Dresden. Eigentlich wollte er nie weg aus Stuttgart und vom DLR. Angebote als Uni-Rektor hatte André Thess schon mehrfach – für sich aber abgelehnt. Doch jetzt will er es wissen. Die TU Dresden wählt am 12. März turnusgemäß nach fünf Jahren ihren Rektor.
Die amtierende Wissenschaftlerin, die Psychologieprofessorin Ursula M. Staudinger, tritt dabei zur Wiederwahl an. Und nun auch ihr Herausforderer aus Stuttgart, der eigentlich ein Dresdner ist. André Thess ist hier aufgewachsen, hat hier studiert und wohnt nach Gastprofessuren in Stanford, Japan und China schon länger wieder in Dresden.
Seit 2014 leitet er eines der größten Institute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Institut für Technische Thermodynamik in Stuttgart.
Von mehreren Bewerbern für das Rektoramt der TU Dresden blieben nur Staudinger und Thess übrig. Beide Kandidaten hatten bereits ihre Vorstellungsvorlesungen und Befragungen an der Uni, intern nur für Studenten und Mitarbeiter. Jetzt, zehn Tage vor der Wahl grummelt es jedoch halböffentlich in der Studentschaft.
Es regt sich Widerspruch. Nicht offiziell in der Studierendenvertretung, die äußert sich zu den Kandidaten nicht. Aber einzelne studentische Gruppen fürchten, mit Thess einen Wandel an der TU.
Brückenbauer statt Cancel Culture
André Thess ist ein pragmatischer Wissenschaftler. Einer, der den Klimawandel unstrittig für menschengemacht hält, aber andere, ökonomisch machbare Wege in der Klimapolitik sieht als derzeit praktiziert. Statt mit zehn Milliarden Euro die E-Autos zu fördern, hätte dieses Geld beispielsweise für den Umbau von Kohlekraftwerken der Lausitz in Wärmespeicher-Kraftwerke für Ökostrom verwendet werden können. Versorgungsstabilität ist sein Thema. Es gibt mehr Ideen noch, auch provokante.
Thess könnte einiges ändern an der TU, so befürchten die Studenten. Durchaus will er verändern, sagt Thess. „In einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft sollte die Universität künftig eine versöhnliche Einrichtung sein und Brücken bauen, damit Menschen mit unterschiedlichen fachlichen, persönlichen und politischen Hintergründen friedlich und konstruktiv zusammenarbeiten können, um die Wissenschaft voranzubringen. Was im Großen und Ganzen leider nicht funktioniert, könnten wir im Kleinen zumindest ansatzweise vorleben.“ Eine Cancel Culture, die Vorgaben mache, habe da keinen Platz, sagte André Thess jetzt auf SZ-Nachfrage.
Die SZ hatte auch die amtierende Rektorin, Ursula M. Staudinger, angefragt. Vor der Wahl wolle sie sich zu den Schwerpunkten ihrer nächsten Amtszeit jedoch nicht öffentlich äußern, ließ sie mitteilen.
Freiheit und Eigenverantwortung
„Mein Motto für die TU ist jenes, das auch mein jetziges Institut erfolgreich gemacht hat: Freiheit und Eigenverantwortung“, sagt Thess. „Das heißt, einige wenige, ganz fundamentale Leitplanken werden gemeinsam aufgestellt, und dann wird die volle Freiheit darüber gelassen, wie sich innerhalb dieser die Exzellenz entwickelt.“
Mein Motto für die TU ist jenes, das auch mein jetziges Institut erfolgreich gemacht hat: Freiheit und Eigenverantwortung. – André Thess, Wissenschaftler
„Die Leitplanken für eine technische Universität mit medizinischer und geisteswissenschaftlicher Fakultät lauten zunächst einmal Exzellenz in den technischen Fächern, die früher der Bezugspunkt für die Universität waren“, erklärt Thess.
Zur Exzellenz gehöre jedoch auch, dass diese technischen Fächer mit den Fächern Medizin, Lebenswissenschaften und Geisteswissenschaften so kooperieren, dass daraus ein Alleinstellungsmerkmal für die TU Dresden entstehe. „Worin genau dieses Alleinstellungsmerkmal besteht, müssen wir für jedes Exzellenzcluster oder Thema im Einzelnen herausarbeiten.“
Das Erste, was Thess als Rektor tun würde, wäre gemeinsam mit den Fakultäten die besten Professorinnen und Professoren der Fachgebiete weltweit identifizieren. Die besten Köpfe nach Dresden holen, das habe Vorrang. „So können wir die Exzellenz verstetigen und verbreitern.“
Die zweite Amtshandlung wäre, gemeinsam mit dem Kanzler die Digitalisierung und eine Effizienzsteigerung in der Verwaltung voranbringen. „Und drittens, das Studium durch bessere Studienbedingungen wieder in der Regelstudienzeit studierbar machen.“
Die TU Dresden war im DFG-Ranking der Förderprojekte von davor Platz 5 jetzt auf Platz 13 zurückgefallen. „Eine selbstbewusste Besinnung auf die technischen Traditionen und die Verknüpfung mit neuen Elementen wie Medizin, Lebenswissenschaften und Geisteswissenschaften ist das stilprägende Merkmal für die Technische Universität. Ich sehe die TU Dresden in fünf Jahren auf einem der drei besten Plätze der deutschen Universitäten in Bezug auf Patente, Drittmittel und Promotionsbetreuung.“
SZ