Noch ist die als Weltsensation angekündigte Solaryacht Made in Sachsen nur eine Blackbox. Eine solche schwarze Schachtel erhielten Interessierte Ende Januar beim Branchentreff „Boot“ in Düsseldorf. Darin: Eine Virtual-Reality-Brille, mit der ihr Träger mit seinem Smartphone einen Spaziergang in 3D machen kann: Auf und in einem Schiff, wie es noch nicht gebaut wurde: nur von Solarstrom versorgt, fast lautlos und selbst bei meterhohen Wellen nicht schwankend.
So beschreiben es die Verkünder einer „neuen Ära im modernen Schiffbau“: ein Dutzend Unternehmer aus Dresden und der Oberlausitz, alle Aktionäre der Solarimpact Yacht AG mit Sitz in Zürich, die meisten auch Sponsoren der Kicker vom Bischofswerdaer FV 08. Mit dem knapp 24 Meter langen und elf Meter breiten Boot wollen die Unterstützer des Fußball-Viertligisten in die Champions League des Yachtbaus. In internationale Fachmagazine dieser Kategorie haben sie es schon geschafft, so auch ins Bordheft der Scheich-Airline Etihad.
Seit die Sächsische Zeitung das spektakuläre Projekt im Juli 2018 publik gemacht hat, haben sich die Protagonisten den Respekt der Branche verdient. Nicht mit Geschwätz über ein Luftschloss, sondern mit überzeugenden Präsentationen: im Herbst beim „Cannes Yachting Festival“, Europas größter Messe zu Wasser an der Côte d’Azur und im Winter bei besagter „Boot“ in Düsseldorf. Auf jener weltgrößten Wassersportmesse hatten sich fast 2 000 Aussteller aus 73 Ländern präsentiert. „Der Trend geht zu größeren Booten über zwölf Metern Länge“, resümierten damals die Veranstalter.
Die binnen anderthalb Jahren entwickelte „Solarimpact 78“, die Ziffer steht für die Länge in Fuß, geht nicht nur bei der Größe mit der Mode. Das Aluminiumteil mit sechs Kabinen für zwölf Leute sieht sich als Trendsetter maritimer Elektromobilität. Lärm und CO2-Emissionen werden vermieden und dennoch eine fast unbegrenzte Reichweite erzielt. Das ausklappbare Dach mit 300 Quadratmetern Solarfläche erzeugt bis zu 320 Kilowattstunden Strom, der die Yacht antreibt oder ihren Akku auflädt.
„Es lief besser als gedacht“, sagt Ulrich Käppler zum Messeauftritt am Rhein. Der Mann ist Verwaltungsrat bei Solarimpact, der Mutter vom Schaaf Yachtbau in Dresden, wo alle Fäden des Projekts zusammenlaufen. Obwohl es in Düsseldorf nur ein Modell und ein Video zu sehen gab, hätten sich viele Kaufinteressenten gemeldet, „auch klangvolle Namen aus der Modewelt“. Zwei Handvoll größerer Werften seien an der Technologie interessiert, sagt er, andere wollten in die Firma investieren.
Eigentlich sollte der Prototyp schon beim kommenden Branchentreff in Cannes gezeigt werden. „Das schaffen wir nicht“, gesteht Käppler. Ein Makel sei das nicht. „Wir brauchen wegen der Perfektion länger“, erklärt er. „Bei so einer Innovation stößt man an Punkte, wo man zurückrudern oder einen Abzweig nehmen muss“, begründet Käppler den Verzug. Auch steuerten Interessenten immer neue Ideen bei.
„Ein Käufer in spe will 2022 eine Weltreise machen und hat entsprechende Wünsche“, berichtet Björn Scheidewig, seit Ende Oktober Geschäftsführer von Schaaf Yachtbau. Ein anderer brauche auf der Badeplattform einen Parkplatz für sein Leichtflugzeug. Darauf müsse man reagieren, so der 42-jährige. Schließlich koste die Yacht schlappe 7,2 Millionen Euro. Netto. In der Grundversion.
Für das Schiff wurden mehrere Patente angemeldet. Doch um nicht wie in einer kultigen Kräuterbonbon-Reklame eins hinter die Ohren zu bekommen, räumen die Sachsen ein, dass der eigentliche Erfinder ein Schweizer ist: Werner Vögeli. „Seit ich mich erinnern kann, suche ich Lösungen für Probleme“, schreibt der 64-Jährige im sozialen Netzwerk LinkedIn. Das sei ihm in die Wiege gelegt und kein Verdienst. Doch er habe das Talent, andere für seine Ideen zu begeistern – „Menschen, die die Fähigkeit haben, meine Visionen umzusetzen“.
14 derart Begeisterte arbeiten bei der Schaaf Yachtbau GmbH & Co. KG, dazu noch fünf externe Mitarbeiter. Nach der Pleite der Schiffswerft Laubegast 2011 halten sie dort in einer Halle Dresdner Schiffbau-Geschichte am Leben. Noch 2019 sollen einzelne Segmente und die Ballasttanks entstehen, sagt der Chef. Für die Motoren sei man im Gespräch mit VEM, einer anderen Dresdner Traditionsadresse.
Wo die Yacht letztlich zusammengebaut wird, steht noch nicht fest, womöglich in Norddeutschland oder im polnischen Gdansk (Danzig). „Hier geht es schließlich nicht um einen Elbkahn, sondern um eine Hochseeyacht mit 2,37 Metern Tiefgang. Da braucht es Meeresnähe“, argumentiert Scheidewig. Der Freiberger war zuvor auch längere Zeit als leitender Manager in der Chemie- und Pharmabranche unterwegs.
„Die Kernkompetenz bleibt in Sachsen“, versichert Verwaltungsrat Ulrich Käppler. Es gehe um Weiterentwicklung, „im nächsten Schritt um Ablösung von Aluminium durch leichtere Verbundwerkstoffe“. Dass die AG in der Schweiz sitzt, sei eine Bedingung von Chef Vögeli gewesen, tue den Sachsen aber nicht weh und ihrem Schöpfergeist keinen Abbruch. Aber, so räumt Käppler ein, er komme bei dem Thema schon in Erklärungsnot.
Mit den technischen Details und Finanzierungsmodellen tun sich die Protagonisten leichter. Möglich, dass das Know-how über Lizenzen mehr einbringt als der Yachtbau selbst. Auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle sowie die Sächsische Aufbaubank sind von der Innovation überzeugt und haben in Summe 2,6 Millionen Euro an Fördergeld bewilligt oder zugesagt.
Dabei sind Solarboote an sich nicht neu. So hatte der Pole Jedrzej Gawlowski bereits Anfang der 1990er-Jahre eine Segelyacht auf Sonnenantrieb umgerüstet. Ob er der Erste war, weiß der Chef der Sunyacht Concept UG im brandenburgischen Velten nicht. Er sehe sich aber als Pionier und konzipiere derzeit ein Passagierschiff für 60 Personen, sagt Gawlowski.
2012 schaffte es die MS Turanor des Schweizer Herstellers Planet Solar SA, das größte je gebaute Solarschiff, mit einer Weltumrundung ins Guinnessbuch der Rekorde. Und drei Jahre später stellte die Firma Solarwave den ersten autarken Katamaran vor. Auch Klimaanlage, Waschmaschine, Kühlschrank, Herd wurden dort über Solarzellen und Batterien versorgt.
Dennoch sei die „Solarimpact 78“ eine technologische Revolution, behaupten ihre Schöpfer. Die Rumpftechnologie basiere auf dem seit 1938 bekannten Swath-Bauprinzip (für Small Waterline Area Twin Hull): Zwei torpedoförmige Auftriebskörper unter Wasser tragen das Boot. Durch die Ballasttanks wird eine Wellenentkopplung erreicht, die das Rollen und Krängen um 90 Prozent senkt. „Das Boot fährt nicht auf, sondern unter der Welle“, erklärt Ulrich Käppler. Lästiges Schwanken habe ein Ende. Da nur die schmalen Stelzen die Wasseroberfläche durchschnitten, sei dank zweier 680-PS-Motoren ein Tempo von 22 Knoten, das sind 41 Kilometer pro Stunde, möglich. Damit nichts schiefgeht, haben sich die Sachsen Swath-Guru Klaas Spethmann als Berater ins Boot geholt. Parallel zur Superyacht wollen sie einen 60 Fuß (18 Meter) langen Katamaran bauen. „Der Impuls kam vom Markt“, so Käppler
Der 67-Jährige war Chef und Mitinhaber der Käppler & Pausch GmbH in Neukirch, einem Spezialisten für Metallbearbeitung. Als solcher wurde er 2006 mit seinem Kompagnon Gabriel Pausch Zweiter beim Wettbewerb „Sachsens Unternehmer des Jahres“. 2015 stieg er aus, verkaufte seine Firmenanteile und könnte sich eigentlich zur Ruhe setzen. Doch der Mann ist so vom Yachtvirus infiziert, dass er einen Teil vom Erlös investierte und zweimal pro Woche aus der Lausitz zur Werft nach Dresden pendelt. „Wer mal Unternehmer war, kann nicht einfach so loslassen und sich auf einer Insel in den Sonnenstuhl legen“, sagt er.
Käppler, der sich „Privatier“ nennt, denkt weiter: „Das Boot steht sinnbildlich für viele innovative Unternehmer in Ostsachsen und ist eine große Chance für die Region.“ Das Schiff sei nur Mittel zum Zweck, ergänzt Mitstreiter Andreas Bascha, ebenfalls Verwaltungsrat der Schweizer AG. „Die Yacht ist für uns Multiplikator der Elektromobilität auf dem Wasser“, sagt er.
Und so könnte das Filmmekka Cannes im nächsten Jahr nicht nur für Cineasten, sondern auch für Enthusiasten wie die der „Solarimpact 78“ eine Reise wert sein. Bei der Messe im September 2020 soll diese Yacht dort die Attraktion schlechthin werden. Sonnige Aussichten für das Boot, seine Schöpfer und das gut 120 Jahre alte Schiffswerftgelände in Dresden-Laubegast.
Von Michael Rothe
Foto: © Sven Ellger