Von Michael Rothe
Den zweiten Teil seines offiziellen Namens – „International“ – könnte der Flughafen Dresden getrost streichen. Wenn im März der letzte Cityhopper gen Amsterdam abgehoben hat, bleibt Sachsens Hauptstadt noch eine direkte Städteverbindung ins Ausland: Zürich.
Im Oktober war Ryanair letztmals nach London gedüst. Selbst innerdeutsch sind nur Frankfurt/Main, München, Düsseldorf erreichbar, und touristisch stehen nonstop ganze sechs Ziele im Flugplan: die Kanaren sowie Mallorca, Hurghada und Antalya.
In einem der schönsten Terminals Deutschlands herrscht Tristesse. Und selbst wenn dort wie am Montag etwas los ist, steht das Gewimmel unter keinem guten Stern: 130 Menschen in Neongelb bevölkern den Eingang – und tragen sich in Streiklisten der Gewerkschaft Verdi ein. Die Flughafen-Beschäftigen stemmen sich, wie am Airport Leipzig/Halle, gegen ein Restrukturierungsprogramm, wonach sie länger arbeiten und weniger verdienen sollen. 124 Jobs fallen weg, fast jeder 10. im Landesunternehmen.
Die vom Steuerzahler mitfinanzierte Mitteldeutsche Flughafen AG (MFAG) braucht frisches Geld. Sächsische.de hatte am Wochenende über eine Finanzlücke von 145 Millionen Euro berichtet. Auch über hoch dotierte und nutzlose Beraterverträge – teils mit Ex-Regierungsbeamten –, die oft ohne Ausschreibung vergeben wurden. Ähnlich kurz war der Dienstweg zur Besetzung von Führungsposten. Vorstände kassierten selbst dann sechsstellige Boni, als die MFAG 2022 einen Fehlbetrag von 36,5 Millionen einfuhr – durchgewunken im Aufsichtsrat, wo mit Martin Dulig (SPD, Verkehr) und Hartmut Vorjohann (CDU, Finanzen) zwei Minister aus Sachsen sitzen.
Der Traum von Linien in die große, weite Welt
Flugtechnisch geht an diesem Montag nichts. Auch Mike, ein Geschäftsmann aus Odessa, steht ratlos mit seinem Trolley unter der Anzeigetafel. Der Ukrainer will via Amsterdam nach Madrid. Doch daraus wird nichts. „Cancelled“, gestrichen, steht auch hinter KL 1810. Die 32 Zeilen des Displays reichen mittlerweile für drei Tage.
„An den Flughäfen Leipzig/Halle und Dresden ist ein leistungsfähiges europäisches Liniennetz aufzubauen. Es sollen Verbindungen zu den europäischen Destinationen Paris, Warschau und Moskau geschaffen werden. Die bestehenden Verbindungen nach London, Brüssel, Zürich und Wien sollen ausgebaut und stabilisiert werden.“ So steht’s in der „Strategie der Mitteldeutschen Flughafen AG 2003“. Der Konzern träumte vom „Flughafenverbund Mitteldeutschland mit Großraum Berlin“ mit Leipzig/Halle als „Interkont-Drehscheibe“.

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„Gib mir die Hand, ich bau Dir ein Schloss aus Sand“, tönt ein Nena-Hit vor Ort aus der Streikbeschallung. Der Flughafen Dresden zählte im vorigen Jahr 929.928 Fluggäste, fast elf Prozent mehr als 2022, teilt der Konzern freudig mit. Er verschweigt: Der nach der Pandemie zwangsläufig einsetzende Zuwachs ist nur halb so hoch wie im Mittel der 28 Airports im Flughafenverband ADV – und die Zahl der Reisenden exakt halb so groß wie 2008, als sich der Airport umbenannte und im Ausland mit „Your Gateway to Saxony“ warb.
„Erwacht aus einem Traum. Nur ein kurzer Augenblick, dann kehrt die Nacht zurück“, singt Nena. Laut Branchenverband BDL werden von Januar bis Juni 2024 auf allen Flügen von, nach und in Deutschland 118,3 Millionen Sitzplätze angeboten – 85 Prozent des Angebots von vor der Pandemie. Sachsens Hauptstadt ist dort mit 300.000 Sitzen unter 19 Flughäfen Drittletzter, knapp vor Paderborn/Lippstadt.
Anbindung „katastrophal“, die Wirtschaft sorgt sich
Andreas Sperl, Präsident der IHK Dresden, sieht das vor allem mit Blick auf Europas Zentrum der Mikroelektronik „mit Sorge“. Für die Weiterentwicklung von Silicon Saxony sei ein internationaler Flughafen, der mehrmals täglich Anschlussflüge an Drehkreuze anbietet, unbedingte Voraussetzung.
Die Situation sei „katastrophal“, so der Interessenvertreter von 90.000 Mitgliedsfirmen in Ostsachsen. Großunternehmen bezögen die internationale, zuverlässige Anbindung an den Luftverkehr nachweislich in Standortüberlegungen ein, argumentiert der Ex-Chef der Elbe Flugzeugwerke. Gleiches gelte für den Strukturwandel in der Lausitz. „Einfallstor in diese Region ist ganz klar Dresden, nicht Prag, nicht Berlin oder Leipzig“, sagt Sperl.

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Andere Kritiker monieren, dass die MFAG-Gesellschafter zwar Fördergeld für die Ansiedlung von Halbleiterwerken ausgeben, dann aber zusähen, wie dafür notwendige Fluglinien eingestellt würden – mit Folgen für Hotel- und Gastgewerbe, Handel und Dienstleister. Schon 2014 waren Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft in großen Zeitungsanzeigen verärgert gewesen, weil Linien gestrichen werden, Abflugzeiten am Bedarf vorbeigehen und Unternehmen sich zurückziehen.
Sachsens Verkehrsministerium hat eine andere Wahrnehmung: „Über eine leistungsfähige Infrastruktur sind unsere Flughäfen … regional und vor allem auch überregional, nicht zuletzt zu unseren osteuropäischen Nachbarländern, sehr gut angeschlossen“, heißt es dort auf Anfrage.
Dresden ist der Verlierer im Konzernkonstrukt MFAG
Dresdens Flughafen hatte 2022 mit gut 150 Beschäftigten bei 32,9 Millionen Euro Umsatz einen Jahresfehlbetrag von 17,2 Millionen Euro eingefahren. Nach Informationen von Saechsische.de sinkt in Sachsen-Anhalt die Bereitschaft, weiter für diese Verluste aufzukommen. Dafür stehen die Konzerneigner laut ihren Anteilen gerade: Der Freistaat mit 77 Prozent, Sachsen-Anhalt mit 19, Leipzig und Dresden mit je zwei und Halle mit 0,2 Prozent. Die MFAG wiederum hält 94 Prozent der Anteile an der Dresdner Tochter. Den Rest teilen sich das Land sowie die Landkreise Meißen und Bautzen.
Der fast 90 Jahre alte Flughafen gibt sich im Namen seit 2008 weltmännisch. In den 1990ern wurde er ausgebaut, später die Landebahn verlängert. Jedoch seien die zugrunde gelegten Prognosen beim Passagieraufkommen nicht eingetreten, räumt die MFAG ein. Wie Leipzig/Halle liege Dresden in einer relativ dünn besiedelten Region mit wenig ethnischem Verkehr und geringer Kaufkraft. So könne das für bis zu 3,5 Millionen Reisende angelegte Terminal „aus heutiger Sicht als überdimensioniert angesehen werden“, heißt es.
Dresden ist der Verlierer im Konzernkonstrukt. Der Flughafen fühlt sich fremdbestimmt, nur als 3. Startbahn von Leipzig/Halle. Dort regiere noch dazu ein Team, das nicht in Sachsen beheimatet sei und in den Westen oder nach Berlin pendele, heißt es. Der Airport in Klotzsche sei eine führungslose Milliardeninvestition, deren Kompetenzen nach Leipzig verlagert wurden. Selbst die eigene Website auf Deutsch, Tschechisch und Polnisch ist DRS, das wie Basel zum 3-Länder-Airport ausgebaut werden sollte, lange los. Weil Geschäftsleitung und Vertrieb fehlten, gebe es keine Verzahnung mit dem Einzugsgebiet, geschweige Vermarktung bei den Nachbarn, so Kritiker. Zwar gebe es S-Bahn-Station und Busbahnhof unterm bzw. vor dem Terminal – aber ohne Vernetzung.
Plan für eine Arena mit 7.000 Sitzen im Terminal
Dabei weiß man im Konzern, was es braucht. „Der Flughafen Dresden könnte davon profitieren, dass der Freistaat Sachsen sowie die Stadt Dresden ihre Ressourcen bündeln und Aktivitäten auf die Akquisition von Besucherverkehren nach Dresden und Umgebung konzentrieren“, heißt es im der SZ vorliegenden Lagebericht.
Die MFAG verweist auf kontinuierliche Gespräche zum Ausbau des Angebots und zur Aufnahme neuer Verbindungen. Im Fokus stünden europäische Metropolen. Das Unternehmen investiere derzeit gut neun Millionen Euro in die Modernisierung der Fluggast- und Gepäckabfertigung, heißt es. Auch gibt es Pläne für eine Multifunktionsarena im Terminal mit bis zu 7.000 Sitzplätzen für Sport- und andere Events – bei ausreichend Platz, um 1,5 Millionen Reisende pro Jahr abzufertigen. Parallel ist sparen angesagt. Saechsische.de kennt Überlegungen, den Airport nachts auch für Notfälle zu schließen. So könnten Millionen Euro für die Feuerwehr gespart werden.
„Irgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an“, trällert Nena aus der Lautsprecherbox. Und welche Perspektive hat der Flughafen DRS? Freistaat und Landeshauptstadt seien gefordert, sagt IHK-Präsident Sperl. Es brauche ein attraktives Konzept und hinreichende Finanzierung. Das sei möglich, müsse „nur ernsthaft gewollt und angegangen werden“.
Immerhin ist die Schweizer Swiss mit der Nachfrage auf ihrer 2015 wieder aufgenommenen Linie nach Zürich „zufrieden“. Im Sommerflugplan, der ab Ende März gilt, seien bis zu sieben Flüge pro Woche vorgesehen, heißt es auf Anfrage. Weiter will sich die Airline nicht festlegen.
Am Donnerstag zieht wieder Leben im Terminal ein – allerdings erneut nur mit den Darstellern in Neongelb und mit Trillerpfeifen.