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Wie Sachsens Wirtschaft in die Regierungsbildung eingebunden ist

Die Kammern im Freistaat wollen am Koalitionsvertrag mitwirken. Noch finden sie ihre Belange im Eckpunktepapier nicht wieder. Derweil wächst bei ihnen der Unmut über die Bundesregierung.

Lesedauer: 3 Minuten

Man sieht die sächsische Staatskanzlei
Auf dem Weg zu den Sondierungsgesprächen in Sachsen: Auch Vertreter der Wirtschaftskammern haben den Weg in die Staatskanzlei gefunden und wollen ihre Forderungen ins Regierungsprogram einbringen. Quelle: xcitepress/Bartsch

Michael Rothe

Die Wenigsten hatten den Ruf von Sachsens Industrie- und Handelskammern für voll genommen. „Wir wollen bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen“, hatten die IHK Dresden, Chemnitz und zu Leipzig kurz nach der Landtagswahl im September gefordert – wohl wissend, dass sie darauf keinen Anspruch haben.

In Erwartung schwieriger Regierungsbildung hatten die Interessenvertretungen von 250.000 Mitgliedsunternehmen mit gut 900.000 Beschäftigten große Sorge, dass die Interessen der Wirtschaft auf der Strecke bleiben könnten. Immerhin wollen sie 15 Kernforderungen ins Regierungsprogramm einbringen. Die Kammern plädieren u. a. für einen neuen Zuschnitt der Ministerien – etwa, dass der Bereich Arbeit ins Sozialministerium verlagert wird. Liege der Fokus tatsächlich auf der Wirtschaft, sei egal, wer das Ressort führt, heißt es.

Nun sind die Kammern bei der Sondierung für ein mögliches Brombeer-Bündnis tatsächlich mit von der Partie. Rechtliche Bedenken gibt es nicht. „Koalitionsverhandlungen unterliegen juristisch keinerlei Vorgaben“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger. Es handele sich allein um politische Gespräche. „Die Verhandlungspartner sind daher frei, hinzuzuziehen wen auch immer sie möchten“. so die Professorin für öffentliches Recht, Kunst und Kulturrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

IHK: Forsches Auftreten war Kalkül

Natürlich sitze man im Wortsinn nicht wirklich mit am Tisch, stellt Dresdens IHK-Sprecher Lars Fiehler klar. Vielmehr hätten die Vertreter von CDU, SPD, BSW sieben Arbeitsgruppen gebildet – von Bildung und Wissenschaft bis zu Haushalt, Finanzen, Bürokratie. „Für jedes Gremium wurden von den Parteien fachkundige Personen bestimmt, welche die Themenfelder inhaltlich aufbereiten und so eine redaktionelle Grundlage für die eigentlichen Koalitionsverhandlungen schaffen“, erklärt Fiehler.

Jene Teams aus IHK-Beschäftigten und Unternehmensvertretern hätten es sich zur Aufgabe gemacht, „möglichst in allen für die Wirtschaft relevanten Arbeitsgruppen mit Vertretern aus den Parteien ins Gespräch zu kommen – und zwar separat nach Parteien. Aufgrund der bereits bestehenden Kontakte zu CDU und SPD sei das vergleichsweise einfach gewesen. Mit den mehrheitlich noch unbekannten Akteuren aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht „wurden erste Gespräche geführt, die aber eher dem gegenseitigen Kennenlernen dienten, als bereits konkretem, fachlichen Austausch“. Zu Ablauf und Inhalten der Unterredungen habe man sich gegenseitig Verschwiegenheit zugesichert.

Das „etwas forschere und stets sachliche Auftreten entgegen früheren Kontakten“ sei aufgefallen, sagt IHK-Geschäftsführer Fiehler. „Das war durchaus unsere Absicht.“ Die Kammer sei sich aber „bewusst, dass nicht alle Forderungen auf fruchtbaren Boden fallen“.

„Selbstverständlich erwarten wir, dass unsere Positionen Eingang in die Sondierungs- bzw. Koalitionsgespräche finden“, verlautet von Dresdens Handwerkskammer. Im Eckpunktepapier sei das noch nicht der Fall, gebe es kaum substanzielle Wirtschaftsthemen. Die Wirtschaft müsse wieder Chefsache werden, so der Wunsch. Das Handwerk in und um Dresden sieht sich dort mit 21.000 Betrieben, gut 120.000 Beschäftigten und 5.600 Azubis als Rückgrat des Mittelstands. Zu den Forderungen gehören auch gleichermaßen bessere Rahmenbedingungen in Stadt und Land, strategischer Ausbau der Verkehrsachsen, schnelles Internet und Mobilfunk, verpflichtende Berufsorientierung und zwei Pflichtpraktika an Gymnasien, systematische Gewinnung von Fachkräften im In- und Ausland, höherer Meisterbonus, weniger Bürokratie, Stopp des Personalaufbaus in der öffentlichen Verwaltung. Bis zum Donnerstag sollen die Sondierungsergebnisse vorliegen.

Bundesregierung liefert „ein Trauerspiel“

Von solchen scheint die Bundesregierung in Berlin derzeit weit entfernt angesichts der jüngsten Auseinandersetzungen um die Wirtschaftspolitik und den Bundeshaushalt für das kommende Jahr. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die FDP hatten zuletzt zu konkurrierenden Wirtschaftstreffen geladen, der liberale Finanzminister Christian Lindner dann auch noch mit einem angeblich durchgestochenen Grundsatzpapier Entscheidungen der eigenen Koalition infrage gestellt.

„Es ist ein Trauerspiel, das die einst als ‚Fortschrittskoalition‘ gestartete Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin derzeit aufführt“, beschreibt der Präsident des Sächsischen Handwerkstags deren Erscheinungsbild am Anfrage der SZ. Statt sich zusammenzuraufen und gemeinsam konstruktive Lösungsvorschläge für angestaute Probleme zu erarbeiten, dominiere seit Wochen frustrierender Zank unter den Koalitionären, sagt Uwe Nostitz. Die Ampel müsse kurzfristig aktiv werden, der Zustand sei nicht länger haltbar. „Wenn es keine Ideen mehr gibt, dann bleibt nur die Beendigung dieser Zusammenarbeit“, so Sachsens Oberhandwerker.

Ähnlich sieht es der Chef der IHK Dresden. „Die konkurrierenden Wirtschaftsgipfel werfen mehr Fragen als Antworten auf“, sagt Lukas Rohleder. Sie zeichneten „nicht nur ein Bild der Zersplitterung und Wahlkampftaktik, sie werden vor allem der brisanten Situation, in der sich unsere Wirtschaft befindet, nicht gerecht“. Um nachhaltigen Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden, bedürfe es eines klugen „und vor allem abgestimmten Regierungsplans, der auf einem soliden Haushalt fußt und neben einer Wachstumsinitiative echte Deregulierung und Planungsbeschleunigung im Kern hat“, so Rohleder.

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