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Science-Fiction für die Hand: Wenn Technik bei der Reha hilft

Forscher aus Sachsen entwickeln ein Exoskelett, das Patienten zu Hause beim Training unterstützt.

Lesedauer: 4 Minuten

Jana Mundus

Dresden . Alina Carabello streift das helle Kunststoffgestell über ihre rechte Hand. Es sitzt wie ein Handschuh, nur steifer, technischer. Ihr Handrücken und die Finger sind nun von einem künstlichen Skelett umhüllt. Dünne Nylonfäden verlaufen von einem Zahnrad in Höhe ihres Handgelenks bis zu den Fingerspitzen. Mit einer kleinen Bewegung demonstriert sie, wie diese künstlichen Sehnen die Finger langsam strecken und beugen können. „Genau so mobilisiert auch ein Physiotherapeut die Hand“, erklärt sie. „Nur, dass der Patient es mit diesem Gerät irgendwann allein tun kann.“

Wir wollten etwas entwickeln, das Patienten zu Hause nutzen können, wenn sie nicht regelmäßig in die Physiotherapie kommen

Alina Carabello, wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Chemnitz

Seit 2019 forscht die Wissenschaftlerin an der TU Chemnitz und arbeitet aktuell an einem Projekt am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Dresden. Die Idee dazu entstand während der Corona-Pandemie. „Wir wollten etwas entwickeln, das Patienten zu Hause nutzen können, wenn sie nicht regelmäßig in die Physiotherapie kommen“, sagt sie. Besonders in ländlichen Gebieten ist der Weg zur Therapie oft weit. Häufig sind Verletzungen durch einen Schnitt in der Küche oder Operationen die Ursache für Probleme mit der Hand. Dann muss sie sanft bewegt werden, damit Sehnen nicht falsch zusammenwachsen.

Was die Wissenschaftlerin da trägt, nennt sich Exoskelett. Der Begriff klingt nach Science-Fiction, nach futuristischen Anzügen, die Menschen Superkräfte verleihen. Doch die Realität ist greifbar. Exoskelette sind tragbare Geräte, die die Bewegungen des menschlichen Körpers unterstützen oder verstärken. In der Industrie sieht man sie bereits im Einsatz: Mitarbeiter tragen mechanische Anzüge, die beim Heben schwerer Lasten helfen. Während solche Anwendungen vor allem die Effizienz steigern, liegt der Fokus in der Medizin auf Therapie, Erhalt der Mobilität und Lebensqualität.

Dünner Draht – superstark

Um das Prinzip der Entwicklung für die Hand zu erklären, greift Kenny Pagel zu einer kleinen Metallfeder. Er hält ein Feuerzeug darunter. Als die Flamme die Spirale erhitzt, verändert sie plötzlich ihre Form und zieht sich auseinander. „Das ist das Prinzip der Formgedächtnislegierungen“, sagt Pagel, der am Fraunhofer IWU die Abteilung Formgedächtnistechnik leitet. „Diese Metalle können sich merken, wie sie einmal ausgesehen haben.“ Wenn sie warm werden, streben sie ihre Ursprungsform an.

Kenny Pagel zeigt, wie eine Feder ihr Gedächtnis entfaltet. Wärme genügt – und das Metall erinnert sich an seine ursprüngliche Form.
Kenny Pagel zeigt, wie eine Feder ihr Gedächtnis entfaltet. Wärme genügt – und das Metall erinnert sich an seine ursprüngliche Form.
Quelle: SZ/ Veit Hengst

Was einfach klingt, ist Hochtechnologie. Formgedächtnislegierungen stecken schon heute in Zahnspangen oder in Ventilen von Haushaltsgeräten. Sie sind extrem leicht und brauchen wenig Platz. Ein winziger Draht kann eine enorme Kraft erzeugen. Ein Elektromotor, der das Gleiche schafft, würde ein Vielfaches davon wiegen. Für ein Gerät, das am Körper getragen wird, ist das entscheidend.

Das Exoskelett des Fraunhofer IWU besteht aus einem leichten Kunststoffgerüst. Die hauchdünnen Nylonfäden dienen Sehnen-Ersatz. Sie sind mit dem kleinen Zahnrad verbunden, das durch Formgedächtnisdrähte bewegt wird. Diese Drähte verkürzen sich bei Erwärmung und kehren beim Abkühlen in ihre ursprüngliche Länge zurück – ähnlich wie ein Muskel, der sich anspannt und wieder entspannt. Eine Flamme ist dafür nicht nötig, es reicht eine kleine, tragbare Stromquelle. So lassen sich die Finger kontrolliert beugen und strecken.

Passgenau dank 3-D-Druck

Damit das funktioniert, muss das Exoskelett exakt auf die Hand des Patienten abgestimmt sein. Die Wissenschaftler setzen auf 3-D-Druck. Zunächst wird die Hand vermessen, anschließend entsteht am Computer ein digitales Modell. Daraus wird das Kunststoffgerüst Schicht für Schicht gedruckt. So entsteht eine maßgeschneiderte Schiene. Wie die Steuerung später aussehen wird, ist noch offen. Denkbar sind Sensoren, die Muskelbewegungen messen, oder einfache Knöpfe, mit denen Patienten selbst bestimmen, wann sich die Hand öffnet oder schließt. „Es muss sicher sein“, sagt Carabello. „Wenn ich loslasse, muss das Gerät sofort anhalten.“

Ein kleines Zahnrad lenkt die Drähte, die die Nylonfäden bewegen. Die Drähte bestehen aus einer Formgedächtnislegierung, die sich bei Wärme verkürzen.
Ein kleines Zahnrad lenkt die Drähte, die die Nylonfäden bewegen. Die Drähte bestehen aus einer Formgedächtnislegierung, die sich bei Wärme verkürzen.
Quelle: SZ/ Veit Hengst

Aktuell ist ihr Modell ein Prototyp. Alles wirkt noch provisorisch. Aber die Forscher wissen genau, wohin die Reise gehen soll: zu einem Hilfsmittel, das Patienten im Alltag begleitet. „Wir stellen uns vor, dass jemand nach einer Operation ins Sanitätshaus geht, dort seine maßgeschneiderte Orthese bekommt und dann zu Hause trainieren kann“, sagt die Wissenschaftlerin. Die Übungen würden digital begleitet, eine App könnte Erinnerungen schicken oder kleine Spiele einbauen, um die Motivation hochzuhalten.

Schlaganfall-Patienten könnten profitieren

Der Weg dahin ist allerdings lang. Bevor das Exoskelett an Patienten getestet werden darf, müssen Genehmigungen eingeholt werden. „Wir würden am liebsten schon nächstes Jahr mit zehn Probanden starten“, sagt sie. Aber realistisch betrachtet, ist das ein sportlicher Zeitplan. Funktioniert später alles und soll das Exoskelett für die Hand auf den Markt kommen, ist die Zulassung als Medizinprodukt notwendig. „Das ist teuer und dauert lange.“ Dann bräuchte es die Industrie, die die Idee zu den Patienten bringt.

Aktuell ist das Exoskelett vor allem für Verletzungen gedacht, bei denen Sehnen durchtrennt oder geschädigt sind. Doch die Forscher denken weiter. Auch Menschen nach Schlaganfällen könnten profitieren. Wer teilweise gelähmt ist, braucht regelmäßiges Training. Oft häufiger, als Therapeuten es leisten können. „Wir wollen den Therapeuten nicht ersetzen“, betont die Forscherin. „Aber wir können Patienten ein Stück Unabhängigkeit geben und den Alltag der Fachkräfte erleichtern.“

SZ

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