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Allein unter Männern

Eine einzige Frau arbeitet als Kranfahrerin im Stahlwerk. Das muss aber nicht so bleiben.

Lesedauer: 3 Minuten

Riesa. Manche Klischees stimmen: In einem Stahlwerk geht es laut zu, es ist staubig und heiß. Das ist auch in der Verladehalle nicht anders – wenn an diesem Julitag auch die Temperaturen noch recht erträglich sind. Aber laut ist es tatsächlich. Der neu hergestellte Stabstahl poltert alle paar Minuten mit ohrenbetäubendem Lärm über eine Rutsche. Es zischt, dröhnt und rumpelt. Die 40-Tonner, die im Schritttempo in die Halle rollen, hört man da kaum. Schon eher die Diesellok, die jetzt von der anderen Seite drei flache Transportwagen in das von Scheinwerfern erhellte, turnhallengroße Gebäude schiebt.

Elvira Sitta muss sie alle im Blick behalten: Fünf Meter über Lastwagen und Güterzug thront sie in einem weichen Sessel. Eine rundum verglaste Kabine gibt den Blick frei auf die schmale Fahrbahn für die Lkws, die aufgetürmten Bündel von Bewehrungsstahl. Und auf eine gelbe Konstruktion mit drei quadratischen Magneten dran. Die steuert die Gröditzerin mit zwei Joysticks: Die linke Hand lässt den ganzen Kran auf Schienen unter der Decke hin- und herrollen, die rechte steuert das Heben und Drehen der Lasten. 30 Tonnen kann der Kran heben. Mit einem Klick schaltet der Magnet an, sodass sich massive Stahlbündel dran heften, als wären sie nicht schwerer als eine Packung Spaghetti.

Das wahre Gewicht zeigt sich, als sie die nächste Fuhre auf einen Lkw absetzt: Der Lastzug geht merklich in die Knie. Lkws aus Luckau, Belgern, Tschechien, Polen reihen sich aneinander – etwa 50 pro Tag kommen, um Riesaer Stahl auf Baustellen im weiten Umkreis zu liefern. Jeder muss die richtige Ladung aufgeladen bekommen, was Länge, Stärke, Material angeht. Elvira Sitta erhält die Wünsche per Funk.

Das war auch schon vor 40 Jahren so: 1978 hatte sie im Gröditzer Stahlwerk als Kranfahrerin angefangen. Dort saß sie am Gießkran wie am Schmiedekran, wo die großen heißen Blöcke an die Pressen gefahren werden musste. „Eine Klimaanlage gab es damals nicht“, sagt die 58-Jährige. „Damals konnte man kaum was anfassen, weil es so heiß war.“ Mit Magneten wurde damals wie heute gearbeitet. „Wenn der Strom ausfiel, hielt die Last nur noch kurze Zeit. Da durfte keiner drunter stehen“, erinnert sich die Kranfahrerin. Das sollte bei Feralpi nicht passieren: Das Werk hat seine eigene Stromversorgung.

„Zu DDR-Zeiten war der Beruf des Kranfahrers ein typischer Frauenberuf im Stahlwerk“, sagt Kai Holzmüller, Personalchef bei Feralpi. Das änderte sich nach der Wende: Viele Frauen hätten das Stahlwerk verlassen und seien nicht mehr zurückgekommen. Und so ist Elvira Sitta heute die einzige weibliche Kranfahrerin im Stahlwerk Riesa: Während ihr Mann nach wie vor im Stahlwerk Gröditz arbeitet, hatte sich die 58-Jährige nach 1996 mit diversen Nebenjobs beschäftigt, bevor sie als Leiharbeiterin bei Feralpi wieder in ihren gelernten Beruf kam.

„Ich habe zwischenzeitlich zum Beispiel in einem Unternehmen Spülmittel und Waschpulver abgefüllt und in einem westdeutschen Weingut bei der Pralinenherstellung geholfen.“ – Nun aber steuert sie wie vor Jahrzehnten zentimetergenau tonnenschwere Lasten: hoch, rüber, runter. Die Schalldämmung der Kabine schluckt einen Teil des Lärms. Bei Feralpi kann man sich gut vorstellen, dass wieder mehr Frauen in den Beruf einsteigen.

„Wir wollen Personengruppen ansprechen, die nicht gleich dran denken würden, dass es im Stahlwerk Jobs für sie gibt“, sagt der Personalchef. Es lockt die Arbeit bei einem namhaften Unternehmen, bei dem gerade erst der Tariflohn erhöht wurde. Dafür gibt es aber auch die Herausforderung von Schichtarbeit – auch am Wochenende: Ein Stahlwerk schaltet man nicht einfach am Feierabend ab. Die Pfannen müssen heiß bleiben. Erwartet wird Höhen- und Hitzetauglichkeit. Schwerste körperliche Arbeit aber, die habe man als Kranfahrer nicht. Und den Kranschein könne man in Riesa auf Kosten der Firma machen. Ob man Geschick zum Kranfahren hat, zeigt sich jedenfalls schnell – sagt ein erfahrener Mitarbeiter. Gut möglich, dass er bald noch mehr Kolleginnen bekommt.

www.feralpi.de/de/karriere.html

 

von Christoph Scharf

Bildquelle: Sebastian Schultz

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