Von Luisa Zenker & Juliane Just
Der Dresdner Bäcker Frank Gehre streut Puderzucker über den gelbbraunen Teig. Saftige Rosinen verteilen sich entlang der Kruste. Ein süßlicher Geruch breitet sich in der Küche aus. Für Gehre hat die Stollensaison bereits Mitte Oktober begonnen. Schon zu der Zeit hat er die ersten Stollen geknetet, jetzt liegen sie im Kühlregal, warten eingepackt in einer blauen Schachtel auf die Adventszeit.
Wie jedes Jahr klebt ein neuer Preis auf dem Gebäck. Doch in diesem Jahr liegt er höher als normalerweise. Bei Frank Gehre hat der Stollen 2019 noch 17,90 Euro pro Kilo gekostet, zwei Jahre später sind es 23 Euro. Warum?
Erst einmal: Gehre ist keine Ausnahme. Alle Bäcker in Dresden müssen den Stollenpreis um etwa 25 Prozent anheben, erklärt der Stollen-Schutzverband. Dieser prüft jährlich, dass sich die Dresdner Bäcker an Rezeptur, Geschmack und Form halten. Nur dann hat sich der nach europäischen Angaben streng geschützt Dresdner Christstollen sein Siegel verdient. Rund 100 Bäckerinnen und Bäcker stehen hinter der Marke ‚Dresdner Christstollen‘.
Schlechte Rosinen-Ernte wegen Starkregen
Auch bei Bäcker Andreas Wippler, dem Vorsitzenden des Schutzverbands ging der Stollen im vergangenen Jahr noch für 17,50 Euro über die Ladentheke, jetzt sind es 20 Euro. Dahinter stecken überwiegend höhere Zutatenpreise, wie etwa bei den Rosinen. Diese sind am Markt sehr schwer zu bekommen, erklärt der Bäckermeister, der den Betrieb in vierter Generation führt und dessen Vater Michael Wippler erneut zum Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks gewählt worden ist. „Das mit den Rosinen war noch nie so“, gibt Wippler zu. Denn offenbar habe es schlechte Ernten in Südafrika und Australien gegeben. Er bezieht die Rosinen nun vorwiegend aus der Türkei.
Weiter geht es mit dem Zucker. Hier hat sich der Preis verdoppelt. Rohrzucker muss für die Kristallisation energieintensiv hergestellt werden. Und Energie ist seit dem Ukraine-Krieg teuer. Doch dahinter stecken auch Preiskämpfe: Für die Süße sorgt in fast allen Stollen-Bäckereien der Konzern Nordzucker. Als eines der weltweit führenden Zuckerunternehmen gewinnt Nordzucker in Europa und Australien die Ware aus Rübe und Rohr, ein kalorienreicher Markt, der von wenigen dominiert wird und den Preis in den Himmel schießen lassen kann.
Der „nervöse“ Getreidemarkt
Verteuert hat sich ebenso das Mehl. Mit Einsetzen des Ukraine-Krieges im Frühjahr kostete die Tonne Getreide an der Börse plötzlich 50 Euro mehr, erinnert sich Konstanze Fritzsch von der Dresdener Mühle. Seitdem sei der Getreidemarkt „nervös“. „Die Preise schwanken zwischen 200 und 400 Euro.“ Mit jeder Meldung steigt und sinkt er, so die Expertin, die das Getreide bei den regionalen Landwirten einkauft.
Fritzsch spürt zudem die Folgen der Umweltkrise: Neue Pflanzenschutzvorschriften, der teurer werdenden, auf fossilen Energien basierende Dünger und der trockene Sommer haben dazu beigetragen, das in diesem Jahr in Deutschland weniger Getreide produziert wurde. „Weniger Ertrag ist das Ergebnis, wenn wir eine ökologischere Landwirtschaft wollen“, sagt sie. Und auch wenn die Landwirte aus der Region kommen, der Preis richtet sich nach der europäischen Getreidebörse Matif. „Die Bäcker schauen an die Börse und kaufen dann Mehl, wenn der Getreidepreis aus ihrer Sicht günstig ist. Sowie auf der anderen Seite die Landwirte dann ihr Getreide verkaufen, wenn die Börsenpreise aus ihrer Sicht günstig sind.“ Schwer kalkulierbar für eine Mühle, die ebenso mit steigenden Energiepreisen zu kämpfen hat.
Die Rezeptur des Stollens ist Gesetz
Neben Mehl, Zucker, Rosinen gehört auch die Butter zu den Hauptzutaten: Hier hat sich der Preis verdoppelt. Könnte man diese nicht durch günstigere Margarine ersetzen? „Nein“, sagt Wippler. „Der Dresdner Christstollen sieht eine Mindestmenge von 50 Prozent Butter am Fettgehalt vor, da lässt sich nicht dran rütteln.“ Und genau das ist Wippler wichtig, zu betonen. „Wir werden nicht an der Qualität sparen. Wer einen originalen Dresdner Christstollen kauft, muss sich darauf verlassen können.“
Doch die Bäcker befürchten, dass die Kunden zum billigeren Discounter-Stollen greifen werden. Bei der Genossenschaft Bäko Ost haben die Dresdner Bäcker 25 Prozent weniger Stollenzutaten als in den vergangenen Jahren eingekauft. Das würde bedeuten, dass anstatt der jährlich fünf Millionen verkauften Stollen, eine Million weniger über die Ladentheke gehen.
Bäckermeister Wippler setzt in diesem Jahr vermehrt auf 500 Gramm Stollen. „Die Leute werden bewusster einkaufen. Dass sie zum billigeren Stollen rennen, können wir nicht beeinflussen“, fährt Wippler fort, der einen Betrieb mit etwa 70 Mitarbeitern führt. „Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was einem der Moment wert ist, wenn man den Stollen auf dem Adventstisch anschneidet.“
Ist der Discounter-Stollen Konkurrenz für die Bäcker?
Bäcker Frank Gehre hat keine Angst. Er und seine fünf Mitarbeiter verlassen sich auf ihre Kunden. Und Dr. Quendt, der den Kilo-Stollen zum halben Preis beim Discounter verkauft, ist für ihn keine Konkurrenz. „Sie machen Werbung für uns in ganz Deutschland. Und wir setzen mit unseren echten Handwerks-Produkten einen obendrauf.“ Für ihn steht fest: „Die Deutschen sind es gewohnt, dass Lebensmittel verramscht werden. Das muss sich ändern.“
Gehre kennt dennoch Bäcker, die kurz vor dem Aus sind. „Hier stehen Familientraditionen auf dem Spiel“, betont der Mann, der mit stolz sagt: „Ich habe mein Auto für die Rosinen verkauft.“ Denn die Bäcker kaufen die Zutaten für den Stollen im Sommer, dann wenn bei ihnen das Geld besonders knapp ist.
Doch nicht nur das Produkt an sich wird teurer, sondern auch dessen Verpackung. Da das Gebäck dunkel und trocken gelagert wird, verkaufen viele den Dresdner Stollen in Kartonagen. Dabei stieg der Preis für die Packung noch vor der Energiekrise von 2020 auf 2021 um knapp 39 Prozent, wie Zahlen des Stollenschutzverbandes zeigen. Von 2021 auf 2022 erhöhte sich der Preis nochmals um 20,6 Prozent. Das ist eine Verteuerung von 60 Prozent in zwei Jahren.
200 Grad Celsius für eine Stunde
Und könnte der Bäcker nicht wenigstens bei der Energie sparen? „Stollen kann man nicht per Niedrig-Gar-Methode backen“, erklärt Karoline Marschallek, Geschäftsführerin des Stollenschutzverbands. 200 Grad Celsius. Eine Stunde. Da ist nichts zu machen. „Wir geben nur einen Teil der Kosten weiter“, erklärt Wippler, der das Geld für Energie und Zutaten lieber für den Lohn seiner Mitarbeiter ausgegeben hätte. „Ich sehe Riesenbedarf bei den Löhnen im Bäckerhandwerk“, sagt er mit Hinblick auf den Fachkräftemangel.
Bäcker Gehre versucht deshalb an anderer Stelle zu sparen: Ein Solarmodul aufs Dach, LED-Lampen, Backabläufe neu denken. Aber auch: Kreativ sein. Neue Brote verkaufen, alte Rezepte ausprobieren, auf teure Zusatzstoffe verzichten. „Das ist unser Vorteil im Handwerk. Innovationen, die in Riesenkonzernen Jahre dauern, gehen bei uns innerhalb von einer Woche.“ Mit Stollen in der Hand und einem Lächeln sagt er: „Eine Krise hat auch ihr gutes.“