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Warum Sachsens Firmen ins Straucheln geraten – und welche drei Maßnahmen jetzt helfen

Sechs Jahre Krise, steigende Insolvenzen: Der Mittelstand steckt in der Krise. Er braucht jetzt eine verbindliche Agenda. Für Sachsen steht viel auf dem Spiel – doch es gibt Wege aus der Misere.

Lesedauer: 4 Minuten

Florian Reinke

Leipzig/Dresden. Vielsagend hat Kanzler Friedrich Merz dem Land einen „Herbst der Reformen“ angekündigt, doch viele sächsische Handwerker, Angestellte und Firmenchefs spüren davon nichts. Mitarbeiter bangen um ihre sicher geglaubten Industrie-Jobs, Unternehmer fragen sich verzweifelt, wie lange sie noch durchhalten: Statt eines Aufbruchs herrschen Wartestellung und tiefe Verunsicherung.

Der Mittelstand steckt in der Krise – das ist bekannt. Doch die Dringlichkeit für Reformen, die kleine und mittelgroße Firmen wirklich entlasten, scheint vielen nicht bewusst. Anstelle neuer Ankündigungen braucht es jetzt ein schnelles Entlastungs- und Investitionspaket für kleine und mittlere Unternehmen. Die gute Nachricht ist: Viele Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch, und auch Sachsen kann handeln.

Der Mittelstand trägt Sachsens Wirtschaft

Warum sind schnellere, mutigere und konkrete Maßnahmen entscheidend, damit der „Herbst der Reformen“ die Erwartungen erfüllt? Weil ohne einen starken Mittelstand in Sachsen nichts läuft.

99,8 Prozent der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen im Freistaat sind kleine und mittlere Betriebe, wie aus dem letzten Mittelstandsbericht hervorgeht. Sie beschäftigen 72 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und erwirtschaften über die Hälfte des Umsatzes.

Mitarbeiter prüfen Gußteile in einem sächsischen Gießerei-Betrieb: Der Mittelstand wartet auf Entlastungen.
Mitarbeiter prüfen Gußteile in einem sächsischen Gießerei-Betrieb: Der Mittelstand wartet auf Entlastungen.
Quelle: Jan Woitas/dpa

Schwächelt der Mittelstand, leidet der ganze Freistaat. Die Zahlen sind alarmierend: Die Schwäche in der Autoindustrie bedroht Tausende Jobs in der Zulieferbranche. Im vergangenen Jahr meldeten 867 Unternehmen Insolvenz an, 120 mehr als im Jahr zuvor. In der ersten Jahreshälfte 2025 gerieten 483 Betriebe in Schieflage; es ist gut möglich, dass der Jahreswert erneut steigt.

8000 Unternehmen schließen ihre Türen

Konkrete Folge: Mehr als 4.700 Menschen in Sachsen verloren nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im ersten Halbjahr 2025 ihren Job durch Insolvenzen. Häufig handelt es sich um kleine und mittlere Betriebe, die als Rückgrat der regionalen Wirtschaft besonders verletzlich sind.

Noch dazu schließen viele Betriebe leise: Im vergangenen Jahr haben in Sachsen fast 8000 Unternehmen auf Dauer dichtgemacht, der höchste Wert seit 2016. Insolvenzen machen dabei einen eher kleinen Teil aus.

Die Gründe sind vielfältig: Seit Jahren belasten schwere Krisen die Firmen, angefangen von den Nachwehen der Pandemie bis hin zur Energiekrise und dem Zinsanstieg. Die Pandemie konnten viele Firmen dank staatlicher Hilfe überleben – doch das Auslaufen hat zu einem Anstieg der Pleiten geführt.

Schwächelt der Mittelstand, leidet der ganze Freistaat.

Hinzukommen, stellt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einer Analyse fest, strukturelle Probleme, die Insolvenzen befördern.

Zuversicht kehrt zurück – doch die Erholung bleibt fragil

Beispiele gefällig? Da ist das Leipziger Stahl- und Hartgusswerk, das mit voller Wucht von den hohen Energiepreisen und der Absatzschwäche getroffen wird und in die Insolvenz gerät. Da ist der Maschinenbauer aus dem Raum Chemnitz, der zusehen muss, wie technologisch aufgerüstete Produkte aus China zu niedrigen Preisen seine Wettbewerbsposition untergraben. Und da ist der Handwerksbetrieb aus Dresden, der inzwischen 596 Arbeitsstunden im Jahr aufbringen muss, um all den bürokratischen Pflichten nachzukommen: Hohe Datenschutzstandards und Nachweispflichten erfüllen, Formulare drucken und unterschreiben, Gesetze aushängen.

Immerhin gibt es Lichtblicke. Der sächsische Mittelstand schöpft vorsichtige Zuversicht, zeigt eine neue Creditreform-Analyse. Das Geschäftsklima verbessert sich, die Investitionslust steigt allmählich. Doch die Erholung bleibt fragil. Viele sächsische Mittelständler erhalten weniger neue Aufträge als vor der Krise. Die Auskunftei warnt: Insolvenzen im Mittelstand bleiben ein Thema. Und die sächsischen Industrie- und Handelskammern melden in ihrer aktuellen Konjunkturumfrage: Die Lage der Unternehmen hat sich sogar weiter eingetrübt. Eine Belebung dürfte auch in den kommenden Monaten ausbleiben.

Trendwende? Fehlanzeige

Die Erwartungen an eine wirtschaftliche Wende sind daher groß. Zwar feiert die Bundesregierung erste Entlastungspakete mit einer angekündigten Senkung der Körperschaftssteuer ab 2028 und einem „Investitionsbooster“ – doch in der Breite wirken diese Maßnahmen bisher wenig.

„Alles muss raus“: Die Zahl der Insolvenzen bleibt auf einem hohen Niveau.
„Alles muss raus“: Die Zahl der Insolvenzen bleibt auf einem hohen Niveau.
Quelle: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dp

Dabei gibt es seit Monaten konkrete Reformpläne, niedergeschrieben etwa in der „Wachstumsagenda“ von fünf führenden Ökonomen: Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Forschung statt in kurzfristige Sozialausgaben, wachstumshemmende Auflagen abschaffen, das Arbeitskräftepotenzial heben. Zwar pumpt der Staat Milliarden in Infrastruktur und Sicherheit – aber es zeigt sich: Ein kreditfinanzierter Aufschwung ohne tiefgreifende Strukturreformen genügt nicht.

Nicht mehr über Entlastungen sprechen – sondern umsetzen

Wirtschaftspolitik wird zum Großteil in Berlin gemacht, das stimmt. Doch der Freistaat kann selbst handeln, und auch die Unternehmen sind gefragt. Was braucht der Mittelstand? Erstens: Schluss mit leeren Worten, echte Entlastungen müssen her. Jedes neue Landesgesetz sollte einen Mittelstands-Check bestehen: Ist die Regelung wirklich nötig? Gibt es praxisnahe Alternativen? Können kleine Betriebe die Anforderungen überhaupt erfüllen?

Zweitens: Neue Aufträge und Chancen müssen her. Die Rüstungsindustrie kann helfen, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Eine zentrale Voraussetzung: Die Politik muss um Ansiedlungen kämpfen, und die Unternehmen müssen Offenheit signalisieren.

KI kann den Mittelstand entlasten

Drittens: Digitalisierung vorantreiben. Künstliche Intelligenz kann Rechnungen prüfen, Angebote beschleunigen und Standardformulare ausfüllen. Doch laut Creditreform-Studie nutzen sie bisher 59 Prozent der befragten sächsischen Mittelständler nicht. Kammern und Verbände müssen schulen, das Land praktische Tools fördern. Und Behörden können durch KI das Tempo bei Genehmigungen erhöhen.

Klar ist: Sachsen konkurriert nicht mit Massenproduktion aus China. Sachsens Chance liegt in Innovation und Know-how, in Nischen und Spezialisierung – einem starken Mittelstand also. Doch das funktioniert nur mit unternehmensfreundlichen Rahmenbedingungen. Sonst zahlen Betriebe und Beschäftigte einen hohen Preis – und der Winter wird lang.

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