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Wo bleibt Sachsens neues Vergabegesetz?

Die Novelle für millionenschwere öffentliche Jobs dümpelt vor sich hin. An der Tariftreue scheiden sich die Geister. Ist das Wahlversprechen von 2019 noch zu halten?

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Arbeiter auf einer Betonbrücke über der Elbe.
Drei Millionen Euro hat der im Februar eröffnete Bastei-Ausguck gekostet. Das Foto vom Juli 2022 zeigt die noch unfertige Aussichtsplattform. Gut ein Drittel des Volumens aller Staatsaufträge entfällt auf den Bau. © Marko Förster

Von Michael Rothe

Die einen sind genervt, die anderen ungeduldig, die Dritten hartleibig. So lässt sich die Haltung von Sachsens schwarz-rot-grüner Regierung zu einem neuen Vergabegesetz beschreiben. Die Novelle ist eines ihrer wichtigsten Vorhaben, wird aber behandelt wie eine heiße Kartoffel. Und 2024 wird schon wieder gewählt.

Das in Sachsen geltende Gesetz von 2013 gilt als zahnloser Tiger ohne verbindliche Sozial- und Umweltstandards bei öffentlichen Aufträgen. Nur in Bayern gibt es auch keine Regelungen, die Beschäftigten mindestens Löhne und Arbeitsbedingungen eines Branchentarifvertrags garantieren. Warum sollte dort nicht funktionieren, was sich bundesweit bewährt? CDU und Arbeitgeberverbände befürchten mehr Bürokratie und sprechen von „vergabefremden“ Kriterien.

Noch erhält in Sachsen vor allem bei Bauaufträgen der Billigste den Zuschlag – oft mit Nachunternehmen, die sich weiterer Subs bedienen. Die letztlich Ausführenden sprechen oft kein Deutsch, schuften unter miesen Bedingungen zu Dumpinglöhnen. Damit muss laut Deutschem Gewerkschaftsbund Schluss sein. So verlören alle, sagt die stellvertretende Landeschefin Daniela Kolbe: „Die Beschäftigten, weil sie keine echte Perspektive haben und in der Altersarmut landen, die tarifgebundenen Unternehmen, weil sie in Ausschreibungen den Kürzeren ziehen, die Sozialversicherungen, weil sie geringere Einnahmen haben, und die öffentlichen Kassen, weil die Einkommenssteuer mau aussieht.“

In zwei Jahren Aufträge für 1,4 Milliarden Euro vom Land

Die große Tragweite des Gesetzes wird durch den jüngsten Vergabebericht von Sachsens Wirtschaftsministerium deutlich. Demnach hat der Freistaat 2021/22 gut 224.000 Aufträge für 1,4 Milliarden Euro vergeben. Knapp die Hälfte der Order, 107.000 im Volumen von gut 788 Millionen Euro, sei an Auftraggeber im Freistaat gegangen, von den 36.000 Bauaufträgen sogar 90 Prozent.

Das geltende Vergabegesetz von 2013 verpflichtet die Staatsregierung, dem Landtag alle zwei Jahre über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu berichten. Liefer- und Dienstleistungsverträge über 215.000 Euro netto und Bauaufträge größer als 5,4 Millionen Euro werden nicht erfasst – ebenso Vergaben von Kommunen, der Bundesbauverwaltung, Aufträge über EU-Schwellenwerten sowie freiberufliche Leistungen.

Auf Fragen von Saechsische.de zur Novelle will Sachsens Wirtschaftsministerium (SMWA) nicht antworten. Auch die Staatskanzlei schweigt und verweist auf das SMWA. „Der noch laufende Abstimmungsprozess bedingt, dass wir uns zu etwaigen Inhalten des Gesetzes nicht äußern“, heißt es aus dem Haus von Minister Martin Dulig (SPD). Schon im Juli 2022 verlautete es von dort: „Zurzeit laufen die Abstimmungen in der Staatsregierung“, deshalb könne man sich nicht äußern. „Eine Einbringung in den Sächsischen Landtag ist noch in diesem Jahr geplant“, so damals die Ansage.

Doch dort war seitdem nur ein Vorschlag der Linken Thema. Mit der Oppositionspartei hatte die SPD 2012 unter Fraktionschef Dulig noch einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht. Er scheiterte – wie der neue Anlauf der Sozialisten, diesmal auch wegen des Neins der nun mitregierenden SPD. Was dagegen sprach, beantwortet Dulig nicht. Kein Wort auch zur Frage, warum die Novelle auf sich warten lässt, welche Aktivitäten es in der Hinsicht überhaupt gegeben hat – geschweige, ob das Wahlversprechen noch zu halten ist.

Ministerium verleugnet eigenen Gesetzentwurf

„Wir stehen für starke Tarifpartnerschaft“, erklären CDU, SPD und Bündnisgrüne in ihrem Regierungsprogramm 2019-2024. „Unter dem Leitbild ,Gute Arbeit für Sachsen‘ setzen wir uns für die notwendige Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen ein. Dazu gehört weiterhin die Erhöhung der Tarifbindung“, heißt es dort.

„Die Gespräche zum neuen Vergabegesetz dauern an und werden in konstruktiver Art und Weise geführt“, schreibt das Wirtschaftsministerium. Da viele Unternehmen und Beschäftigte betroffen seien, würden Gespräche mit Interessensgruppen geführt. Ins Parlament komme das Gesetz, nachdem es das Kabinett verabschiedet habe. „Einen klassischen Gesetzesentwurf gibt es derzeit nicht“, so die Antwort.

Ein solcher liegt Saechsische.de jedoch vor: vom 21. Dezember 2022 aus Duligs Referat 13 „für alle staatlichen und kommunalen Auftraggeber sowie für sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“. Das Papier beschränkt Tariftreue auf allgemeinverbindliche Verträge und den öffentlichen Personennahverkehr. Die zuständigen Ministerien würden entscheiden, „welche Tarifverträge als repräsentativ anzusehen sind“, heißt es. Wenn es keine Verträge gebe, „dürfen Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe verpflichten, ihren Beschäftigten … mindestens ein Entgelt zu zahlen, das der Entgeltgruppe E1 Stufe 2 des im Freistaat Sachsen geltenden Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder … entspricht“ – derzeit 2.094,49 Euro brutto. Auftraggeber müssten Aspekte des Umweltschutzes und der Energieeffizienz „unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit“ einbeziehen.

Sachsen hinkt zehn Jahre hinterher

„Kommt es so, würde Sachsen nur nachvollziehen, was andere Bundesländer schon vor zehn Jahren beschlossen haben, mittlerweile aber viel weiter sind“, sagt Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Längst gebe es „einen Trend zu umfassenden Tariftreueregelungen“. Eine grundlegend neue Rechtslage in Europa erlaube es, frühere Beschränkungen zu überwinden und die Einhaltung tarifvertraglicher Standards für alle öffentlichen Aufträge zu verlangen, so Schulten. Sechs Länder hätten ihre Gesetze bereits derart modernisiert, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen ähnliches geplant. Und im Bundesarbeitsministerium gibt es einen Arbeitsentwurf, wonach Bundesaufträge ab 10.000 Euro nur noch an Firmen vergeben werden sollen, die nach Tarif bezahlen.

In Sachsen unterliegen nur 43 Prozent der Beschäftigten Tarifverträgen. Damit ist der Freistaat gemeinsam mit Berlin Schlusslicht. Nur jeder sechste Betrieb vereinbart mit Gewerkschaften Löhne, Arbeitszeit und -bedingungen. Selbst bei Unternehmen, die ganz oder mehrheitlich im eigenen Besitz sind, hat das Land Nachholbedarf. Nach Angaben des Finanzministeriums sind von 14 Komplettbeteiligungen nur acht tarifgebunden. Laut Untersuchungen des WSI verdienen tariflos Beschäftigte in Sachsen bei gleicher Arbeit monatlich im Schnitt 870 Euro weniger als tarifgebundene und arbeiten pro Woche eine Stunde länger.

„Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2024 in Kraft“, heißt es im Referentenentwurf. Doch die Wahrscheinlichkeit sinkt mit jeder Landtagssitzung ohne diesen Tagesordnungspunkt. Einige bezweifeln gar, dass die Novelle überhaupt noch in dieser Legislatur realisierbar ist. Immerhin wählt Sachsen in 13 Monaten bereits den nächsten Landtag. Es wäre der zweite gescheiterte Anlauf.

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