Von Georg Moeritz
Dresden. Bisher waren sie Konkurrenten innerhalb Europas, künftig sollen sie im weltweiten Wettbewerb der Mikrochipbranche zusammenhalten: Spitzenvertreter aus 31 europäischen Regionen haben sich am Mittwoch in Dresden auf ein Positionspapier zur Halbleiter-Industrie geeinigt. Als neues Mitglied der Europäischen Allianz der Halbleiterregionen (Esra) wurde dabei Nord-Portugal aufgenommen. Die Region um die Stadt Porto hat gerade Maschinen aus Dresden bekommen – die beim Mikrochiphersteller Globalfoundries (GF) abgebaut wurden. Dresdens bisher größte Chipfabrik verlor damit eine ganze Abteilung und rund 200 Arbeitsplätze.
In Porto steht eine Fabrik des amerikanisch-koreanischen Konzerns Amkor Technology, die sich um Test und Verpackung von Mikrochips aus anderen Fabriken kümmert. GF in Dresden hat diese Aufgabe nach Porto verlagert und nutzt künftig 2.000 Quadratmeter in der Amkor-Fabrik. Noch seien nicht alle Maschinen aus Dresden dort angekommen, sagte Unternehmenssprecher Jens Drews auf Nachfrage von sächsische.de. Eigene Beschäftigte habe GF in Porto nicht.
Der Infineon-Konzern will im kommenden Jahr ebenfalls gemeinsam mit Amkor ein „Packaging- und Testzentrum“ in Porto betreiben. Der Standort gehörte früher zur Infineon-Tochter Qimonda, die 2009 Pleite ging. Bosch und ein Fraunhofer-Forschungsinstitut sind auch dort, sagte Antonio Cunha, Präsident der regionalen Entwicklungskommission von Nord-Portugal.
Kretschmer: Mikrochipbranche breit in Europa verteilen
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) freute sich trotzdem über das neue Mitglied der Allianz, die erst voriges Jahr auf Initiative Sachsens gegründet wurde. Das Jahrestreffen in Dresden war ihr erstes, das nächste wird in Turin in der italienischen Region Piemont stattfinden. Kretschmer sagte, die Zusammenarbeit in dieser „Schlüsselindustrie“ werde neue Arbeitsplätze schaffen und die technologische Souveränität Europas stärken. Als Konkurrenten nannte Kretschmer Amerika und China. China betreibe Wettbewerbsverzerrung, deswegen seien Subventionen für Chipfabriken in Europa nötig. Auf den Protektionismus der USA solle die EU „nicht mit Zöllen reagieren, sondern mit Wettbewerbsfähigkeit“.

Kretschmer hält es für richtig, die Halbleiterindustrie möglichst breit über die EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen. Dann würden sich viele Staatschefs im Europäischen Rat für die Branche einsetzen, die mit Fabriken in Dresden und Freiberg zu den wichtigsten in Sachsen gehört. Unter dem Eindruck des Besuchs von Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron in Dresden vom Montag sagte Kretschmer: „Europa ist das, was wir daraus machen.“ Die Europäische Union müsse „der Raum der Freiheit und der Kraft“ werden.
TSMC-Chefjurist für Europa: Wir wollen guter Nachbar sein
Der Chefjurist des taiwanischen Mikrochipkonzerns TSMC für Europa, Gunnar C. Thomas, lobte die Bedingungen in Europa für neue Fabriken. TSMC plant mit Partnern den Bau einer Chipfabrik in Dresden mit 2.000 Arbeitsplätzen. Thomas sagte, der asiatische Konzern komme wegen der vorhandenen Partner, der Forschungseinrichtungen und Infrastruktur, der guten politischen Bedingungen und nicht zuletzt wegen des Europäischen Chipgesetzes. Diese EU-Verordnung erlaubt Deutschland, die geplante Investition von 10,5 Milliarden Euro in Dresden mit rund fünf Milliarden zu subventionieren. Thomas sagte: „Wir wollen ein guter Nachbar sein“, TSMC suche vor allem die Partnerschaft mit den Universitäten.

Die Chip-Standorte in Europa haben allerdings auch alle mit denselben Herausforderungen zu tun, sagte die Italienerin Giuliana Fenu, Direktorin der Abteilung für regionale Wettbewerbsfähigkeit der Region Piemont. Fachkräfte fehlten, vor allem Frauen. Da helfe es, die Fabriken vorzuzeigen, die sauberen Arbeitsplätze. Das könne einen ähnlichen Effekt haben wie Kochsendungen im Fernsehen – das Interesse steige. Europa habe viel zu bieten, „wir müssen es nur zusammenbringen“. Der internationale Wettbewerb hänge nicht nur von Kosten ab. Zu Europas Vorteilen gehörten auch Kultur, Natur, soziale Sicherheit und gute Ausbildung. Das seien auch europäische „Alleinstellungsmerkmale“ im Wettbewerb mit China, sagte Gaby Schaunig aus Österreich, die Stellvertreterin des Landeshauptmanns in Kärnten.
Dresdner Positionspapier: Ewigkeitschemikalien erlauben
In ihrem ersten gemeinsamen Positionspapier forderte die neue Allianz in Dresden von der Europäischen Union „Planungssicherheit“ für die Halbleiter-Industrie. Die geplante Chemikalienrichtlinie drohe wichtige Substanzen zu verbieten, die in Chipfabriken genutzt werden. Dann würden sie „unreguliert außerhalb Europas genutzt“, heißt es in dem Papier. Kretschmer sagte dazu auf Nachfrage, Stoffe sollten erst dann verboten werden, wenn es schon Alternativen gebe. Die Chipindustrie nutze zwar „Ewigkeitschemikalien“, die sich nicht von alleine in der Natur zersetzten. Doch sie würden in geschlossenen Kreisläufen genutzt und würden weder zur Gefahr für die Umwelt noch für die Beschäftigten.
Die Allianz Esra unterstützt das Ziel der EU, bis zum Jahr 2030 auf 20 Prozent Weltmarktanteil an der Mikrochipproduktion zu kommen. Derzeit werden trotz der großen Fabriken in Dresden und Grenoble in Frankreich weniger als zehn Prozent in der EU hergestellt. Kretschmer sprach von einer „gigantischen“ Herausforderung, nannte das Ziel aber richtig.
Jan Grolich, Gouverneur der tschechischen Region Südmähren in Brno (Brünn), bezeichnete Mikrochips als „das neue Gold“. Brno sei daran beteiligt, jedes dritte Elektronenmikroskop werde dort hergestellt. „Wir in Europa wollen unabhängig bleiben“, sagte Grolich, „das kostet natürlich etwas“. China produziere billig, aber auf Kosten der Menschen.