien Sachsen kann er nur den Kopf schütteln. Die Partei wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Jens Dzurny grenzt sich klar davon ab. „Wir brauchen die Zuwanderung“, bekräftigt er. 90 Prozent seiner Angestellten haben einen Migrationshintergrund. Ungarn, Brasilien. Und Halle, lacht der aus Sachsen-Anhalt stammende Koch. „Das funktioniert einwandfrei.“