Die spinnen ja. Unendlich viel sogar. Kilometerlange dünne Fäden aus Kunststoff jagen durch die Edelstahl-Apparatur. Vom ersten Stock durch den Fußboden hindurch in den Keller hinab. Rausgepresst aus winzigen Düsen, sie werden gezogen und dabei immer dünner, vorbei am Kühlgebläse, über Rollen hinweg, Walzen, über Heizkörper und nochmals gestreckt.
Wir sind im Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF). Hier wird mit neuartigen Kunststoffen für Kfz bis hin zur Medizin geforscht. Und in einem Teilbericht vom IPF geht es auch um neuartige Kunststoff-Fasern. Andreas Leuteritz, dem Gruppenleiter Reaktionstechnik, geht es um die flotten Fäden in den großen Aggregaten. Nur 70 Mikrometer dünn sind diese Fasern, letztendlich aufgewickelt auf einer Spule. Etwa so fein wie ein Haar ist das Produkt. Und ausgerechnet das soll Mückenstiche abhalten? Die Skepsis wächst.
Doch Andreas Leuteritz räumt diese aus dem Weg. Er ist schlichtweg begeistert. „So etwas passiert dir im Forscherleben nur einmal“, sagt er. Dabei sein, angefangen beim Molekül, das die Mücken vertreiben kann, dann die Rezeptur entwickeln, die Technologie erfinden. Am Ende ein Produkt zu haben – „einfach fantastisch“. Das Produkt ist rosa und rund, flauschig und dehnbar. Der Mückenstrumpf. Okay, auch in Grau, Braun ist er noch erhältlich, zur etwas dezenteren Tragweise beim Trekking.
Drei Jahre Entwicklung stecken darin und zwanzig Jahre Erfahrung mit dem Spinnen von Polymerfäden. „Ohne diese Erfahrung hätten wir das nie hinbekommen“, sagt Andreas Leuteritz. Zu dieser Erfahrung kam eines Tages die geniale Idee: Wie wäre es, wenn man sich nicht mehr mit Anti-Mücken-Mittel einsprühen oder einreiben müsste? Mthokozisi Sibanda aus Südafrika war da gerade Gastwissenschaftler am IPF, und Malaria für sein Land ein großes, nach wie vor ungelöstes Problem. Moskitos, oder exakter die Anopheles-Mücken, übertragen die Malaria-Erregern mit ihrem Stich. Und den setzen sie, anders als unsere Mücken, besonders gern am Fuß, am Knöchel an. 95 Prozent aller Moskito-Stiche gehen genau dahin. Was wäre, wenn das eine Socke verhindern könnte?
Sie kann es verhindern. Nach drei Jahren und Hunderten Versuchen gibt es jetzt NoBuzz. In Rosa, Grau und Braun. Acht Monate lang soll diese Socke eine definierte Menge Anti-Moskito-Mittel abgeben. „Wir garantieren damit auch nach 24 Wäschen noch die vollständige Wirkung“, sagt Leuteritz. Danach wird der Mückenstrumpf halt mehr und mehr zur ganz normalen Socke. Mthokozisi Sibanda, der ehemalige Doktorand aus Südafrika, hat inzwischen in Pretoria eine Ausgründung aus der Uni geschaffen und beginnt jetzt mit der Produktion dieses Mückenstrumpfes. Mit Outdoor-Händlern weltweit sei man bereits im Gespräch.
Bei dieser einen Socke wird es wohl nicht bleiben. Jetzt sind noch mehr, ganz unterschiedliche Rezepturen auch gegen andere plagende Insekten in Arbeit. Vor allem gegen Zecken. Der Mückenstrumpf 2.0 soll diese Spinnentiere fernhalten. Statt Socken könnte dafür aber vielleicht schon ein Spezial-Stoffband am Knöchel und am Handgelenk reichen. „Wir arbeiten daran. Ein Forschungsprojekt dazu läuft bereits“, sagt Leuteritz.
Was aber macht diese Mückensocke so besonders? Was macht sie anders als bisherige Mücken-Stopper mit stichdichtem Gewebe? Der Stoff ist zumindest nicht so dicht, dass da kein Moskito hindurchpassen würde. Im Gegenteil, eher luftig gestrickt ist der Strumpf. Getränkt in eine Anti-Mücken-Lösung wird die fertige Socke jedoch auch nicht. Andere Hersteller machen dies so . Sie haben damit aber die Chemie draußen auf den Fäden und so auch direkt am Körper. „Alles was die Mücke tötet, das schädigt auch den Menschen irgendwann irgendwie etwas“, sagt Leuteritz. „Unsere Idee war es daher, etwas zu verwenden, bei dem kein direkter Kontakt mehr mit dem Wirkstoff besteht.“ Und bei all den Cremes und Lotions komme jedes Mal sowieso viel zu viel davon auf die Haut. Unabsichtlich unnötig. Hautreizungen sind möglich. Auch Veränderungen in der Haut selbst. Die Idee daher, der Wirkstoff muss von der Haut verschwinden.
NoBuzz wirkt von innen heraus, sagt Leuteritz. Es ging ihm und dem Team darum, die bisher existierenden relativ giftigen Stoffe zu ersetzen oder zu verpacken. Die NoBuzz-Socke besteht zu 90 Prozent aus Baumwolle. Den Trick machen dann die zehn Prozent Kunstfasern darin aus. Jene gesponnenen Fäden, die aus zwölf viel dünneren Filamenten nebeneinander bestehen.
Und in diesen dünnsten Fasern, den Filamenten, steckt das eigentliche Know-how. Die nur zwei hundertstel Millimeter dünnen Filamente bestehen aus einem inneren Kern und einem äußeren Mantel. Beides sind Kunststoffe, unterschiedliche jedoch. Im Inneren ist das Anti-Mücken-Mittel eingebaut, der Mantel dann gibt den Filamenten Stabilität und bestimmt die Dosis. Jene Dosis, wie viele Anti-Mücken-Moleküle pro Stunde durch diesen Mantel hindurchwandern können. Das ist entscheidend für die Wirksamkeit, aber auch für die Lebensdauer der Socke. Denn driftet zu viel zu schnell vom chemischen Cocktail heraus, ist Schluss nach wenigen Wochen. Kommt zu wenig an die Luft um den Knöchel, lachen sich die Mücken kaputt und stechen munter weiter zu.
„Das machen sie garantiert nicht mehr“, sagt Leuteritz. „Die verziehen sich. Der Strumpf wirkt.“ Auch dafür gibt es einen wissenschaftlichen Nachweis. Das IPF kooperiert beim Mückenstrumpf unter anderem mit dem Institute for Sustainable Malaria Control der Universität Pretoria. Dort haben Versuche mit realen Socken und realen Füßen in der Mückenkammer stattgefunden. Zwei Füße in einer Kammer mit definierter Mückenzahl für eine festgelegte Zeit. Hinterher werden die Einstiche gezählt. Die Mücken hatten keinen Spaß mehr, zumindest bei den letzten Prototypen der Mückensocke.
Insgesamt elf Erfindungen stellt die Sächsische Zeitung in ihrer Serie „Genial Sächsisch“ vor.
Von Stephan Schön
Foto: © Thomas Kretschel