In Riesa wird am Dienstag verhandelt. Derweil denkt das Unternehmen offenbar darüber nach, die Produktion nach Bayern auszulagern. Ein Überblick.
Von Stefan Lehmann
Riesa. Sorgen ein ehemaliger Ministerpräsident und ein früherer Arbeitsrichter für den Durchbruch im Tarifstreit bei den Teigwaren Riesa? In der siebten Woche scheint die Lage weiter sehr verfahren, am Dienstag soll, unterstützt von Matthias Platzeck (SPD) und Gerhard Binkert, eine Moderation dafür sorgen, dass zumindest weiterverhandelt werden kann. Sächsische.de fasst zuvor zusammen, was im Tarifkonflikt bisher geschehen ist.
Was will die Gewerkschaft?
Die Gewerkschaft NGG vertritt die Interessen der Teigwaren-Mitarbeiter seit Sommer 2018. Damals hatte sich bei den Teigwaren ein Betriebsrat gegründet. Seitdem hat die Belegschaft einiges erreicht: 2019 einigten sich beide Seiten grundsätzlich auf einen Tarifvertrag, der im darauffolgenden Jahr auch abgeschlossen wurde. Im September 2021 stiegen die Löhne nochmals, um einen Euro pro Stunde. Längerfristig aber will die Gewerkschaft eine Angleichung an das West-Niveau erreichen. Weil nun auch der Mindestlohn stieg, forderte die NGG nach Ablauf der Friedenspflicht im September auch höhere Stundenlöhne: Zwei Euro mehr sollten es sein.
Was hat das Unternehmen angeboten?
Das Angebot der Geschäftsführung hatte bisher nur in Nuancen variiert. Im Kern wird den Mitarbeitern ein um 1,20 Euro erhöhter Stundenlohn geboten, das entspreche über alle Lohngruppen hinweg einer Erhöhung um zehn Prozent. Zum Vergleich: Der jüngste Tarifabschluss in der Metallindustrie sieht 8,5 Prozent mehr Lohn vor.
Teigwaren Riesa argumentiert damit, dass das Unternehmen wegen steigender Energie- und Rohstoffpreise vor harten Zeiten steht. Höhere Produktionskosten kann der Betrieb indes nicht ohne Weiteres auf den Verkaufspreis umlegen. Die Lieferpreise werden in Gesprächen mit den Lebensmitteleinzelhändlern verhandelt.
Wie es aussieht, wenn man sich nicht einigt, war 2021 zu sehen: Da gab es zeitweise bei Kaufland keine Nudeln aus Riesa. Der Druck wird auch künftig nicht kleiner. In Erfurt hatte die Schwarz-Gruppe, zu der auch Kaufland gehört, kürzlich ein Nudelwerk erstanden. Auch in Riesa macht man sich deshalb Sorgen.
Wie viel Geld verdienen Teigwaren-Mitarbeiter derzeit?
Momentan existieren im Unternehmen fünf Tarifgruppen. In den unteren beiden, in denen 40 Prozent der Belegschaft eingruppiert sind, liegen die Stundenlöhne bei 11,46 Euro und 12,51 Euro. Dazu kämen laut Teigwaren noch Schichtzuschläge, vergütete Wegezeiten sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld.
Wer bezahlt eigentlich die Streikenden?
Wer streikt, bekommt weniger Geld. Zwischen 60 und 85 Prozent ihres Gehaltes bekommen die Mitarbeiter als Streikgeld von der Gewerkschaft. Um die Härtefälle auszugleichen, hatte die NGG bereits einen Streikfonds eingerichtet. Zuletzt spendete da auch die IG Metall aus Dresden und Riesa 500 Euro.
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Warum eskalieren die Tarifstreitigkeiten jedes Mal so?
NGG-Verhandlungsführer Olaf Klenke bestätigt, dass es andernorts leichter sei, Kompromisse zu finden. Er verweist auf das Beispiel einer Molkerei in Niesky, wo man sich im August geeinigt hatte.
Ohne Streiks gab es keine Einigung. Wer sich mit Vertretern beider Seiten unterhält, bekommt zumindest den Eindruck, dass hier wie dort gegenseitiges Vertrauen ein Problem sein könnte. Das Verhältnis zwischen der Eigentümerfamilie Freidler und der Belegschaft hat zuletzt stark gelitten. 2018 bekam der damalige Betriebsratschef im Unternehmen zeitweise Hausverbot. Wenig später trat der Geschäftsführer Martin Steidl zurück. Es gebe unterschiedliche Auffassungen über Menschenführung und Umgang mit Belegschaft und Betriebsrat, so Steidl damals.
Umgekehrt wirft die Geschäftsführung der NGG vor, wie sie im Arbeitskampf agiert. Sie unterlaufe etwa die Tarifautonomie, indem Politiker angeschrieben werden. Fehlende Kompromissbereitschaft werfen beide Seiten einander seit Beginn des Streits vor, die Teigwaren sprachen zuletzt von Erpressung.
Was kann die angekündigte Moderation bringen?
Eine Moderation soll vor allem erst einmal beide Seiten wieder ins Gespräch bringen. Darüber, ob sie das richtige Mittel ist, gehen die Meinungen auseinander. „Ziel des Vorschlags war es, zu einer Gesprächssituation zu finden, die sachlich und lösungsorientiert ist“, teilt das Unternehmen mit. „Das war in den bisherigen Runden mit der NGG so nicht möglich.“
Dagegen hatte Olaf Klenke zuletzt erklärt, es gebe seiner Ansicht nach keine atmosphärischen Störungen, die ausgeräumt werden müssten. Dennoch befürwortet auch die Gewerkschaft prinzipiell Gespräche. Fest steht, dass beide Moderatoren in der Sache erfahren sind und schon an ähnlichen Verfahren mitgewirkt hatten.
Was bemerken die Kunden vom Streik an den Supermarktregalen?
Wie stark der Streik das Unternehmen wirtschaftlich trifft, ist offen. Anders als in den Vorjahren halten sich die Teigwaren Riesa diesmal bedeckt. Produziert worden sei aber nur in geringem Umfang, heißt es. Derweil warf die NGG dem Betrieb am Montag vor, die Produktion der Riesa-Nudeln teilweise ausgelagert zu haben: an den bayerischen Hersteller Bernbacher. „Sollte dies den Tatsachen entsprechen, wäre das ein weiterer Tiefpunkt in der Tarifauseinandersetzung“, so die Gewerkschaft. Teigwaren Riesa wollte die Vorwürfe mit Blick auf die anstehenden Gespräche am Dienstag nicht kommentieren.