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Sächsische Weltraummission: Die Erben des Dresdner Düsenjets 152 wollen hoch hinaus

Sachsens kleine Raumfahrtbranche will mit einem eigenen Satelliten ins All. Sie erhofft sich neben Aufmerksamkeit vor allem Rüstungsaufträge. Wer steckt dahinter? Ein Blick auf die Senkrechtstarter mit Ambitionen.

Lesedauer: 4 Minuten

Michael Rothe

Dresden. Wolfgang Göhler hat sich geirrt. „Man kann beklagen, dass es hier keine Endfertigung mehr gibt, wird es aber nicht ändern“, hatte der Vorstand des Kompetenzzentrums Luft- und Raumfahrttechnik Sachsen/Thüringen (LRT) 2018 in einem Interview dieser Zeitung gesagt. Dennoch stehe die Branche in Sachsen glänzend da, „weil Russland-Sanktionen, Brexit und Handelskriege sie kaum berühren“.

Letztlich kam es anders: In Leipzig wird demnächst wieder ein 40-sitziges Passagierflugzeug gebaut, und Sanktionen sowie gestörte Lieferketten schlagen sieben Jahre später speziell bei der Luftfahrt ins Kontor. Dazwischen gab’s noch eine Pandemie, in der viele Flugzeuge am Boden und Bestellungen aus blieben. Aber die Branche steht erneut gut da. Und die Erben des legendären Dresdner Düsenjets 152 wollen noch höher hinaus und in absehbarer Zeit einen eigenen Satelliten „Made in Saxony“ ins All schicken.

Eine erste Bühne bot sich am Donnerstag beim 19. Tag der deutschen Luft- und Raumfahrtregionen. Zu dem Event waren fast 400 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gekommen. Über 40 Unternehmen und Einrichtungen präsentierten sich mit Ständen. Der Branchentreff fand zum zweiten Mal im Dresdner Flughafen statt, und die Rüstung spielte wegen der veränderten Sicherheitslage eine weit größere Rolle als 2016.

Der Milliardenmarkt Rüstung lockt

Der Bundesverband der deutschen Industrie sieht bis 2040 ein globales Marktvolumen für weltraumgestützte Anwendungen von rund 1,25 Billionen Euro. Allein die Bundeswehr erwartet in den nächsten zehn Jahren Investitionen von 100 Milliarden Euro in die Weltrauminfrastruktur. „In diesen Markt muss der Freistaat frühzeitig einsteigen“, rät LRT-Experte Göhler. Der 70-Jährige war Chef des Coswiger Komponenten-Herstellers HTS, später Standort des Schweizer Rüstungsriesen Ruag AG und seit vorigem Herbst Teil des Zeiss-Konzerns in Oberkochen.

Sachsens Raumfahrtbranche kann auf einem großen Potenzial in Lehre, Forschung und Hightech aufbauen. So erforscht und entwickelt das Institut für Luft- und Raumfahrttechnik ILR der TU Dresden unter anderem hochintegrierte Nanosatelliten mit wenigen Zentimetern Kantenlänge.

Die optische Bank für Athena hält Spiegel-Segmente millimetergenau in Position. Die 2,7 Meter große Plattform wird im Dresdner IWS aus einer Titanlegierung im 3D-Druck gefertigt. Sie soll Hunderte optische Elemente für das Weltraumteleskop der ESA-Mission tragen. Quelle: IWS Dresden

Das Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS hat ein Triebwerk entwickelt, das 30 Prozent Treibstoff spart. Für die New-Athena-Mission der Europäischen Weltraumorganisation Esa stellen die Forscher die mit 2,7 Metern Durchmesser größte optische Bank aus Titan im 3D-Druck her.

160 Unternehmen mit 7000 Beschäftigten

Auch vom Deutschen Zentrum für Astrophysik in Görlitz erwartet das Kompetenzzentrum LRT viele neue Impulse. Die Forschungseinrichtung war im Zuge der Strukturwandel-Milliarden in der Lausitz gegründet worden.

In Sachsens Luft- und Raumfahrt erwirtschaften rund 160 Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit über 7.000 Beschäftigten jährlich einen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro. Laut Wirtschaftsministerium in Dresden fließen bis zu 13 Prozent davon wieder in Forschung und Entwicklung. Mit dieser Innovationsquote seien sie den meisten anderen Branchen weit voraus, heißt es.

Die Kernkompetenzen liegen in der Aus- und Umrüstung von Flugzeugen, der Fertigung von Leichtbaukomponenten, der Prüf- und Sensortechnik, Tests von Flugzeugstrukturen, Forschung und Entwicklung sowie in der Wartung von Fluggerät. Dafür stehen Namen wie: Elbe Flugzeugwerke, IMA Materialforschung und Anwendungstechnik in Dresden, AOA Apparatebau Gauting in Dresden, ADZ Nagano in Ottendorf-Okrilla, PMG Precision Mechanics Group in Wilsdruff, Cotesa in Mittweida.

Erstmals wieder Flugzeugbau in Sachsen

Die Genannten und weitere Zulieferer wollen mit im Boot sein, wenn die Deutsche Aircraft in Leipzig und General Atomic mit Sitz in Dresden erstmals seit Jahrzehnten wieder Passagierflugzeuge in Deutschland bauen. Beide entwickeln mit der DO 328 eco und der DO 228 NXT Nachfolger der Turboprop-Maschine von Dornier weiter.

Andererseits spielt Sachsen in der Raumfahrt, wo Bayern, Baden-Württemberg und Bremen dominieren, keine Rolle. Andreas Knopp, Professor an der Universität der Bundeswehr in München, spricht von „keinen zehn Start-ups, die höchstens lose zusammenarbeiten“. Zu den Etablierten gehören z. B. Applus+IMA mit Zulassungstests für Trägerraketen vom Typ Ariane und Vega, D3TN, Neosat, R&S Inradios, Phytronic und Talos. Größter Player ist Morpheus, das elektrische Satellitenantriebe in Serie produziert.

Wissenschaftler Knopp, der mit seiner Familie in Bad Elster lebt, sieht im wachsenden Verteidigungsbedarf eine Chance, das zu ändern. Speziell in der Nachrichtentechnik gebe es eine Lücke, in die Sachsen als größter Halbleiterstandort Europas stoßen könne – von Kabeln bis zu komplexer Signalverarbeitung, so Knopp.

Ein eigener Satellit als „Türöffner“ für Aufträge

Auch die Industrie- und Handelskammern haben das Thema für sich entdeckt. Das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro dürfe „nicht einfach so an uns vorbeirauschen“, mahnt Dresdens IHK-Präsident Andreas Sperl. Verteidigung sei in großen Teilen Informationstechnologie zur Aufklärung und Cybersicherheit, sagt der Ex-Chef der Elbe Flugzeugwerke. Gerade „Dual Use-Anwendungen“ – Technologien, die zivil und militärisch eingesetzt werden können – eröffneten Möglichkeiten.

Die Extra-Milliarden gingen üblicherweise durch große Rüstungsfirmen, die Großprojekte stemmen könnten, sagt Knopp. „Wer den großen Systemintegratoren nicht zeigen konnte, dass er technologisch etwas beitragen kann, ist in der Vergangenheit leer ausgegangen“, so Knopp.

Das soll nun durch Saxon-1, einen Satelliten „Made in Saxony“ erfolgen. Laut LRT-Vorstand Göhler ließe sich der „Türöffner“ mit dem führenden Raumfahrtunternehmen OHB als strategischen Partner in anderthalb Jahren realisieren – vorausgesetzt, die Politik spielt mit.

8000 neue Jobs in Sachsen denkbar

Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) will ebenfalls mehr Rüstungsfirmen im Freistaat – auch wenn das viele kritisch sehen. Deshalb war die geplante Munitionsfabrik von Rheinmetall in Großenhain geplatzt, und auch in Görlitz gab es Proteste, weil dort künftig Panzer statt Eisenbahnwaggons gebaut werden. Nach Ansicht von Experten lassen sich Investitionen in Kommunikationstechnik aber leichter vermitteln.

Die Raumfahrtbranche entwickelt sich nach Ansicht von Andreas Knopp „sehr positiv“. Allein in Bayern seien 8.000 Jobs entstanden, meist in innovativen Hightech-Berufen mit sehr guten Verdienstmöglichkeiten. Das sei auch in Sachsen möglich, so Knopp.

So hatte LRT-Experte Göhler bei seiner Prognose für Sachsens Luft- und Raumfahrtindustrie doch Recht: „Wir können optimistisch in die Zukunft schauen.“ Ein Wermutstropfen: Die Elbe Flugzeugwerke haben angekündigt, im nächsten Jahr 300 Beschäftigte mangels Aufträgen zu verleihen.

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