Die Ära endet mit einem Lächeln und einer kleinen Verbeugung. Nach mehr als 13 Jahren an der Spitze hat sich Dieter Zetsche als Vorstandschef bei Daimler verabschiedet. Unter Führung des 49 Jahre alten Schweden Ola Källenius geht der Stuttgarter Autobauer nun in das „Projekt Zukunft“, einen umfassenden Konzernumbau, der Daimler in der sich wandelnden Branche schneller und flexibler machen soll. Zum Abschied betonte Zetsche noch einmal die Notwendigkeit eines strikten Sparkurses. „Alles steht auf dem Prüfstand“, sagte der 66-Jährige bei der Hauptversammlung in Berlin.
Im Normalfall wird ein Managerausscheiden von sächsischen Bürgermeistern zwar registriert, aber mehr auch nicht. Anders bei Zetsche. Denn den kennt man hier genauer. Zumindest in Kamenz. Und es schwingt in den Erinnerungen des Kamenzer Oberbürgermeisters Roland Dantz (parteilos) durchaus Wehmut mit: „Als ich das erste Mal Herrn Dr. Zetsche begegnete und er im Rahmen eines Empfanges zu den Anwesenden sprach und deutlich die Verantwortung eines Unternehmens für den Wirtschaftsstandort Deutschland hervorhob, war ich sehr beeindruckt. Denn es waren Worte in einer Zeit, als auch die Entwicklung des Standortes – damals der Evonic/Daimler AG – auf der Kippe stand.“ Dantz erinnert sich, dass Zetsche auf seine Frage hin, was mit unserem Standort in Kamenz wird, nachdem sich Evonic Industries zurückgezogen hatte und Hunderte Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, sagte: „Herr Dantz, wir wissen (damals 2011), Elektromobilität entwickelt sich anders, als wir es erwartet hatten – aber wir bleiben.“ Mit diesem gegebenen Wort „wir bleiben“ ist heute ein Standort der Deutschen Accumotive mit mehr als 1 300 Beschäftigten entstanden.
Kamenz und die Region – wir haben viele Gründe, Herrn Dr. Zetsche für seinen Einsatz zu danken, so Dantz. „Herr Dr. Zetsche hat insbesondere das Engagement der Menschen vor Ort hervorgehoben, den Leistungswillen und die Leistungsbereitschaft der hier Lebenden. Und er hat etwas bei der Grundsteinlegung gesagt, was ich uns allen auch gern noch einmal in Erinnerung bringen möchte: ‚Die Daimler AG und Kamenz, das ist eine Elitepartnerschaft.' Ein größeres Kompliment kann man einem Wirtschaftsstandort nicht machen.“
Dieter Zetsche hatte 2006 die Führung des Daimler-Konzerns übernommen. In seiner Amtszeit löste er die Ehe mit dem US-Autobauer Chrysler, die erst euphorisch gefeiert worden war, sich dann aber schnell zur Belastung entwickelt hatte. Nach der Finanzkrise führte er den Konzern aus einer schweren Flaute, er modernisierte das als altbacken kritisierte Design bei Mercedes-Benz und eroberte damit jüngere Käuferschichten. Nach vielen Jahren hinter dem Erzrivalen BMW konnte Mercedes 2016 die Weltspitze bei Premium-Autos zurückerobern.
Kritik am letzten Tag
Zetsches Erfolge sind unter den Aktionären unbestritten, es gab viel Applaus am Mittwoch – wenn auch keinen überschwänglichen. Kritik musste sich Zetsche an seinem letzten Tag aber auch anhören: An der finanziellen Performance, aber auch am Umgang etwa mit dem Dieselskandal, in dem Daimler immer noch im Visier von Behörden und Ermittlern ist. Ricardo Wintzer von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sprach in Anspielung auf das „Projekt Zukunft“ vom „Projekt Vergangenheit“ – und meinte damit eben teure Dieselrückrufe, Verkaufsstopps und Kartellverfahren.
Und vielen Aktionären bleibt unter dem Strich einfach auch zu wenig übrig. „Daimler hat ein chronisches Effizienzproblem, das Herr Zetsche nie wirklich angepackt hat“, kritisierte Janne Werning von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Daimler kämpfe an allen Fronten, und die Renditeziele seien in weite Ferne gerückt, stellte auch Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka Investment fest.
Acht bis zehn Prozent Rendite etwa soll die Autosparte eigentlich bringen. Der Wert gibt an, wie viel vom Umsatz nach Abzug aller Kosten letztlich übrig bleibt – und wird das Zielniveau wohl erst 2021 wieder erreichen, wie Zetsche betonte.
Gemeinhin heiße es ja, man solle Schluss machen, wenn es am schönsten sei – diesen Zeitpunkt habe Zetsche verpasst, sagte Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Sie übernehmen ein Haus in stürmischen Zeiten“, merkte er in Richtung Källenius an, „in sehr stürmischen Zeiten“.
Und so ist es nun an ihm, die Kosten im Unternehmen zu senken und die Effizienz zu steigern. Details wird Källenius irgendwann vorlegen müssen, der bislang Entwicklungschef bei Daimler war. Die weltweiten Handelskonflikte, teure Diesel-Rückrufe und Probleme bei der Umstellung auf den neuen Abgasteststandard WLTP hatten 2018 dafür gesorgt, dass Daimler mehr als ein Viertel seines Gewinns einbüßte. Allein das Diesel-Thema habe 2018 einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag gekostet, sagte der ebenfalls scheidende Finanzchef Bodo Uebber. Am Ende waren unter dem Strich zwar immer noch fast 7,6 Milliarden Euro geblieben. An den langfristigen Zielen des Konzerns bemessen, ist das aber zu wenig. Auch der Start ins Jahr 2019 verlief eher schleppend.
Daimler investiert derzeit Milliarden in die Elektromobilität. Das erste reine E-Modell ist gerade auf den Markt gekommen, bis 2022 soll jeder Mercedes zumindest teilweise auch mit Strom fahren. Bis 2040 will Daimler die gesamte Neuwagen-Flotte CO2-neutral machen. Dazu kommen ganz neue digitale Geschäftsfelder. „Die neuen, zusätzlichen Technologien im Auto haben ihren Preis“, sagte Zetsche. Die Fahrzeuge für die Kunden nicht unerschwinglich werden zu lassen, sei nun die große Aufgabe. (mit dpa)
Von Nico Esch, Marco Engemann und Frank Oehl
Foto: © Michael Kappeler/dpa