Dresden. Der Finanzbedarf von Sachsens Kommunen ist enorm: So verzeichneten sie zum Stichtag 30. September 2024 ein Haushaltsminus von insgesamt 1,07 Milliarden Euro. Die zehn Landkreise im Freistaat sind mittlerweile mit 270 Millionen Euro unterfinanziert, die gut 400 Gemeinden mit 225 Millionen Euro und die drei kreisfreien Städte mit 520 Millionen Euro. Die Folgen dieser Finanzkrise sind ein großer Investitionsstau. Geld für neue Straßen oder Brücken fehlt. Bekanntestes Beispiel ist die Landeshauptstadt Dresden, die bisher keine Finanzierungsmöglichkeit für die dort eingestürzte Carolabrücke gefunden hat.
Wenn das Sondervermögen mit kreditfinanzierten 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur tatsächlich kommen sollte, auf das Union und SPD sich in der Sondierung geeinigt haben, dann sind das die sechs Felder, auf denen Sachsen Geld benötigt.
1. Mindestens 140 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Carolabrücke
Seit vergangenem September gilt die eingestürzte Carolabrücke in Dresden als Sinnbild für die marode Infrastruktur in Deutschland. Die Stadtverwaltung veranschlagt für den Wiederaufbau bisher mindestens 140 Millionen Euro.
Im Januar hatte das Bundesverkehrsministerium einen Förderantrag abgelehnt, mit der Begründung, dass Städte mit mehr als 80.000 Einwohnern Ersatzneubauten von Bundesstraßen allein finanzieren müssten. Nun besteht Hoffnung, dass Dresden aus dem geplanten Infrastrukturfonds doch noch vom Bund unterstützt werden könnte.
2. Über 7 Milliarden Euro für den Straßenbau
Die Carolabrücke ist nur ein Beispiel. Im Straßenbau sind weitaus größere Geldbeträge nötig, um die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Nach einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Sachsen zu den Investitionsbedarfen im Freistaat, die im Vorfeld der Landtagswahl veröffentlicht wurde, müsste Sachsen bis zum Jahr 2033 allein rund 3,13 Milliarden Euro in den Ausbau und Erhalt von Staatsstraßen investieren. Weitere 4,2 Milliarden Euro wären laut der Studie für die kommunale Verkehrsinfrastruktur notwendig.
3. Etwa 12,4 Milliarden Euro für Schulen, Kitas und Unis
Bei den Prioritäten für Zukunftsinvestitionen steht Bildung ganz oben. Im Bundesländervergleich schneidet der Freistaat bei Schulbauinvestitionen zwar meist sehr gut ab, doch der Bedarf steigt weiter. Nach jetzigem Stand hat Sachsen aufgrund der leeren Staatskasse vermutlich in den nächsten zwei Jahren keinen einzigen Euro für den Schulhausbau.
Der Bau und die Sanierung von Schulen ist zwar eine gesetzliche Pflichtaufgabe der Kommunen, doch die Landesregierung unterstützt dabei mit Landesfördermitteln. Allein im vergangenen Jahr wurde der Schulhausbau mit rund 99 Millionen Euro unterstützt.
„Bisher waren die Fördermittel immer um ein Mehrfaches überzeichnet. Daran kann man den hohen Investitionsbedarf im Bereich des Schulhausbaues erkennen“, betont eine Ministeriumssprecherin. Hier wird es vermutlich Kürzungen im nächsten Doppelhaushalt geben, und Sachsen wäre auf Unterstützung aus dem geplanten Sondervermögen angewiesen.
Nach der Investitionsstudie des DGB Sachsen müsste der Freistaat in den nächsten zehn Jahren insgesamt 12,4 Milliarden Euro in Schulen, Kindertagesstätten, Hochschulen und Universitätskliniken stecken, die Hälfte davon in Schulen.
4. Hunderte Millionen Euro für die Wirtschaftsförderung
Dresden ist zum größten Mikroelektronikstandort in Europa geworden, und weitere Investitionen und Ansiedlungen sind in der Pipeline. Die SPD pocht darauf, dass der neue Doppelhaushalt die Fördermittel für notwendige Investitionen in die für Sachsen wichtigen Wirtschaftszweige wie Mikroelektronik oder Wasserstoffwirtschaft absichert. Doch eigentlich kann der Freistaat sich das künftig nicht mehr leisten. Denn da geht es schnell um dreistellige Millionenbeträge.
Nur ein Beispiel: Im Rahmen des „wichtigen Vorhabens von gemeinsamem europäischem Interesse“ (IPCEI) Mikroelektronik werden neue sächsische Projekte mit insgesamt 795 Millionen Euro gefördert. Davon trägt Sachsen rund 238 Millionen Euro. Nach Angaben des sächsischen Wirtschaftsministeriums (SMWA) hat Sachsen für Investitions- und Innovationsprojekte in den Bereichen Wasserstoff, Batteriezelltechnologie und Mikroelektronik bereits 466,5 Millionen Euro zugesagt und finanziert. Ein weiterer dreistelliger Millionenbetrag könnte auch für künftige Investitionen über den European Chips Act anfallen.
Aufgrund laufender Gespräche erwartet man im SMWA Großprojekte „in vergleichbarer Größenordnung“, die aktuell nicht im Haushalt berücksichtigt werden können. Auch müssen der Freistaat, die Stadt Dresden und der kommunale Energieversorger Sachsenenergie AG bislang die Investitionen in die notwendige Infrastruktur, also in den Ausbau von Strom-, Breitband- und Wasserversorgung für die Halbleiterschmieden, allein schultern. Nur der Ausbau des neuen Industriewassersystems wird voraussichtlich über 300 Millionen Euro betragen. Der Förderanteil durch Stadt und Land liegt bei 150 Millionen Euro.
Damit der Strombedarf der Chip-Industrie gedeckt werden kann, plant die Netztochter von Sachsenenergie, Sachsen-Netze, mit weiteren Investitionen in Höhe von 300 Millionen Euro. Wenn der für Deutschland und Europa so wichtige Halbleiterstandort wachsen soll, braucht Sachsen in der Zukunft mehr finanzielle Hilfe. Die genaue Höhe lässt sich derzeit nicht beziffern.
5. Fast 20 Milliarden Euro in den Klimaschutz
Deutschland hat sich durch die Unterschrift unter das Pariser Abkommen international verpflichtet, bis 2045 klimaneutral zu sein und damit das Tempo zur Drosselung seiner Treibhausgas-Emissionen drastisch zu erhöhen. Dieses Ziel gilt auch für Sachsen. Zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 müsste der Freistaat nach der Studie des DGB Sachsen in den nächsten 10 Jahren fast 20 Milliarden Euro für öffentliche Klimaschutzmaßnahmen und die Förderung privater Investitionen in Wärmepumpen, Wallboxen und Windräder aufbringen.
Sachsen will bei der Energiewende das Tempo beibehalten, auch im Interesse der Wirtschaft, die zum Teil schon vorangegangen ist. – Dirk Pante, Sachsens Wirtschafts- und Energieminister
Sachsens Wirtschafts- und Energieminister Dirk Panter hat Ende Februar auf der vierten Infrastrukturkonferenz in der Lausitz betont, dass Sachsen bei der Energiewende „das Tempo beibehalten will, auch im Interesse der Wirtschaft, die zum Teil schon vorangegangen ist“. Dafür sind vor allem massive Investitionen in den Ausbau und die Digitalisierung der Stromnetze und Speichermöglichkeiten erforderlich, damit der erzeugte Solar- und Windstrom auch von Großkunden wie der Industrie abgenommen wird. Stemmen müssen dies die Netzbetreiber Sachsenenergie und Envia-M.
6. Rund 1,2 Milliarden Euro im Digitalfonds offen
2022 hat der Freistaat das Sondervermögen „Fonds für digitale Teilhabe und schnelles Internet“ (DigiFonds) errichtet. Damit will der Freistaat den Glasfaserausbau weiter fördern und die „grauen Flecken“ schrittweise beseitigen. Der Fonds hat ein geplantes Volumen von 1,5 Milliarden Euro. Aus dem SMWA heißt es, dass die Finanzierung von Verpflichtungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro noch offen ist.
Den Investitionsbedarf für die Digitalisierung von Schulen, Universitäten und Krankenhäusern können nur die zuständigen Ministerien benennen, was in der Kürze der Zeit nicht möglich war. Aber der Bedarf dürfte vermutlich auch im dreistelligen Millionenbereich liegen, heißt es im Wirtschaftsministerium.
SZ