Suche
Suche

Wenn der Strompreis plötzlich negativ ist: Wem nützen dynamische Stromtarife in Sachsen?

Mit einem dynamischen Stromtarif können Energiekunden direkt von der Energiewende profitieren – versprechen die Versorger. Tatsächlich bieten die Tarife große Chancen, aber auch Risiken. Für wen sich das in Sachsen lohnt – und welche Voraussetzungen es gibt.

Lesedauer: 4 Minuten

Leipzig. Die Waschmaschine anschalten oder das E-Auto laden, wenn es am günstigsten ist: Wer einen dynamischen Stromtarif nutzt, nimmt die Energiewende gewissermaßen selbst in die Hand. Es ist ein Konzept, das Kundinnen und Kunden regulärer Stromverträge noch neu vorkommen dürfte – und das ist es auch: Erst seit diesem Jahr sind Energieversorger verpflichtet, dynamische Stromtarife anzubieten. Sie bieten auch in Sachsen durchaus Chancen – doch Experten warnen zugleich vor den Risiken. Wie funktionieren dynamische Stromtarife, und wie gefragt sind sie im Freistaat? Ein Überblick.

Was sind dynamische Stromtarife?

Wer Strom über einen gewöhnlichen Vertrag bezieht, weiß, worauf er oder sie sich einstellen kann. Die Tarife bestehen aus einem festen Grundpreis (in Euro pro Jahr) – und einem fixen Arbeitspreis, der in Cent pro Kilowattstunde angegeben wird. Anders ist das Prinzip bei den dynamischen Stromtarifen: Hier ändern sich die Preise stündlich oder viertelstündlich und sind an den Börsenstrompreis gekoppelt, meist am „EPEX Spot Markt“. Laut Verbraucherzentrale richten sich dynamische Stromtarife dabei meist nach dem Day-Ahead-Markt: Hier wird heute der Strom gehandelt, der am nächsten Tag geliefert wird.

Wie funktioniert das Preissystem nun genau?

Dynamische Stromtarife setzen sich aus einem monatlichen Grundpreis, einem Arbeitspreis sowie Steuern und Umlagen zusammen. Das Prinzip sei einfach, sagt Cornelia Sommerfeld, Sprecherin des Energieversorgers EnviaM, der mit „Mein Strom Vision“ seit Anfang 2024 selbst einen entsprechenden Tarif anbietet. „Wenn viel erneuerbare Energie, wie Solar- oder Windstrom, im Netz verfügbar ist, sinken die Börsenstrompreise – manchmal sogar unter null.“ Umgekehrt steigen die Preise bei einer hohen Nachfrage oder geringer Verfügbarkeit. In der Regel ist Strom nachts günstiger, zu Spitzenzeiten am Morgen oder Abend hingegen teurer. Die Strompreise für den Folgetag veröffentlicht die Börse um die Mittagszeit, bei EnviaM sind sie beispielsweise in einer App einsehbar.

Wie profitieren Verbraucher davon?

Verbraucher können durch richtiges Timing sparen. „Von dynamischen Tarifen profitieren vor allem Haushalte, die einen relevanten Teil ihres Stromverbrauchs zeitlich verschieben können“, sagt Lorenz Bücklein von der Verbraucherzentrale Sachsen. Das treffe insbesondere auf Haushalte, etwa mit einer Wärmepumpe oder Elektroauto zu.

Der Tarif kann eine gute Wahl sein, die entstehenden Kosten sind aber stark vom individuellen Verbrauchsverhalten abhängig, Peter Krutsch. Sprecher der Leipziger Stadtwerke

Dass dynamische Stromtarife ihren Reiz haben, macht auch folgende Zahl deutlich: Laut EnviaM lagen die Strompreise im vergangenen Jahr 451 Stunden an der Börse unter 0 Cent/kWh. Im Grunde wird dem Kunden der Strom dann hinterhergeworfen. Allerdings kann es auch anders laufen: Mitte Dezember herrschte eine Dunkelflaute, seinerzeit schossen die Preise in die Höhe. Verbraucher sollten also auf Preisschwankungen achten.

Strommasten in Mitteldeutschland: Dynamische Stromtarife haben auch Risiken.
Strommasten in Mitteldeutschland: Dynamische Stromtarife haben auch Risiken.
Quelle: IMAGO/Ardan Fuessmann

Lohnt sich ein solcher Tarif für jeden?

Nein, es kommt auf die Umstände an. „Der Tarif kann eine gute Wahl sein, die entstehenden Kosten sind aber stark vom individuellen Verbrauchsverhalten abhängig“, sagt Peter Krutsch, Sprecher der Leipziger Stadtwerke, die seit Sommer 2024 den „Tarif L-Strom.dynamisch“ anbieten. „Er eignet sich vor allem für Kunden, die größere flexible Verbrauchsgeräte in ihrem Haushalt haben – wie beispielsweise ein E-Auto, Speicher oder eine Wärmepumpe.“ Die Stadtwerke erwarten daher vorrangig Kunden aus dem außerstädtischen Bereich mit Wohneigentum – und weniger den klassischen Großstadtmieter.

Diese Aussage stützt auch eine Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband. Ergebnis: Wer eher wenig Strom verbraucht, profitiert von den Tarifen kaum. Hingegen können Haushalte mit höherem Verbrauch (2900 bis 5800 kWh/Jahr) innerhalb von sechs Monaten gut 65 Euro sparen.

Wer einen dynamischen Tarif nutzt, muss bereit sein, den Stromverbrauch flexibel anzupassen, wie es bei SachsenEnergie heißt. Auch sollten sich Kunden der Risiken bewusst sein. Wie Sprecherin Nora Weinhold sagt, werde die Planbarkeit der Stromkosten stark eingeschränkt. „Das klassische Produkt mit Preisgarantie ist noch immer die favorisierte Wahl bei unseren Kunden“, sagt sie.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Haushalte müssen über ein sogenanntes intelligentes Messsystem verfügen. „Dies besteht aus einem digitalen Zähler und einem sogenannten Smart Meter Gateway, einer Kommunikationseinheit, die mit dem Messstellenbetreiber in ständiger Verbindung steht“, erklärt Peter Krutsch von den Leipziger Stadtwerken. „Damit kann der Stromverbrauch zeitgenau vom jeweiligen Messstellenbetreiber ermittelt und vom Versorger abgerechnet werden.“

Verpflichtend ist der Einbau eines digitalen Zählers bei allen Verbrauchern ab einem Jahresstromverbrauch von über 6.000 Kilowattstunden – ein ziemlich hoher Wert. Bis 2032 sollen laut Bundesnetzagentur aber alle Haushalte mit modernen Messeinrichtungen (digitale Zähler ohne Gateway) ausgestattet sein. Wer ein Smart Meter bereits vorher nutzen möchte, kann den Einbau seit diesem Jahr beim Messstellenbetreiber anfordern. Einbau und Betrieb dürfen laut Netzagentur maximal 20 Euro im Jahr kosten.

So sehen moderne Stromzähler aus.
So sehen moderne Stromzähler aus.
Quelle: Matthias Rietschel

Wie gefragt sind die Tarife in Sachsen und Mitteldeutschland?

Die Tarife als Ladenhüter zu bezeichnen, wäre verfrüht – handelt es sich doch um ein neues Tarifmodell. Bei EnviaM nutzen den dynamischen Tarif laut Sprecherin Sommerfeld bisher „Privatkunden im mittleren dreistelligen Bereich“. Bei den Stadtwerken Leipzig ist der Tarif seit vergangenem Sommer abschließbar, doch die aktive Nutzerzahl liegt aktuell „im niedrigen einstelligen Bereich“. Bei SachsenEnergie gibt es dynamische Verträge schon seit 2022, doch sieht man hier derzeit „keine große Nachfrage“.

Lorenz Bücklein von der Verbraucherzentrale überrascht diese Zurückhaltung nicht. Da der Einbau der intelligenten Messsysteme noch nicht zügig voranschreite, sei die gedämpfte Nachfrage nachvollziehbar. Zudem fühle sich der Großteil der Verbraucher laut Umfragen noch immer uninformiert über Funktionsweise und Angebot der Tarife.

Was sollten Verbraucher vor Abschluss beachten?

Experten mahnen Verbraucher in jedem Fall dazu, sich vor Vertragsabschluss umfassend zu informieren. Noch seien die Tarife oftmals schwer vergleichbar, Tarifbestandteile unklar und nicht immer transparent, sagt Lorenz Bücklein von der Verbraucherzentrale Sachsen. „Hier lohnt es sich, genau hinzusehen, abzugleichen und zu rechnen.“ Eine Kosteneinsparung sei kein Selbstläufer. „Um mit dynamischen Tarifen Kosten zu sparen, bedarf es der Beschäftigung mit Tarifen und ständiger Verhaltensanpassungen.“

Das könnte Sie auch interessieren: