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Heiterblick in der Krise: Was wird aus Leipzigs neuen Straßenbahnen, Herr Kermelk?

Der Straßenbahn-Hersteller ist in wirtschaftliche Schieflage geraten. Können Leipzigs neue Straßenbahnen jetzt noch geliefert werden? Und wie soll die Rettung des Unternehmens gelingen? Im Interview gibt Heiterblick-Chef Samuel Kermelk Antworten.

Lesedauer: 5 Minuten

Florian Reinke und Lucas Grothe

Leipzig. Samuel Kermelk ist ein Chef im Krisenmodus. Seit rund zwei Wochen steckt die Heiterblick GmbH in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung – von einem Erfolg hängt die Zukunft des Unternehmens ab. Seitdem treibt die Stadt auch die Frage um, ob der Straßenbahn-Hersteller weiterhin den großen Auftrag für die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) abarbeiten kann.

Herr Kermelk, Heiterblick steckt in einer wirtschaftlichen Krise und hat einen Antrag zur Sanierung in Eigenverwaltung gestellt. Inwiefern leidet die Stimmung in der Belegschaft darunter?

Wir sprechen mit der Belegschaft kontinuierlich. Natürlich gibt es Sorgen – aber wir versuchen, diese zu mindern. Wir spüren: Alle wollen mit anpacken, um das Unternehmen in eine sichere Zukunft zu führen. Und wir sind überzeugt: Heiterblick hat eine gute Zukunft. Wir sind ein Symbol der Leipziger Verkehrsgeschichte, mit 250 Beschäftigten ein wichtiger Arbeitgeber und Partner vieler Verkehrsbetriebe – in Sachsen und bundesweit. Und wir stehen für die Ziele der Verkehrswende.

Wie geht es für die Belegschaft weiter? Drohen Entlassungen?

Da der Sanierungsplan noch nicht feststeht, kann ich hierzu noch keine Auskunft geben. Meine Sichtweise: Wir haben einen Facharbeitermangel und volle Auftragsbücher mit einem Volumen von rund 400 Millionen Euro. Wir erwarten in Zukunft weiterhin eine hohe Marktnachfrage. Daher wäre es kontraproduktiv, jetzt über Entlassungen nachzudenken. Genug Arbeit gibt es.

Heiterblick-Werk in der Niemeyerstraße: Der Straßenbahnhersteller mit Sitz im Leipziger Westen will sich aus seiner Krise befreien.
Heiterblick-Werk in der Niemeyerstraße: Der Straßenbahnhersteller mit Sitz im Leipziger Westen will sich aus seiner Krise befreien.
Quelle: Wolfgang Sens

Sanierungsplan muss in drei Monaten stehen

Wie konnte es trotz voller Auftragsbücher zur Schieflage kommen?

Einen großen Teil unserer langjährigen Aufträge haben wir vor der Corona-Krise und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine abgeschlossen. Dann hat uns die Corona-Pandemie getroffen und zu Störungen in den Lieferketten und Arbeitsunterbrechungen geführt. Mit dem Krieg in der Ukraine erhöhten sich zudem unsere Beschaffungskosten massiv. Diese Verwerfungen haben unsere Liquidität stark belastet.

Nun will sich Heiterblick neu aufstellen. Was sind die nächsten Schritte im Verfahren?

Unser Sanierungsplan wird jetzt mit Hochdruck und mit starker Unterstützung von Fachleuten erarbeitet. Die Umstellung der Löhne und Gehälter auf das Insolvenzgeld hat bereits gut funktioniert. Wir haben zudem mit unseren Lieferanten und Dienstleistern gesprochen, die für uns äußerst wichtig sind. Fast alle waren sehr verständnisvoll und vertrauen darauf, dass wir die Situation in den Griff kriegen. Für uns ist das sehr wichtig: Wir kaufen regional ein, haben bei unseren Bahnen 40 Prozent der Wertschöpfung in Leipzig und rund zwei Drittel in Sachsen.

Zur Person

Samuel Kermelk (46) ist seit 2011 Geschäftsführer der Heiterblick GmbH mit Sitz in der Leipziger Niemeyerstraße. Er führt das Unternehmen zusammen mit Bernd Flaskamp. Gegründet wurde Heiterblick vor 100 Jahren im gleichnamigen Stadtteil im Leipziger Osten als Hauptwerkstatt der Verkehrsbetriebe. Heute fertigt das Unternehmen Straßenbahnen auf Kundenwunsch und hat sich als mittelständischer Spezialanbieter im Markt etabliert.

Wie lange wird die Neuaufstellung dauern?

Wir haben drei Monate, um ein Sanierungskonzept zu erstellen. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt. Erst danach wird das richtige Sanierungsverfahren eröffnet. Wie lange das geht, vermag ich nicht abzuschätzen.

Wie groß ist die Finanzlücke, die geschlossen werden muss?

Da es interne Zahlen sind, bitte ich um Verständnis, dass ich mich hierzu nicht äußere.

Geben Sie uns dennoch einen Einblick in Ihre Gefühlswelt: Wie schwer wird das?

Die Aufgabe ist tatsächlich sehr groß, und auch die Arbeitsbelastung für das Team ist immens. Die Herausforderungen des Sanierungsverfahrens kommen zur normalen Arbeit dazu. Denn unser operatives Geschäft geht ja weiter. Wir bauen weiterhin Fahrzeuge. In dieser Woche sind beispielsweise unsere Würzburger Kunden im Haus, um ein Fahrzeug abzunehmen.

„Werden zwischen Anfang 2026 bis Ende 2027 ausliefern“: Heiterblick-Chef Samuel Kermelk.
„Werden zwischen Anfang 2026 bis Ende 2027 ausliefern“: Heiterblick-Chef Samuel Kermelk.
Quelle: Andre Kempner

Großauftrag für die LVB läuft weiter

Die Leipziger interessiert vor allem, wie es mit dem Großauftrag für die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) weitergeht. Wie viele Bahnen fertigen Sie?

Der Grundauftrag liegt bei 25 XXL Plus-Bahnen für die LVB. Diese werden wir zwischen Anfang 2026 bis Ende 2027 ausliefern. Für die Görlitzer Verkehrsbetriebe sind es acht Fahrzeuge und für Zwickau sechs. Görlitz und Zwickau bekommen vergleichbare Fahrzeuge. Diese sind in Länge und Spurweite sehr ähnlich. Und für Leipzig fertigen wir den Großzug von 45 Metern Länge.

Wie kommen Sie beim LVB-Auftrag voran?

Das Fahrzeug ist fertig konstruiert. Wir haben alle Teile dafür bestellt, und ein Großteil ist bereits einbaubereit in unserem Werk im Leipziger Westen. Auch die ersten Montageschritte können jetzt starten, da wir den ersten lackierten Wagenkasten empfangen haben. Wir werden sukzessive weitere Wagenkästen von Alstom bekommen, sodass wir in diesem Jahr das erste Fahrzeug fertigstellen können. Die Auslieferung findet im Zeitraum Anfang 2026 bis Ende 2027 statt. Wir montieren die Fahrzeuge hier in Plagwitz. All das zeigt: Wir arbeiten für eine nachhaltige Zukunft!

Allerdings sollte es doch viel schneller gehen: Die LVB wollten die Bahnen schon 2025 durch die Stadt rollen lassen. Warum konnten Sie diesen Termin nicht einhalten?

Durch den Krieg in der Ukraine gab es nicht nur eine Verteuerung für Rohstoffe wie Stahl, sondern auch eine Knappheit. Wir sind mit allen Kunden diesbezüglich im Gespräch. Das Problem hat aber nicht allein uns, sondern die ganze Industrie in Deutschland getroffen.

Das Design für Leipzigs neue XXL-Straßenbahn haben Bau-Bürgermeister Thomas Dienberg (l.) und LVB-Technik-Geschäftsführer Ronald Juhrs bereits enthüllt.
Das Design für Leipzigs neue XXL-Straßenbahn haben Bau-Bürgermeister Thomas Dienberg (l.) und LVB-Technik-Geschäftsführer Ronald Juhrs bereits enthüllt.
Quelle: André Kempner

Sie berichten, dass die Fertigung bei Heiterblick weiterhin läuft. Für uns klingt es insgesamt so, als müssten sich die LVB keine Sorgen um ihren Auftrag machen.

Wir sind sehr motiviert, diesen Auftrag erfolgreich auszuführen. Die LVB sind ein Kunde, der uns sehr konstruktiv geholfen hat. Zudem ist Leipzig unsere Heimatstadt und die Motivation aller Beteiligten deshalb groß. Wir gehen davon aus, dass wir diese Auslieferung mit der Neuaufstellung absichern können.

Vertrag mit LVB erfolgreich nachverhandelt

Mit den Verkehrsbetrieben haben Sie den Vertrag nachverhandelt. Sind Ihnen auch andere Kunden entgegengekommen?

Es stimmt: In den Verhandlungen mit den LVB sind wir zu einer sinnvollen Lösung gekommen, die beiden Seiten hilft. Bei anderen Aufträgen hat das teils gut, teils weniger gut funktioniert. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich zu weiteren Einzelheiten nicht äußern kann.

Angenommen, die Sanierung des Unternehmens gelingt nicht: Dann hätten viele Städte in Deutschland doch ein Problem in der Verkehrswende?

Das ist mit Sicherheit so, denn wir sind einer von nur wenigen Straßenbahnbauern in Deutschland. Wenn wir uns die Aufträge anschauen, die jetzt speziell auf die Kunden angepasst sind, wird es für die Städte sehr schwer, jemanden zu finden, der ersatzweise einspringt. Das wäre für die Kunden extrem schwer. Grundsätzlich gewinnt der ÖPNV in allen mittelgroßen und großen Städten Deutschlands an Bedeutung. Dort, wo Straßenbahninfrastruktur schon vorhanden ist, ist es einfach das effizienteste Verkehrsmittel. Wir sind wirklich zuversichtlich, dass die Neuaufstellung gelingt.

Worauf können sich die Fahrgäste in Leipzig einstellen mit den neuen XXL-Trams?

Erst einmal sieht die Bahn mega aus. Im Innenraum punktet sie mit dem modernen Design, das mit den LVB für die Leipziger entwickelt wurde: Es gibt eine geschwungene Deckenform und eine tolle Beleuchtung, bei der man sich als Fahrgast wohlfühlt. Hinzu kommt eine moderne technische Ausstattung mit WLAN und USB-Ladebuchsen. Wichtig ist zudem die Verbreiterung: Die Fahrgäste haben mehr Platz, insbesondere für Kinderwagen und Rollstühle.

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