Wer dem Chef der Bautzener Arbeitsagentur einen Brief schreibt, kann sich sicher sein: Thomas Berndt wird das Papier gar nicht anfassen. Aber lesen wird er den Brief schon. Am Bildschirm seines Computers, in eingescannter Form. Längst hat bei der Arbeitsagentur die elektronische Akte Einzug gehalten. Statt viel Papier werden jetzt digitale Dateien bewegt.
Angenommen, die Lektüre des gescannten Briefes dauert genau eine Minute. In diesen 60 Sekunden werden rund um die Erde 3,7 Millionen Suchanfragen bei Google gestartet. 3,8 Millionen Nachrichten machen sich über Whatsapp auf den Weg, während sich in der gleichen Minute 973000 Menschen auf Facebook einloggen.
Die Hamburger Strategieberaterin Alice Ebner kann diese und weitere Zahlen aus der digitalen Welt auswendig herbeten. Und weiß dabei doch genau: Sie verändern sich täglich. Schon morgen können es pro Minute vier Millionen Anfragen bei der Internet-Suchmaschine Google sein. „Die Zukunft steckt noch in den Kinderschuhen“, sagt die 42-Jährige. „Und doch sind wir schon mittendrin.“
Firmen buhlen um Fachkräfte
Junge Leute von heute wachsen mit Google, Facebook und Co auf, online zu sein ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Das müssen ältere Mitmenschen nicht unbedingt toll finden, aber wissen.
Zum Beispiel, wenn sie Arbeitgeber sind und „Personal finden, binden und entwickeln“ wollen. Unter dieser Überschrift bat Arbeitsagenturchef Thomas Berndt mehr als 100 Unternehmer aus der ganzen Oberlausitz zu einem Forum, für das er ganz gezielt die Internet-Fachfrau Alice Ebner als Referentin eingeladen hatte. Die Teilnehmer hören von der Hamburgerin einen guten Rat für ihre Firmen: „Jeder Arbeitgeber muss sich fragen: Wie viel Netz brauchen meine Angestellten?“
Einige brauchen mehr Internet, andere weniger, weiß Lutz Hillmann. Aber die erste Gruppe wird immer größer, die zweite kleiner, ist dem Bautzener Theater-Intendanten klar. „Natürlich wird es auch weiter Arbeiten geben, wo mal eine Schraube zu drehen ist“, sagt Hillmann. Aber auch am Deutsch-Sorbischen Volkstheater funktionieren Ton- und Lichttechnik inzwischen digital, Eintrittskarten können per Mausklick bestellt werden, und weitere Bereiche des Hauses gehen online. „Es ist schwer, Mitarbeiter zu finden, die das können und hierher in die Region kommen“, sagt der Bautzener Theaterchef. Und fügt einen Satz an, bei dem viele im Saal nicken: „Leider vermittelt die Region von sich nach außen auch nicht immer das beste Bild.“
Auf Zuzügler von außerhalb werden Oberlausitzer Unternehmer in den nächsten Jahren aber mehr und mehr hoffen müssen, erklärt Olaf Besser. Er gehört zur Geschäftsführung der Hoyerswerdaer Firma Yados, in der fast 220 Mitarbeiter Erzeugungstechnik für Strom und Wärme bauen. Die Fachleute dafür kommen nicht alle aus Hoyerswerda und Umgebung, einige sind für diese Arbeit in die Oberlausitz gezogen. „Da helfen wir als Unternehmen gern bei der Suche nach einer Wohnung und nach Arbeit für die Ehepartner“, sagt Besser. „Interessieren Sie sich für den Menschen, der bei Ihnen arbeitet“, gibt er den Anwesenden mit auf den Weg. Denn: „Es ist inzwischen so, dass sich die Arbeitgeber bei ihren künftigen Mitarbeitern bewerben müssen – nicht mehr umgekehrt.“
Eine Formulierung, die Arbeitsagenturchef Thomas Berndt gern aufgreift. Bis 2025 gehen fast ganze Belegschaften nahezu gleichzeitig in den Ruhestand. Grob gerechnet, scheiden in der Oberlausitz doppelt so viele Menschen aus dem Berufsleben aus, wie junge im arbeitsfähigen Alter nachwachsen. Endgültig vorbei scheinen die Zeiten, da sich Chefs aus einem Stapel von Bewerbungen die besten herauspicken konnten. Heute entscheiden gute Fachleute selbst, wo sie gern arbeiten möchten. Und welche Firma ihnen das gewünschte Umfeld bietet. Wie eben mobiles Internet für die Arbeit oder wenigstens für Pausen.
Kerstin Thun von der Firma Metallbau Schubert in Markersdorf bei Görlitz führt noch ein paar analoge Argumente ins Feld: Kostenlose Getränke, eine eigene Kantine, Zuschüsse zu den Kinderbetreuungskosten und noch einiges mehr bietet das Unternehmen, das der Vater der heutigen Geschäftsführerin Anfang der 90er-Jahre gegründet hatte. Aber auch die Metallbauer drücken sich nicht ums digitale Zeitalter: Kerstin Thun will einen Internet-Blog für die Mitarbeiter einrichten. Trotzdem soll es auch nach wie vor alle drei Monate eine Mitarbeiterzeitung geben.
Von Tilo Berger
Foto: © Thorsten Eckert