Sebastian Beutler
Weißwasser. Noch sind es knapp zwei Wochen. Mitte März machen sich die beiden Staatssekretäre aus den Wirtschaftsministerien Sachsens und Brandenburgs, Vertreter der Stadt Cottbus, der Industrie- und Handelskammern und der Lausitz-Runde auf den Weg nach Brüssel. Im Gepäck haben sie ihre rund 100 Seiten umfassende Bewerbungsschrift, um das erste Net Zero Valley in Europa zu werden. Seit knapp zwei Jahren laufen die Vorbereitungen unter Federführung der Stadt Cottbus dazu.
Doch was hat die Lausitz am Ende von einer solchen Modellregion für grüne Technologien? Darum drehte sich jetzt auch eine Veranstaltung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Weißwasser.
Unterschiedliche Erwartungen an Modellregion
Und dabei wurde deutlich: Je nach Interessen-Standpunkt wird dieses Net Zero Valley Lausitz mit sehr verschiedenen Anliegen verbunden. Nach dem Identitätsverlust durch den Wegfall der Glasindustrie und dem bevorstehenden Kohleausstieg ist es für Weißwassers Oberbürgermeisterin Katja Dittrich die neue Erzählung über die Lausitz und darüber, wer wir sein wollen. Antje Klose, Wirtschaftsfördererin aus dem Landratsamt Görlitz, räumt aber ein, dass die Modellregion nicht flächendeckend gedacht sei, sondern auf ganz konkrete Gewerbeflächen, beispielsweise in Boxberg oder Weißwasser. Auch für den Dresdner Europaabgeordneten Matthias Ecke (SPD) ist es keine „Wundertüte“ – kein direkt neues Fördermittelprogramm, sondern eine Sonderplanungszone.
Aber sie alle verbreiten nach einem zweijährigen Konsultationsprozess, an dem bis zu 200 Interessenten aus der Wirtschaft, den Behörden und Organisationen wie den Gewerkschaften beteiligt waren, den Optimismus, den auch der sächsische Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Kralinski in diese Worte fasst: „Dass sich viele Menschen gefunden haben, die gesagt haben, wir schaffen das, ist schon die halbe Miete.“
Lausitz will erstes Net Zero Valley in Europa werden
Die ganze Miete soll nun daraus werden, wenn die Lausitz tatsächlich ein Net Zero Valley wird. Nach dem Brüssel-Termin ist dabei vieles von der neuen Bundesregierung abhängig. Sie wählt die Regionen am Ende aus. Doch bislang gibt es noch keine Leitlinien beim Bundeswirtschaftsministerium, auf deren Grundlage diese Auswahl stattfinden soll. Es könnte noch zwei bis drei Jahre dauern.
Alles hängt mit der neuen Industriepolitik zusammen, die die EU vor zwei Jahren beschloss. Der sogenannte Net Zero Industry Act will die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen, die Energieabhängigkeit reduzieren und helfen, die Klima- und Energieziele zu erreichen. Dafür wurden 19 Technologien definiert, die für den Umbau zu einer deutlich klimafreundlicheren Wirtschaft entscheidend sind und besonders gefördert werden sollen.
Vier grüne Energie-Technologien sollen in der Lausitz gefördert werden
Neben vielen anderen Maßnahmen sieht dieser Act auch spezielle Modellregionen, eben die Net Zero Valleys, vor. Die Lausitz will sich in ihrem Valley dabei vor allem auf vier Technologien konzentrieren: Batterie- und Speichertechnologien, Wasserstoff- und Stromnetztechnologien sowie Technologien zur Integration und Sektorkopplung. Wer auf diesem Gebiet unternehmerisch tätig werden will, egal ob Neuansiedlung oder schon etabliertes Unternehmen in der Lausitz, wer dafür Anlagen oder Maschinen bauen oder auf diesem Gebiet forschen will, der kann mit besonders günstigen Rahmenbedingungen in einem solchen Valley rechnen. Am Ende geht es um Industrie-Arbeitsplätze.
Dazu zählen beschleunigte Genehmigungsverfahren. Antje Klose berichtete davon, dass sich die Verwaltungen darauf vorbereiten, beispielsweise ein 100 Hektar großes Industriegebiet innerhalb von sechs Monaten zu genehmigen und die zeitaufwändigen Umweltprüfungen bereits zu erledigen, noch ehe ein Investor an die Tür klopft. Auch soll es einen bevorzugten Zugang zu EU-Förderprogrammen oder bei Vergaben der öffentlichen Hand geben. Im besten Falle bilden diese Unternehmen im Valley ein Netzwerk aus Produktions- und Forschungseinheiten, die einander befördern und damit auch wachsen. Denn das ist das erklärte Ziel: Bestehenden Unternehmen helfen, sich auf die neue grüne Wirtschaft umzustellen, und neue Industriearbeitsplätze zu schaffen. „Gute Arbeit zieht Fachkräfte“, erklärte Christoph Hahn von der IG Metall.
Leag baut bereits Energiespeicher
Es ist nicht so, dass bislang in der Lausitz die Umstellung auf die grüne Wirtschaft kein Thema ist. So plant der Energieversorger Leag am Kraftwerksstandort Boxberg große Energiespeicher für erneuerbare Energien aufzubauen. Doch die Teile für die Energiespeicher werden eben woanders produziert. Als Siemens darüber entschied, wo das Unternehmen seine Elektrolyse-Produktion ansiedelt, hatte Görlitz das Nachsehen. Jetzt wollen Ostsachsen und Südbrandenburg genau diese Produktionsansiedlungen fördern, um mehr Investitionen wie die der Deutschen Bahn in ihr neues ICE-Bahnwerk in Cottbus zu ermöglichen.
Konkurrenz aus anderen Regionen Deutschlands
Mittlerweile sind auch andere Regionen Deutschlands auf den Zug aufgesprungen. Niedersachsen unterstützt eine Initiative zwischen Emden und Wilhelmshaven, ebenso ein Net Zero Valley zu werden. Der Görlitzer IHK-Geschäftsführer Frank Großmann berichtete von ähnlichen Bemühungen in Schleswig-Holstein, Berlin und Baden-Württemberg. Das Centrum für Europäische Politik, eine Denkfabrik der Stiftung Ordnungspolitik aus Freiburg (Baden-Württemberg), kam in einer Studie zu dem Schluss, dass „aus heutiger Sicht Regionen in Südwestdeutschland, Österreich und Norditalien“ europaweit die besten Startvoraussetzungen für Net Zero Industry Valleys besitzen.
Doch hält das die Lausitz nicht davon ab, in diesen Kreis vorstoßen zu wollen. Zumal auch nicht festgelegt ist, wie viele Regionen in Europa oder in Deutschland den Zuschlag erhalten werden. Für André Fritsche, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Cottbus, ist mit dem Valley-Projekt vor allem eine große Chance verbunden, „die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsstandort Lausitz zu verbessern, zum Beispiel durch schnellere Genehmigungsverfahren und eine Stärkung der internationalen Sichtbarkeit“.
Sorge um das letzte Glaswerk
Dass dieses Valley aber auch nur ein Teil einer umfassenden Regionalpolitik für die Wirtschaft sein muss, verdeutlichten Vertreter der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Sie sorgen sich um die letzten Glaswerke in der Lausitz, die unter den hohen Energiepreisen leiden. Einen niedrigeren Industriestrom, neue Gas-Kraftwerke, eine staatliche Unterstützung der Automobil-, Energie-, Chemie- und Stahlindustrie sowie der Chipproduktion beschrieb Staatssekretär Kralinski als Aufgaben der neuen Bundesregierung genauso wie den Ausbau der Straßen- und Bahn-Infrastruktur in der Lausitz. Die Gewerkschaftsvertreter brachten es auf diesen Punkt: „Damit wir in fünf oder zehn Jahren noch Industrie haben, die wir umbauen können.“
SZ