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Sechs Fakten, warum die Wirtschaft in Sachsen nicht mehr wächst

Der Freistaat war im vierten Quartal 2024 Schlusslicht bei der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Was sind die wichtigsten Ursachen und wie könnte die Wirtschaftswende geschafft werden? Eine Analyse.

Lesedauer: 4 Minuten

Nora Miethke

Diese Nachricht schreckte auf. Die Wirtschaftsleistung in Sachsen ist im vierten Quartal des vergangenen Jahres um 1,8 Prozent zurückgegangen. Das hat das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung berechnet. Damit war der Freistaat Schlusslicht im Vergleich aller Bundesländer.

Ähnlich schlecht lief es in Sachsen-Anhalt. Dort schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt um 1,4 Prozent. Brandenburg verlor 0,6 und Thüringen 0,5 Prozent. Dagegen läuft die Wirtschaft in Norddeutschland deutlich besser. In Niedersachsen legte die Wirtschaftsleistung um 1,4 Prozent zu, in Mecklenburg-Vorpommern um 1,1 Prozent. Was sind die Gründe dafür? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Warum war Sachsen Schlusslicht unter den Ländern?

Robert Lehmann von der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts ordnet das Ergebnis seiner Berechnung für Sachsen ein. Bei dem Minus von 1,8 Prozent im vierten Quartal 2024 handele es sich um konjunkturelle Schwankungen, betont der Wirtschaftsforscher. Betrachtet werden die Veränderungen zum Vorquartal, also in diesem Fall die Veränderung vom dritten zum vierten Quartal 2024 und im Vergleich zum Jahreswert.

„So ist unseren Berechnungen zufolge die Wirtschaftsleistung in Sachsen im dritten Quartal 2024 um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal gestiegen, nachdem die Entwicklung zum Jahresende 2023 eher schwach ausfiel“, erläutert Lehmann. Im Gesamtjahr 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent gesunken – kräftiger als im deutschen Durchschnitt.

2. Was sind die Gründe für die schwache Entwicklung?

Die beschäftigungsstärksten Branchen in Sachsen sind die Metallerzeugung, die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Zwei davon – die Metallindustrie und der Automobilbau – stecken tief in der Krise fest. Nach Angaben des Branchenverbands Sachsenmetall sind die Kapazitäten der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie nur noch zu 76 Prozent ausgelastet. Der Umsatz schrumpfte im vergangenen Jahr um fünf Prozent. Im verarbeitenden Gewerbe rangiert Sachsen bei den Umsätzen inzwischen unter den fünf schwächsten Bundesländern.

Die Lage wird sich in diesem Jahr vermutlich nicht viel bessern. Denn die Auftragseingänge für die gesamte sächsische Industrie waren das dritte Jahr infolge rückläufig. Sie sind im Vergleich zu 2023 um sieben Prozent gesunken. Hauptgrund für die Misere sind die hohen Energiekosten und die überbordende Bürokratie, die die Produkte im internationalen Vergleich teurer machen.

3. Wie sieht es in den anderen Wirtschaftszweigen aus?

Die Industrie ist das größte Sorgenkind, aber nicht das einzige. Auch im Baugewerbe verlief das Geschäft angesichts des am Boden liegenden Wohnungsbaus sehr schwach im vergangenen Jahr. Hohe Baukosten, steigende Zinsen und sinkende Baugenehmigungen sind die Gründe. Umsatz und Beschäftigung schrumpften.

Auch Dienstleister wie etwa Gastronomen und Frisöre klagen über geringeren Umsatz, da die Sachsen aufgrund der gestiegenen Verbraucherpreise weniger Geld ausgeben. Im Freistaat liegt die Inflationsrate höher als in ganz Deutschland, wie das Ifo-Institut in Dresden in einer anderen Studie aufzeigte. All dies führte 2024 zu einem kräftigen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Sachsen gehörte laut Lehmann zu den vier am stärksten betroffenen Bundesländern. Allein in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie gingen seit 2023 über 6800 Jobs verloren.

4. Wie wirkt sich die Krise im Automobilbau aus?

In den sächsischen Fabriken von Volkswagen, Porsche und BMW wird nach Bestellung produziert und diese waren zumindest bei VW und Porsche rückläufig. Hohe Energiepreise, schlechte Ladeinfrastruktur, der abrupte Stopp der Kaufprämien, aber vor allem das Abwenden der Chinesen von deutschen Autos bremsten die Nachfrage. Das bekam vor allem das reine E-Autowerk von VW in Zwickau zu spüren.

Die Verträge von Tausenden zeitlich befristeten Beschäftigten wurden nicht verlängert, Schichten reduziert, also weniger produziert. All dies spiegelt sich am Ende in der Statistik wider. Nach Ansicht des Ifo-Experten Lehmann ist die Automobilindustrie aber nur „ein Teil des Puzzles“, wenn auch ein recht bedeutendes. Entscheidend sei jedoch die gesamtindustrielle Schwäche in Deutschland.

Auch der Maschinenbau und die chemische Industrie stehen unter Druck. Der US-Chemiekonzern Dow Chemical prüft, seine Anlagen in Böhlen und Schkopau stillzulegen oder gar zu schließen. 500 Jobs stehen auf dem Spiel. Die Produktionskosten liegen über den Marktpreisen und diese werden durch die Konkurrenz aus China weiter sinken. Chinesische Hersteller bieten schon heute in einigen Teilen der Industrie gleich- oder höherwertige Güter an. Elektroautos sind dafür ein gutes Beispiel.

5. Steht Sachsens Außenhandel unter Druck?

Ja. Nach dem Trump’schen Zollschock wächst die Befürchtung, dass die Chinesen ihre Ausfuhren von Laptops, Fahrzeugen oder Kunststoffprodukten nach Europa umlenken werden, weil die Amerikaner sie nicht mehr abnehmen. Das Überangebot würde zu sinkenden Preisen führen – gut für die Verbraucher, schlecht für die sächsischen Unternehmen, von denen viele preislich nicht mithalten können.

Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Hochsteuerland und Sachsen ist ein Hochsteuerland innerhalb Deutschlands.

Vereinigung der sächsischen Wirtschaft

Sachsen hat eine Exportquote von 40 Prozent, das bedeutet, sehr viele Arbeitsplätze hängen davon ab. Das wichtigste Exportgut sind Fahrzeuge, sie machen 60 Prozent der sächsischen Ausfuhren aus. China ist zwar immer noch der wichtigste Absatzmarkt für Sachsen, aber die Entwicklung ist rückläufig, der Export ging um sieben Prozent zurück. Im zweitwichtigsten Exportmarkt USA drohen sich die Zölle auszuwirken.

Dabei läuft das Geschäft schon jetzt schlechter. 2024 sanken die Exporterlöse im Maschinenbau um rund 400 Millionen Euro. Die Metallbranche musste in den vergangenen Jahren einen deutlichen Rückgang der Ausfuhren um mehr als zehn Prozent verkraften. Sachsen muss sich bei Märkten und Produkten breiter aufstellen. Digitale Technologien könnten Chancen auf Wachstum bieten.

6. Wie kann Sachsen die Wirtschaftswende schaffen?

„Oberstes Ziel muss es sein, Anreize für Investitionen zu setzen und auch selber Investitionsausgaben zu tätigen“, fordert Ifo-Konjunkturexperte Robert Lehmann. Weiterhin müssten schleunigst Reformen der Sozialsysteme angegangen werden, da die Beiträge für Rente, Krankenkassen und Pflegeversicherung wegen der Alterung der Bevölkerung weiter steigen werden. Zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts zählt Lehmann folgende Instrumente auf: Steuerbelastung reduzieren, Bürokratie- und Energiekosten reduzieren, Verkehrsinfrastruktur verbessern, Digitalinfrastruktur ausbauen und Arbeitsangebot durch Zuwanderung stärken.

Ein Großteil davon ist Aufgabe des Bundes, aber nicht alles. „Deutschland ist im internationalen Vergleich ein Hochsteuerland und Sachsen ist ein Hochsteuerland innerhalb Deutschlands“, kritisiert die Vereinigung der sächsischen Wirtschaft. Die Hebesätze bei der Gewerbesteuer seien in den Nachbar-Bundesländern niedriger als in Sachsen. Und das neue Grundsteuermodell sei im Vergleich zu Bayern komplizierter und teurer. Hier könnte das Land handeln.

SZ

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