Die Zahlen zeigen es deutlich: Auch im Landkreis Bautzen fehlt es an Fachkräftenachwuchs. Zum Monatsbeginn waren laut Arbeitsagentur beispielsweise im Raum Bautzen noch 164 Ausbildungsplätze unbesetzt, in Kamenz und Radeberg sind es sogar noch 244 und in Hoyerswerda 57.
Deshalb spielte das Thema Mitte der Woche beispielsweise auch während der Präsentation des ersten Integrationsführers für den Landkreis im Bautzener Landratsamt eine Rolle. Eine Überblicksbroschüre mit allen Ansprechpartnern wie Beratungsstellen, Sprachfördereinrichtungen oder Job-Agenturen, die sich um die Integration von Ausländern kümmern. In erster Linie von Flüchtlingen und Asylbewerbern, „aber zunehmend wird es auch um die Integration von gezielt angeworbenen Zuwanderern für den hiesigen Arbeitsmarkt gehen“, ist Kay Tröger vom IQ-Netzwerk Sachsen überzeugt. Das Netzwerk – sozusagen Dach über zahlreiche Wirtschaftsverbände, Arbeitsagenturen und Kommunen – kümmert sich um die Arbeitsmarktintegration von Ausländern.
Und Kay Tröger hat nun in den vergangenen Wochen gemeinsam mit Anke Bär, der zuständigen Sachgebietsleiterin Integration im Ausländeramt des Bautzener Landratsamts, diesen Integrationsführer auf den Weg gebracht. „Weil es sehr viele Mitstreiter sind und nicht jeder alles wissen kann, sondern nur wissen muss, wer es weiß“, beschreibt Anke Bär die Idee. Ziel ist es, die Integration effektiver und besser zu gestalten. „Und auch auf jeden individuellen Fall zugeschnitten“, fügt sie an. Und auch dem Landratsamt sei natürlich klar, dass die Integration eben auch eine Chance für den hiesigen Arbeitsmarkt sein kann.
Wie viele Asylbewerber sind aktuell im Landkreis Bautzen zu betreuen?
Aktuell sind im Kreis Bautzen laut Landratsamt 1 521 Asylsuchende untergebracht, hinzukommen 73 bereits anerkannte Flüchtlinge. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 waren es rund 200 Asylsuchende pro Woche, die im Landkreis Bautzen ankamen, erinnert sich Anke Bär. Damals ging es vorrangig darum, diese Menschen zunächst einmal unterzubringen. „Jetzt haben wir die Kraft und die Zeit, uns auf Einzelfälle zu konzentrieren“, macht sie deutlich. „Wobei wir sehr frühzeitig gesagt haben, es kann und darf nicht nur um schnelle Unterbringung von Flüchtlingen gehen, sondern auch um Integration!“ Deshalb sei der Landkreis auf diesem Gebiet längst gut aufgestellt.
Geht es beim Thema Zuwanderung schon jetzt verstärkt um Fachkräfte?
Im Moment, sagt Anke Bär, gehe es bei ihrer Arbeit nach wie vor vorrangig um Flucht und Asyl. „Und hier ist eine gewisse Zurückhaltung zu spüren, was das Thema Arbeits- oder Ausbildungsplätze betrifft“, weiß sie. Und das sowohl bei den Flüchtlingen, als auch bei Arbeitgebern. Grund: das in den meisten Fällen ungewisse Bleiberecht. „Und nach wie vor sind für viele eher die Großstädte das Ziel“, weiß sie. Weil dort die Möglichkeiten auch auf dem Arbeitsmarkt größer sind? Genau hier will das IQ-Netzwerk ansetzen. „Wir müssen die Chance erkennen, unter den Flüchtlingen auch Fachkräfte zu finden – und natürlich müssen wir gezielter als bisher um Fachkräfte aus dem Ausland werben“, ist Kay Tröger überzeugt. Eine Doppelstrategie also, die hier gefragt ist. Und er verweist auf den Vogtlandkreis, in dem er ebenfalls aktiv gewesen ist: „Der Arbeitskräftenachschub kommt dort fast ausschließlich noch aus dem Ausland – da muss man die Fachkräftezuwanderung gezielt organisieren.“
Wo liegen die größten Schwierigkeiten bei der Werbung um Arbeitskräfte?
Wichtigste Voraussetzung ist ein Umdenken in der Bevölkerung, unterstreicht Kay Tröger. „Man muss die Wichtigkeit von Zuwanderung für den Arbeitsmarkt erkennen“, sagt er. Gerade im Gesundheits- und Pflegewesen ist dieses Umdenken ja auch im Landkreis Bautzen längst erfolgt, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Der Anteil der ausländischen Ärzte am Seenland-Klinikum in Hoyerswerda im Norden des Kreises liegt beispielsweise bei rund 35 Prozent, so Kliniksprecher Gernot Schweitzer. Hintergrund ist auch hier die Schwierigkeit, Fachpersonal zu bekommen.
Braucht es das seit Jahren viel diskutierte Einwanderungsgesetz?
Es gibt schon jetzt zahlreiche Wege für eine legale Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt. „Es kommt nur in der derzeitig hitzigen Debatte immer so rüber, als gebe es solche Wege bisher nicht und wir bräuchten dazu unbedingt ein Einwanderungsgesetz“, wundert sich Kay Tröger vom IQ-Netzwerk. Aber natürlich würde es nicht schaden, sagt er dann, wenn das alles noch einmal in einem Einwanderungsgesetz zusammengefasst wird. „Und wir brauchen ein solches Gesetz auch, um die Spannung aus der Debatte herauszunehmen“, findet er.
Wie gelingt die Integration – auch von ausländischen Arbeitskräften?
Der einfachste und beste Weg, um zugewanderte Ausländer – nicht zuletzt gezielt angeworbene ausländische Fachkräfte – zu integrieren, ist das Öffnen von Vereinen für sie. Das jedenfalls ist eine Erfahrung, die Kay Tröger immer wieder gemacht hat. „Vereine haben hier eine wirklich wichtige Funktion, um sich auch abseits von Arbeitsprozessen kennenzulernen“, beschreibt er. Und umgekehrt ist es vor allem im sogenannten flachen Land auch für die Vereine gut, wenn sie auf diese Weise neue Mitglieder bekommen. Ein Beispiel sind Fußballmannschaften, die im Nachwuchs große Probleme haben. Auch freiwillige Feuerwehren könnten profitieren.
Gibt es Beispiele, bei denen das Ausländeramt Firmen helfen konnte?
Jüngstes Beispiel war die Neuansiedlung des Batterieherstellers Accumotive in Kamenz, so Anke Bär. „Dort gab es mit Blick auf fehlende Fachkräfte aus der Region auch die Nachfrage nach Fachkräften aus dem Ausland – und die Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert“, freut sie sich. Auch bei der schon erwähnten Suche nach ausländischen Pflegekräften „sind wir aktiv, um die gewonnenen Kräfte unter anderem bei den notwendigen Ämtergängen zu begleiten“, beschreibt sie. Für die Firmen sei es dabei sehr wichtig, einen Ansprechpartner zu finden, der weiß, was und wo es zu erledigen gilt, fasst Anke Bär zusammen. Dafür sei auch der jetzt vorliegende Integrationsführer eine große Hilfe.
Warum ist Zuwanderung für die Wirtschaft der Region bedeutsam?
Besonders in Ostdeutschland ist die Zuwanderung von Arbeitskräften ein wichtiges Thema. Hintergrund: Durch die massive Abwanderung nach der Wende und die daraus resultierende höhere Überalterung ist der Fachkräftemangel hier besonders stark. Ein Fakt, mit dem gerade der östliche Teil des Landkreises arg zu kämpfen hat. Der Mittelstand steuert gegen. So setzt sich beispielsweise der Verein Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen – ein Verband aus sächsischen Unternehmen – seit 2016 aktiv für die Integration ausländischer Arbeitskräfte ein. Aktuell sind 1 500 Firmen im Netzwerk vertreten. Auch aus dem Kreis.
Von Jens Fritzsche
Bildquelle: Thorsten Eckert