Andreas Dunte und Florian Reinke
Leipzig. Der Wasserstoff-Boom lässt auf sich warten – im Raum Leipzig zeigt sich das derzeit eindrücklich. Gleich mehrere Großprojekte in Mitteldeutschland liegen auf Eis oder sind abgesagt: Ein prominentes Beispiel ist die Insolvenz des Unternehmens HH2E, das südlich von Leipzig eine Produktionsstätte errichten wollte. Und so ist die Frage berechtigt, die derzeit aufkommt: Sind die ambitionierten Wasserstoffpläne in Mitteldeutschland gescheitert? Die Antwort fällt nicht einfach aus. Denn es gibt weiterhin Projekte, die vorankommen.
Der ostdeutsche Ferngastransporteur Ontras hat sich jetzt zur Verzögerung mehrerer Großprojekte im Bereich Wasserstoff in Mitteldeutschland geäußert. „Diese Rückschläge sind schmerzlich“, erklärt Gunar Schmidt, Ontras-Geschäftsführer für Betrieb und Sicherheit, gegenüber dieser Zeitung: „Viele Projekte sind hervorragend konzipiert, aber unter den aktuellen Bedingungen nicht realisierbar.“ Das Unternehmen ist eine Tochter des Leipziger Erdgashändlers VNG.
Ontras fordert bessere Rahmenbedingungen für Wasserstoff
Ontras fordert die Politik auf, die Rahmenbedingungen für Erzeuger, Abnehmer und Transporteure zu verbessern, um den Markthochlauf zu unterstützen. „Denn eine Vielzahl neuer Akteure zeigt durchaus signifikantes Interesse am Wasserstoffmarkt. Die Energiewende insgesamt kann nur mit erneuerbarem Wasserstoff als Baustein funktionieren, etwa in der Chemie- oder Stahlbranche, sowie als Speichermedium für Grünstrom in den Zeiten, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint“, sagt Schmidt.
Neben der Insolvenz von HH2E gibt es weitere Rückschläge: So haben sich in Mitteldeutschland mehrere Marktteilnehmer zunächst oder vollständig zurückgezogen. Das betrifft den größten ostdeutschen Versorger EnviaM, der sich aus dem Projekt „Green Bridge“ zurückzieht, nachdem zuvor die Muttergesellschaft Eon in Essen alle seine grünen Wasserstoffprojekte „depriorisiert“ hatte.

Quelle: Ontras Gastransport GmbH
EnviaM zieht sich aus großem Wasserstoffprojekt zurück
EnviaM hatte bei „Green Bridge“ die Rolle eines Koordinators inne, war mit den Töchtern Mitnetz Gas und Envia Therm der wichtige Infrastrukturpartner und künftige Erzeuger. Unternehmen wie BMW, Porsche oder DHL wollte EnviaM mit grünem Wasserstoff versorgen, wofür das bestehende Erdgasnetz umgewidmet und neue Leitungen gebaut werden sollten. Zudem sollten auch Elektrolyseure errichtet werden.
Das insolvente Hamburger Start-up HH2E wollte in Thierbach bei Borna eine Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff errichten. Ob das Vorhaben noch eine Chance hat, kann nicht abschließend gesagt werden, denn offenbar läuft die Suche nach einem Investor, der das Projekt übernimmt.
Ontras baut Kernnetz für Mitteldeutschland
Der Ontras-Chef versprüht derweil weiter Zuversicht, kritisiert zugleich aber die strengen Vorgaben in der EU, die die Erzeugerseite unnötig belasteten: „Der Strom für die Elektrolyse muss etwa aus extra zu diesem Zweck errichteten Wind- oder Solarparks stammen, damit der produzierte Wasserstoff als grün anerkannt wird“, kritisiert der Ontras-Chef. „Darüber hinaus sind die Regeln für kohlenstoffarmen Wasserstoff, wie sie gerade die EU-Kommission plant, äußerst restriktiv. Das ist kontraproduktiv für den Hochlauf. Es braucht pragmatische Regeln für die Erzeugung wie auch Maßnahmen, um die Nachfrage anzureizen. Denn ohne solche Maßnahmen wird der Wasserstoff in der Anfangsphase schlicht zu teuer sein und der Hochlauf nicht in Gang kommen.“
Ungeachtet dessen baut der Gastransporteur an der notwendigen Infrastruktur – insbesondere am von der Bundesregierung initiierten Wasserstoff-Kernnetz. In einem ersten Schritt steuert Ontras 600 Kilometer in Mittel- und Ostdeutschland bei. „Das Kernnetz verknüpft Erzeuger und Abnehmer miteinander. So können H2-Geschäfte mit großen Mengen, wie sie in der Stahl-, Chemie- oder Kraftwerksbranche gebraucht werden, abgewickelt werden“, sagt Schmidt.

Quelle: dpa
Erdgasleitungen werden auf Wasserstoff umgestellt
„Mit dem Ontras H2-Startnetz leisten wir in Ost- und Mitteldeutschland einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft.“ Das Startnetz werde den mitteldeutschen Raum mit der Berliner Region, dem Industriebogen Meißen und der Stahlregion Salzgitter verbinden. Für den Großteil des Netzes werden bestehende Erdgasleitungen auf den Transport von Wasserstoff umgestellt. Das sei schneller, kostengünstiger und mit weniger Eingriffen in die Natur verbunden.
Wir halten an diesen Plänen fest, um den Wasserstoff-Hochlauf zu ermöglichen. – Gunar Schmidt, Ontras-Geschäftsführer für Betrieb und Sicherheit
„Wir halten an diesen Plänen fest, um den Wasserstoff-Hochlauf zu ermöglichen. Und wir tragen gern auch noch deutlich mehr zum Kernnetz bei“, sagt Schmidt. „Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Finanzierungsrahmen für das Kernnetz verbessert wird.“

Quelle: Waltraud Grubitzsch / dpa
Wie Schmidt betont, liegen nicht alle H2-Projekte in Mitteldeutschland auf Eis. Aushängeschild ist die Versorgung der Raffinerie des französischen Energiekonzerns Total Energies in Leuna mit grünem Wasserstoff durch RWE. Ontras baut dafür den Anschluss an das Wasserstoff-Kernnetz. Die ersten 25 Kilometer Pipeline von Bad Lauchstädt nach Leuna wurden bereits in Betrieb genommen. „Dazu haben wir eine bestehende Erdgasleitung auf Wasserstoff umgestellt“, erklärt Schmidt.
Total in Leuna will noch in diesem Jahr Wasserstoff beziehen
Der erste Wasserstoff für die Raffinerie wird zum Jahresende aus dem Energiepark Bad Lauchstädt kommen. Über dieselbe Leitung wird, wenn das Wasserstoff-Kernnetz nach und nach zusammenwächst, auch der Wasserstoff von RWE kommen, der in Lingen produziert werden soll. Die Raffinerie in Leuna trage mit ihrem Engagement wesentlich zum Wasserstoff-Hochlauf hierzulande bei, sagt der Ontras-Chef.
Der Energiepark sei ein Beispiel dafür, dass Projekte bei realen Marktbedingungen wirtschaftlich funktionieren können, „wenn alle Partner gemeinsam am selben Strang ziehen und der Staat den Einstieg mitfinanziert“.
Ohne den Import von grünem Wasserstoff wird es jedoch nicht gehen. „Denn es ist klar, dass Deutschland seinen Wasserstoffbedarf nicht allein durch heimische Produktion decken kann. Entsprechend sind verschiedene Importkorridore in Planung, die Wasserstoff aus Regionen mit besseren Produktionsbedingungen nach Deutschland bringen sollen“, sagt Gunar Schmidt.
Einer dieser Korridore sei der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor. Ontras will mit den Fernleitungsnetzbetreibern Polens, der baltischen Staaten sowie Finnlands diesen Korridor umsetzen und beteiligt sich an entsprechenden Studien. Eine Pipeline aus Finnland soll in Zukunft bis zu 2,7 Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoff jährlich transportieren. „Auch so wollen wir als Unternehmen der Gasbranche unseren Anteil zum Gelingen der Energiewende leisten.“