Der Mann ist groß und schlank, braun gebrannt und hat eine tiefe, angenehme Stimme. Das Hemd ist faltenfrei, die Frisur sitzt. Ein richtiger Fernsehmann eben. Wenn er in Sachsen irgendwo einen Raum betritt, zieht er die Blicke der anderen ganz unwillkürlich auf sich: Guck mal, ist das nicht? Ist das nicht, der Escher?
Ja, er ist es. Peter Escher, 64 Jahre alt, der Mann mit dem Helfersyndrom, beliebt bei allen Menschen, die mit irgendetwas oder irgendwem ein Problem haben. Escher hilft – oder ein Fall für Escher. So hieß seine populäre MDR-Fernsehserie. Sie lief achtzehneinhalb Jahre zur besten Sendezeit, 850 Ausgaben, erreichte bundesweit mehr als 500 Millionen Zuschauer, bekam 300.000 Zuschriften, 3.000 Hilferufe wurden aufgegriffen, davon 1.000 Fälle komplett gelöst.
Die Bilanz sieht fast makellos aus. Der MDR sollte sich glücklich schätzen, solch einen Star zu haben, der nicht nur eine unterhaltsame Fernseh-Show dauerhaft erfolgreich präsentierte, sondern Menschen in Not tatsächlich half. Escher war glaubwürdig. Man sprach ihn auf der Straße an: „Herr Escher, können Sie mir bitte helfen? Das Finanzamt hat mir einen Brief geschrieben. Ich verstehe ihn nicht.“ Manchmal genügte schon die Erwähnung seines Namens. Eine Frau zog Escher am Arm und sagte: „Die Krankenkasse hat meine Kur abgelehnt. Ich sagte denen, ich werde an Escher schreiben. Da haben sie die Kur plötzlich genehmigt. Ist das nicht toll?“ Urlaube in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen waren für die Familie Escher (mit Ehefrau, Kindern und Enkeln) prinzipiell nicht angeraten.
Escher erinnert sich an große Fälle, wie die Geschichte eines jungen Mannes, ein Verbrechensopfer, das im Krankenhaus falsch behandelt wurde. Ein großer der Fall, der Gerichte und Escher über Jahre beschäftigte. Dann räumte die Klinik Fehler ein und die Haftpflichtversicherung zahlte endlich. Irgendwann nahm aber der Ärger überhand. Angegriffene Firmen wehrten sich, brachten Anwälte – von kritisierten Partnervermittlungen beispielsweise – in Stellung, es gab Gerichtsverhandlungen und sogar Strafen. Journalistisch war immer alles korrekt, aber auch juristisch? Vor Gericht und auf hoher See… Der Produzent raufte sich die Haare. Es könne doch nicht sein, dass er mehr Geld in Anwälte und Gerichte investieren müsse, als in das Ratgeberformat. Die Sendung anonymisierte fortan Betroffene, verlor dadurch an Biss, und 2013 einigten sich alle Beteiligten: Einstellung.
Escher hatte sofort ein neues Format entwickelt: „Meine zweite Chance“. Die erhielten beispielsweise eine Lokführerin, die drei Selbstmorde erlebt hatte, ein Banker, der den Umsatzdruck nicht mehr aushielt, und eine Dresdnerin, die erst mit 42 Jahren lesen lernte. Escher machte 20 Sendungen mit 40 Porträts, da sagte der MDR etwas überraschend: „Lieber Herr Escher, tolle Sendung, aber die Quote reicht uns nicht. Wir stellen das Format ein.“ Das war 2015 und ein heftiger Schlag ins Kontor.
Ein Fall für Escher
Peter Escher wurde am 28. Juni 1954 in Weißwasser geboren. Ab 1976 arbeitete er beim Rundfunk der DDR, flüchtete 1989 in die Bundesrepublik, war bei Radio Charivari und Redakteur bei der Talkshow Hans Meiser. Von 1995 bis 2013 moderierte er die MDR-Ratgebersendung „Ein Fall für Escher“.
2002 wurde die Peter-Escher-Stiftung gegründet. In der seit 2007 im MDR ausgestrahlten Fernsehsendung „Die Spur der Täter“ begleitet Escher Kriminalpolizisten.
2008 erschien seine Autobiografie „Ein Fall für mich“. Ab November 2015 war Escher mit einem Online-Ratgeber mit dem Dresdner Rechtsanwalt Frank H. aktiv.
Im August 2016 beantragte die Firma Escher Hilft GmbH Insolvenz.
Seit 1. Juli 2017 ist Escher Verbraucherexperte beim Online-Ratgeber „MoneyCheck.de“. Aktuell engagiert er sich in der „Pro Clienta – Unfallhilfe.
Escher war Freiberufler und über Nacht brach ein Großteil seiner jährlichen Einnahmen weg. „Ich heiße nicht Harald Schmidt“, sagt Escher. „Sendung verschwunden und gleich geht es auf Kreuzfahrt? Nein, ich bin auf Erwerbstätigkeit angewiesen.“ Escher ist von seinen Eltern in Weißwasser zu Standhaftigkeit und Optimismus erzogen worden. Auch schwere Schicksalstreffer hält er aus. Und das war ein schwerer Schicksalstreffer.
Die Zukunft ist online, sagte sich Escher. Was denn sonst? Und Leute haben immer Sorgen, müssen kämpfen gegen Ämter, Krankenkassen oder sogar betrügerische Firmen. Diese Menschen benötigen Rat, am besten rasch und konkret im Internet. Escher war froh, einen scheinbar ähnlich tickenden Partner gefunden zu haben: den Dresdner Anwalt Frank H. Sie gründeten eine gemeinsame Firma, die Escher hilft GmbH. Doch das ging gründlich schief.
Der Namensgeber ging davon aus, dass der Anwalt die juristische und kaufmännische Seite vertritt, er selbst die kreativ-journalistische. Aufgeschrieben haben sie ihre Rollenverteilung aber nicht. „Mein großer Fehler war“, sagt Escher, „dass ich meinem Geschäftspartner zu sehr vertraut und die Geschäfte nicht kontrolliert habe.“
Ein Jahr etwa existierte die Firma. Als Peter Escher die Schieflage erkannte, war es schon zu spät. Er meldete Insolvenz an. Laut Gesellschaftervertrag waren beide gleichberechtigte Partner. Sie müssen also gemeinsam für die Schulden in sechstelliger Höhe geradestehen. Laut GmbH-Recht haften Gesellschafter nur mit ihrer Einlage von 25.000 Euro, da das die Banken aber auch wissen, geben sie neuen, wackligen GmbHs keine Kredite ohne Absicherung durch eine Bürgschaft. Also musste Escher mit seinem Privatvermögen bürgen. Sein Ex-Geschäftspartner aber auch.
Escher, der viel Wert legt auf eine positive Ausstrahlung, der gern mal einen Scherz macht und oft lacht, dieser Mann fühlte sich ganz unten angekommen. „Da erzähle ich 20 Jahre lang meinen Zuschauern, worauf sie achten, wovor sie sich hüten sollen, und falle dann selbst auf die Nase“, sagt Escher. Schadenfreude bei seinen Freunden, Bekannten und Fans habe er aber nicht gespürt. Eher Respekt und Anerkennung, wie offen er mit seiner Bauchlandung umgeht. Ihn hat eine Unternehmerin aus München angerufen und schwer gelobt. „Sie schickt der liebe Gott“, sagte sie. „Wie ehrlich Sie umgehen mit Ihrem Scheitern. Das ist eine große Ausnahme. Danke für das positive Signal!“ Niederlagen und Pleiten haben in Deutschland – anders als in Amerika – immer noch einen Makel. Dabei wissen die Gescheiterten doch ganz genau, was sie falsch gemacht haben und werden die Fehler niemals wiederholen.
Inzwischen hat Escher sein Schuldenproblem geordnet. Seinen Anteil an den Krediten der Firma zahlte er an die Bank zurück, musste dafür seine Altersversorgung auflösen und sich noch Geld anderswo borgen. Ein hoher Schuldenberg belastet ihn trotzdem noch.
„Ich bin sehr froh“, sagt Escher, „dass ich gesund bin. Lieber Schulden haben und gesund sein, als reich und krank.“ Er ist zwar schon 64, hat aber die Energie eines 54- oder 44-Jährigen. Er lässt sich nicht unterkriegen und hat schon wieder neue Ziele. Die Online-Beratung lässt ihn nicht los, er ist Verbraucherexperte beim Vergleichsportal „MoneyCheck.de“. Jüngst bat ihn ein bayerisches Energieunternehmen um fachliche Unterstützung. Er wird für die Leute Videos drehen: Aufklärung über den Strom und die Energieerzeugung der Zukunft. „Was ich tue, muss mir Spaß machen“, sagt Escher. „Verbraucher aufklären, das macht mir Spaß und ist sinnvoll.“ Er sei noch nicht völlig in der Senkrechten, aber immerhin schon auf den Knien. Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Sich in die Ecke setzen, mit der Situation hadern und einen Flunsch ziehen, das bringt nichts.
Das Beispiel des jungen Mannes, der seit einem schweren Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzt, beschäftigt Escher heute noch. Der ist von seinen Eltern selbstbewusst und stark erzogen worden. Er gibt niemals auf. Nach dem Crash mit den schlimmen Folgen strahlt er, der eigentlich bei Bayern München Fußball spielen wollte, heute wieder Lebensfreude und Humor aus. Er spielt Rollstuhlrugby in der Nationalmannschaft und hilft als Therapeut anderen Behinderten, ihren Weg ins Leben zurück zu finden. Durch diesen dramatischen Fall lernt Escher die „Pro Clienta Unfallhilfe“ kennen. Ärzte, Anwälte und Sachverständige machen sich für Menschen stark, die durch Unfall oder Krankheit unverschuldet aus der Lebensbahn geworfen werden und in eine Notsituation geraten. Eschers spannende Aufgabe im Unfallhilfe-Team: Er wird in Mitteldeutschland ein Team von Vertrauensleuten aufbauen, die den Betroffenen in ihrem schweren Kampf um Entschädigung zur Seite stehen.
Im Vergleich zum querschnittsgelähmten Unfallopfer ist Eschers Fall vielleicht nur noch eine Episode am Rande. So eine Firmeninsolvenz ist nicht schön, sie ist auch peinlich gegenüber den Mitarbeitern, den Cuttern, den Kameraleuten, die auf ihr Geld warten (einigen hat Escher mit seinen Ersparnissen geholfen), aber sie bedeutet nicht das Ende, den Untergang. Es geht weiter. Immer weiter.
Von Ulf Mallek
Bildquelle: Robert Michael