Suche
Suche

„Das ist kein Spaß mehr”: Warum kommt die Leipziger Wirtschaft nicht aus der Krise?

Die Stimmung in der Wirtschaft will sich nicht aufhellen. In Leipzig und der Region erwartet ein Großteil der Unternehmen sogar einen weiteren Rückgang der Geschäfte. Doch die Krise trifft nicht alle Branchen gleich. Unternehmer berichten.

Lesedauer: 4 Minuten

Florian Reinke und Andreas Dunte

Leipzig. Die Wirtschaft in der Region kommt nicht aus der Krise – und Martin Röhrenbeck spricht jetzt Klartext: „Die Geschäftslage hat sich in den letzten zweieinhalb Jahren zunehmend verschlechtert“, erklärt der Geschäftsführer der Papierverarbeitung Golzern – eines mittelständischen Betriebs, der Papier für die Industrie und Händler nach Wunsch zuschneidet, verpackt und versendet. 65 Mitarbeiter beschäftigt er am Firmensitz in Grimma, und kommt dabei auf zwölf Millionen Euro Jahresumsatz.

Es ist eine Reihe an Problemen, die Röhrenbecks Unternehmen belasten: Die Energiekosten sind stark gestiegen – für eine Papierverarbeitungsanlage ein erheblicher Kostenfaktor. Da seien außerdem zu hohe Kosten für Personal und Bürokratie; zu hohe Steuern und ausufernde „Staatsausgaben, die nicht nachhaltig in Gesellschaft und Wirtschaft investiert werden.“ Das schwäche die Gesellschaft und führe zu Frustration und Hoffnungslosigkeit. Eine gefährliche Mischung – ist Wirtschaft doch auch immer zur Hälfte Psychologie.

Blick in die Hallen der Papierverarbeitung Golzern GmbH: Die regionale Wirtschaft kämpft mit mehreren Problemen gleichzeitig.
Blick in die Hallen der Papierverarbeitung Golzern GmbH: Die regionale Wirtschaft kämpft mit mehreren Problemen gleichzeitig.
Quelle: Thomas Kube

Die Wirtschaft kommt nicht von der Stelle

Was der Unternehmer erlebt, spiegelt sich in Zahlen wider. Die jüngste Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig (IHK) vom Herbst 2025 zeigt: Die Wirtschaft kommt nicht von der Stelle.

An der Befragung beteiligten sich 558 Unternehmen in Leipzig Stadt und Landkreis sowie in Nordsachsen.

Der Geschäftsklimaindex – ein Stimmungsbarometer, das zeigt, ob Unternehmen die aktuelle Lage und die Geschäftsaussichten gut oder schlecht einschätzen – fiel um vier auf 105 Punkte. Die Geschäftserwartungen haben sich sogar spürbar verschlechtert.

Wir befinden uns in schwerem Fahrwasser. Rückblickend auf das letzte Jahr haben wir bereits 8000 Industriearbeitsplätze verloren – das ist kein Spaß mehr. – Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig

Sowohl die Umsatz- als auch Ertragsentwicklung liegen derzeit im negativen Bereich. Die Hoffnung aus dem Frühjahr 2025 scheint verflogen zu sein.

„Wir befinden uns in schwerem Fahrwasser“, warnt Kristian Kirpal, Präsident der IHK zu Leipzig bei der Vorstellung der Zahlen. Rückblickend auf das letzte Jahr seien in Sachsen 8000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen. „Das ist kein Spaß mehr“, betont er. Von einer echten Trendwende könne keine Rede sein.

Warum sich die Stimmung nicht dreht

Auf Bundesebene deutet sich dagegen zumindest vorsichtig eine Verbesserung an: Der wichtige ifo-Geschäftsklimaindex stieg im Oktober 2025 auf 88,4 Zähler – und damit etwas stärker, als von Fachleuten prognostiziert. Die Wirtschaft, so ifo-Präsident Clemens Fuest, hoffe weiter auf eine Belebung im kommenden Jahr.

IHK-Präsident Kirpal erklärt die Diskrepanz mit Unterschieden in der Wirtschaftsstruktur: Sachsen sei stark von der Industrie abhängig. Zudem leide die Region unter der Automobil-Krise, die hier besonders stark durchschlage.

Sieht die regionale Wirtschaft in schwierigem  Fahrwasser: IHK-Präsident Kristian Kirpal.
Sieht die regionale Wirtschaft in schwierigem Fahrwasser: IHK-Präsident Kristian Kirpal.
Quelle: Kempner

Kapazitätsauslastung sinkt weiter

Die Krise trifft nicht alle Branchen gleich hart: In der Industrie ist die Enttäuschung am größten. Die Erwartungen fallen deutlich, die Kapazitätsauslastung nimmt weiter ab. Insolvenzen und fehlende politische Reformen verstärkten die Unsicherheit, resümiert die IHK.

Anders sieht es mitunter bei Dienstleistern aus: Einige profitieren vom digitalen Wandel und neuen gesetzlichen Vorgaben. Ein Beispiel ist das 2012 in der Messestadt gegründete IT-Sicherheitsunternehmen Rhebo: Die Leipziger, die seit 2021 Teil der Schweizer Landis+Gyr AG sind, haben sich auf Cybersicherheitslösungen und industrielle Überwachungsleistungen spezialisiert.

Industrielle Cybersicherheit im Aufwind

„Die Nachfrage nach einem System zur Angriffserkennung für industrielle Anlagen hat in den letzten Jahren in Deutschland und Europa deutlich zugenommen“, sagt Rhebo-Chef Gerald Müller. „Das zeigt sich insbesondere bei kritischen Anlagen der Energie- und Wasserversorgung, aber auch der Telekommunikation.“

 Generalmajor a. D. Markus Kurczyk, Vorsitzender des Mitteldeutschen Instituts für Sicherheitsindustrie (MIS).
 Generalmajor a. D. Markus Kurczyk, Vorsitzender des Mitteldeutschen Instituts für Sicherheitsindustrie (MIS).
Quelle: Ulf Mehner

Gesetzliche Vorgaben, geopolitische Verschiebungen und der Wunsch nach digitaler Souveränität bringen Bewegung in den Markt.

Das bestätigt Generalmajor a. D. Markus Kurczyk. „Industriellen Cybersicherheit, insbesondere für Versorgungs- und Telekommunikationsunternehmen, ist in erheblichem Aufwind“, sagt der Vorsitzende des Mitteldeutschen Instituts für Sicherheitsindustrie. „Digitalisierung und Vernetzung der Industrie, zunehmende Bedrohungslage sowie strenge Regulierung durch EU-Richtlinien und nationale Kritische Infrastruktur-Gesetze erhöhen den Investitionsdruck.“

Im Freistaat gebe es ein starkes Umfeld mit Fokus auf digitale Technologien und Cybersicherheit. Daraus lässt sich ableiten, dass Sachsen eine gute Basis und Wachstumschancen bietet – vornehmlich im Umfeld von Industrie, Versorgung und Telekommunikation. Der Erfolg von Rhebo zeigt damit: Selbst in der Krise gibt es Gewinner.

Krise wirkt sich auf Investitionen und Konsum aus

In anderen Branchen wie dem Baugewerbe und dem Einzelhandel ist die Stimmung deutlich gedrückt. Konsumzurückhaltung und rückläufige Investitionen belasten die Firmen.

Mit 63 Prozent ist die Entwicklung der Arbeitskosten der mit Abstand meistgenannte Risikofaktor in der Leipziger IHK-Analyse. Es folgen die „Inlandsnachfrage“, die „Energiepreise“ und die „wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen“. Damit meinen die Firmen vor allem ausufernde Bürokratie, hohe Steuern und Abgaben, steigende Lohnnebenkosten und neue Handelsbarrieren durch Zölle.

Martin Röhrenbeck kennt diese Probleme. Die Papierverarbeitung Golzern leidet ihm zufolge besonders unter dem „gesunkenen Konsumverhalten, dem gesunkenen Exportgeschäft sowie einer bürokratischen Überbelastung“. Zum zuletzt genannten Punkt hat der Unternehmer ein Beispiel parat: Zwei Jahre dauerte es, bis Behörden ihm die Inbetriebnahme einer neuen PV-Anlage genehmigt hatten.

Die Konsequenzen sind verheerend: Investitionen bleiben aus. „Es geht darum, liquide zu bleiben und Fehlbeträge ausgleichen zu können. Dadurch können keine weiteren Investitionen in Anlagen oder Personal getätigt werden“, erklärt er.

Für die Wirtschaft ein zentrales Problem: Investieren Unternehmen nicht in neue Maschinen, Technologien oder Personal, können sie nicht wachsen, verlieren an Wettbewerbsfähigkeit und schaffen keine neuen Jobs.

Genau das passiert gerade in der Region: Laut IHK-Bericht wollen nur 17 Prozent der Unternehmen im Raum Leipzig ihre Investitionen erhöhen, während 24 Prozent diese zurückfahren werden.

Martin Röhrenbeck gibt sich realistisch: „In den kommenden ein bis zwei Jahren wird sich die aktuelle Lage nicht verbessern“, sagt er. Insolvenzen und Abwanderung von Unternehmen würden zu einer harten Bereinigung des Marktes führen. „Wer am Ende übrig bleibt, kann wieder auf einen stabilen Markt hoffen.“ Aktuell gehe es nur darum, „im Spiel“ zu bleiben.

Das könnte Sie auch interessieren: