Von Georg Moeritz
Dresden. Was macht ein Friseurlehrling, wenn er keine Haare schneiden darf? Er schaut sich schon mal den Lehrstoff für die nächsten Monate an. Das ist jedenfalls ein Vorschlag der Jugendsekretäre im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Sachsen und der Arbeitsagentur. Doch in einer Umfrage für den DGB-Ausbildungsreport Sachsen gab fast jeder vierte Auszubildende an, dass er wegen Corona in Kurzarbeit sei.
„Erschreckend hoch“ findet Sachsens stellvertretende DGB-Vorsitzende Anne Neuendorf dieses Ergebnis. Kurzarbeit für Auszubildende dürfe nur das allerletzte Mittel sein, sagt Jugendsekretärin Marlen Schröder. Zunächst müssten die Betriebe versuchen, die Ausbildung umzustellen, die Jugendlichen in anderen Abteilungen unterzubringen oder ihnen schriftliche Aufgaben zu stellen.
Frank Vollgold, Sprecher der sächsischen Arbeitsagenturen, sieht Kurzarbeit für Lehrlinge auch nicht gerne. Seine Statistik sagt zwar nichts darüber aus, wie viele tatsächlich in Kurzarbeit sind. Doch grundsätzlich seien Betriebe zur Ausbildung durch den Lehrvertrag verpflichtet und müssten versuchen, zum Beispiel Ausbildungsinhalte aus einem späteren Lehrjahr vorzuziehen.
Die Arbeitsagentur bietet Betrieben bis zu 75 Prozent Zuschuss zur Ausbildungsvergütung pro Monat, wenn die Lehre trotz Arbeitsausfalls von mindestens 50 Prozent fortgesetzt wird. Anträge können beim Arbeitgeberservice der örtlichen Agentur für Arbeit gestellt werden.
Drei Viertel finden ihre Ausbildung gut
Laut Marlen Schröder hat mehr als die Hälfte der Auszubildenden in der Umfrage angegeben, jetzt mit den Prüfungsvorbereitungen schlecht voranzukommen. „Die Uhr tickt“, sagt die Jugendsekretärin. Corona dürfe nicht zu dauerhaften Nachteilen führen.
Das betonen auch die sächsischen Industrie- und Handelskammern: Der Dresdner Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann fordert, den Berufsschulbetrieb zumindest in den Abschlussklassen bald wieder zuzulassen – im Hinblick auf die Fachkräftesicherung für Sachsens Wirtschaft. Es drohten Prüfungsverschiebungen und Verlängerungen der Ausbildungsverhältnisse. Wer sich auf die Abschlussprüfungen im Mai vorbereiten müsse, dürfe nicht schlechter behandelt werden als Realschüler und Gymnasiasten.
Der Nachwuchsbedarf der Unternehmen ist allerdings auch für die Gewerkschaftsjugend ein Argument, wenn sie Forderungen stellt. Laut Umfrage bewerten zwar drei Viertel der sächsischen Lehrlinge ihre Ausbildung im Betrieb als gut oder sehr gut. Das liege über dem Bundesdurchschnitt und sei auch besser als bei der Umfrage vor drei Jahren. Doch ein Viertel Unzufriedene „können wir uns nicht leisten“, sagt Anne Neuendorf.
Hoffnung auf Appartements und Azubi-Tickets
Auffallende niedrige Zufriedenheit gab es in der Umfrage bei Zahntechnik, Friseur, Verkauf, Küche. Jeder Zehnte gab an, sein Ausbilder sei selten oder nie präsent. Einige Jugendliche mussten verbotenerweise länger als 40 Wochenstunden arbeiten. Zu wenige hatten Aussichten auf eine unbefristete Übernahme nach der Ausbildung – das passe nicht zum Fachkräftebedarf, finden die Gewerkschafter.
Laut Neuendorf mussten manche Auszubildende jüngst auch Aufgaben von Beschäftigten übernehmen, die in Kurzarbeit sind oder ihre Kinder betreuen. Der Betrieb sei aber zuallererst Ausbildungs- und nicht Arbeitsstätte: „Auszubildende dürfen keine Lückenfüller sein.“
Für den DGB-Ausbildungsreport wurden 1.144 Auszubildende aus Sachsen befragt. Dabei stellte sich auch heraus, dass Lehrlinge im Schnitt heutzutage älter sind als früher üblich. Sie stellen zunehmend den Anspruch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Drei Viertel hätten gerne eine eigene Wohnung, doch nur ein Drittel kann sich den Wunsch erfüllen.
Die DGB-Jugend fordert daher, dass der Staat den Bau von Ausbildungs-Appartements fördert, auch im ländlichen Raum. Außerdem müssten die Azubi-Tickets in Sachsen billiger werden.