Suche
Suche

Für Sachsens Stahlwerke sind die US-Zölle das zweitgrößte Übel

In den Stahlwerken im Freistaat wächst die Angst vor einem Handelskrieg, teils auch um die Existenz. Aber ihre größte Gefahr ist in Deutschland hausgemacht.

Lesedauer: 4 Minuten


Michael Rothe

Dresden. Noch nimmt Sönke Winterhager die US-Einfuhrzölle auf Stahl gelassen. „Für uns gelten Ausnahmen aus Trumps letzter Amtszeit“, sagt der Aufsichtsratschef der BGH Edelstahlwerke GmbH in Freital. Amerikanische Kunden hätten einst betont, dass sie auf deutsche Produkte angewiesen seien und eine Zollbefreiung befürwortet.

„Allerdings läuft die in Kürze ab, und es gibt auch keine Nachfolgeregelung“, so Winterhager. „Der Erlass kann uns also absehbar durchaus auf die Füße fallen – speziell bei Teilen für den Maschinenbau und die Chemieindustrie.“ Das spürten dann die BGH-Handelshäuser in Cleveland (Ohio) und in Houston (Texas).

Die US-Zölle könnten für das BGH Edelstahlwerk in Freital noch zum existenziellen Problem werden, fürchtet Aufsichtsratschef Sönke Winterhager, hier vor dem Abschlackstand mit der neuen Abgassauganlage.
Die US-Zölle könnten für das BGH Edelstahlwerk in Freital noch zum existenziellen Problem werden, fürchtet Aufsichtsratschef Sönke Winterhager, hier vor dem Abschlackstand mit der neuen Abgassauganlage.
Quelle: Egbert Kamprath

Nach dem Willen der US-Regierung werden Stahleinfuhren seit dem 12. März mit Zusatzzöllen von 25 Prozent belastet. Das gilt laut Germany Trade & Invest, der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes, für fast alles aus Eisen oder Stahl: Stangen, Stäbe, Winkel, Profile, aber auch für Nägel, Reißzwecken und Stoßstangen. „Wenn das in voller Härte zuschlägt, kann es zur Existenzbedrohung beitragen“, ist Winterhager um das Freitaler Werk mit seinen gut 700 Beschäftigten besorgt. Der Stahlkonzern mit Adressen in 15 Ländern hat in Sachsen auch Werke in Lippendorf bei Leipzig sowie in Lugau im Erzgebirge.

„Die Mannesmann Röhrenwerk GmbH in Zeithain ist von den Zöllen marginal betroffen“, sagt Jan Karl, der technische Geschäftsführer. Gleichwohl würden sie das Geschäft der Kunden beeinflussen. „Außerdem werden die Zölle zu Mengenumleitungen nach Europa führen, wodurch der ohnehin bestehende Importdruck durch Überkapazitäten aus China und weiteren Ländern verstärkt wird“, so Karl.

China-Ware drängt jetzt nach Europa

Das Werk mit 315 Beschäftigten ist Tochter eines Konzerns mit Sitz in Mülheim an der Ruhr und gilt als einer der leistungsfähigsten Hersteller nahtloser, warm gefertigter Rohre mit kleinen Durchmessern. Diese Vorrohre werden anderswo weiterverarbeitet und kommen etwa als Wellen im Auto, Bauteile im Maschinenbau und Leitungsrohre in der Energiewirtschaft zum Einsatz. „Die EU muss hier dafür sorgen, den europäischen Markt vor Importen von gedumpten Stahlprodukten wirksam zu schützen“, fordert Karl.

Das sieht Stefan Zickuhr von den Schmiedewerken in Gröditz ähnlich. Was vorher aus Asien und Italien in die USA gegangen sei, suche jetzt neue Abnehmer. „Es wird ja trotzdem produziert“, sagt der kaufmännische Leiter. Im Gröditzer Werk, Hersteller von Freiformschmiedestücken, Werkzeugstahl und gewalzten Ringen, sei vor allem Werkzeugstahl betroffen. Bei anspruchsvolleren höheren Legierungen, einem deutlich kleineren Markt, werde man das nicht ganz so merken, weil das nicht jeder kann.

Konkurrenz- und Preisdruck wächst

Die Schmiedewerke mit rund 700 Mitarbeitenden sind ein Schwergewicht in der GMH-Gruppe mit Sitz im niedersächsischen Georgsmarienhütte. Ihre Teile kommen weltweit im Maschinen- und Anlagenbau, in der Energieerzeugung, der Bahntechnik sowie in der Konsumgüter- und Lebensmittelindustrie zum Einsatz. Den nötigen Werkstoff liefert das eigene Elektrostahlwerk.

Mit der Ervin Germany GmbH in Glaubitz ist ein sächsisches Stahlwerk sogar in der Hand von US-Eigentümern. Dem Werkleiter René Spandler könnte die ganze Diskussion egal sein – ist sie aber nicht. „Wir haben ja auch Kunden, die unter diesen Beschränkungen leiden, weniger exportieren und in der Folge auch weniger Strahlmittel bei uns bestellen“, so der Chef. Die kleinen Metallkugeln werden zum Polieren von Flächen in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Automobil-, Bau-, Bergbau- und Metallindustrie gebraucht.

Die Schmiedewerke in Gröditz sind mit rund 700 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Stadt. Weil nun zusätzliche Mengen aus China auf den europäischen Markt drängen, wächst der Konkurrenz- und Preisdruck auf ihren Werkzeugstahl.
Die Schmiedewerke in Gröditz sind mit rund 700 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Stadt. Weil nun zusätzliche Mengen aus China auf den europäischen Markt drängen, wächst der Konkurrenz- und Preisdruck auf ihren Werkzeugstahl.
Quelle: Lutz Weidler (Archiv)

Der Mutterkonzern Ervin Industries ist Marktführer in den USA und betreibt seit 2014 unweit von Riesa sein zweites deutsches Werk. Der gut 100 Jahre alte Gießerei-Zulieferer mit 100 Beschäftigten sei breit aufgestellt und gut ausgelastet, sagt Spandler. Auch er sieht das Problem für die Branche weniger in verteuerten Direktlieferungen übern Großen Teich, als vielmehr in den Folgen für den Konkurrenzkampf in Europa.

Öfen stundenweise abgeschaltet

Für Feralpi Stahl in Riesa, Hersteller von Bewehrungsstahl für die Bauindustrie, spielen die USA derzeit eine untergeordnete Rolle. Das Low-Budget-Produkt in Form von Walzdraht oder Betonstahl könne nicht unendlich weit transportiert werden, argumentiert der General Manager Uwe Reinecke und: „Für uns ist Europa der Kernmarkt“.

Auch auf der Einkaufsseite sei die Geschäftseinheit der italienischen Feralpi Group mit rund 850 Beschäftigten entspannt – selbst wenn die EU Gegenzölle erheben würde. Reinecke stellt aber klar: „Wir sehen Zölle generell kritisch und sind als Europäer für einen freien Handel.“

Mehr noch als die Trump’schen Zölle lastet ein in Deutschland hausgemachtes Problem auf Sachsens Stahlbranche. Hohe Strom- und Gaspreise werden unisono als größter Wettbewerbsnachteil genannt. „Das ist einfach Wahnsinn“, schimpft Sönke Winterhager. Bei den Franzosen koste Energie die Hälfte, bei den US-Wettbewerbern ein Zehntel, so der BGH-Aufsichtsratschef. „Zu dem Problem kommen die US-Zölle jetzt noch obendrauf“, sagt Stefan Zickuhr. Um finanzielle Verluste in Grenzen zu halten, sei bei Spitzenpreisen an der Börse der Ofen in Gröditz stundenweise abgeschaltet worden.

Das Feralpi-Stahlwerk in Riesa verbraucht für seine Jahresproduktion von knapp einer Million Tonnen Baustahl so viel Strom wie alle 310.000 Dresdner Haushalte.
Das Feralpi-Stahlwerk in Riesa verbraucht für seine Jahresproduktion von knapp einer Million Tonnen Baustahl so viel Strom wie alle 310.000 Dresdner Haushalte.
Quelle: ronaldbonss.com

Gelebte Praxis auch bei Feralpi in Riesa. Das dortige Werk verbraucht mit 550 Gigawattstunden (GWh) im Jahr so viel Strom, wie alle 310.000 Dresdner Privathaushalte zusammen.

Strom derzeit kaum halb so teuer wie 2022

Der für kurzfristige Einkäufe der Stahlwerke relevante Spotmarktpreis war nach Auskunft der EPEX SPOT in Paris seit 2022 stark gesunken. Laut jener Tochter der Leipziger Energiebörse EEX lag er damals im Mittel bei 236 Euro je Megawattstunde, 2023 bei 95 und im vergangenen Jahr unter 79 Euro. Jetzt sei er wieder geklettert auf 112 Euro. Am langfristigen Terminmarkt für Lieferungen für bis zu zehn Jahren gehen die Leipziger Händler von fallenden Preisen aus.

Deutschland gehört zu den zehn größten Stahlerzeugern der Welt, und Sachsen besitzt eine jahrhundertelange Tradition im Hüttenwesen. Im Freistaat zählt die Metallerzeugung und -bearbeitung mit einem Anteil von knapp 14 Prozent am Industrieumsatz zu den drei größten Industriebranchen.

Gut 11.000 Menschen sind dort beschäftigt, 2600 direkt in Stahlwerken. Eisen,- Blech- und Metallwaren machen zwar keine drei Prozent der sächsischen Exporte aus, die damit bestückten Autos und Maschinen jedoch gut 70 Prozent.

Und die USA sind mit einem Anteil von rund zehn Prozent an allen Ausfuhren nach China der zweitwichtigste Abnehmer.

SZ

Das könnte Sie auch interessieren: