Von Verena Belzer
Radeberg. Neulich musste Helga Jäschke den vereinbarten Termin für ein Interview anlässlich ihres 80. Geburtstags kurzfristig absagen. „Wir müssen das verschieben“, sagte sie am Telefon, wie immer kurz angebunden. „Ich muss für jemanden einspringen und heute noch 30 Rouladen fertigmachen.“
Und wenn die Arbeit ruft, dann ist Helga Jäschke da. Vor Arbeit hat sie sich noch nie gescheut. Auch nicht mit 80 Jahren. Denn was sollte sie auch ansonsten machen? Um es mit ihren Worten auszudrücken: „Was sollte ich denn daheim? Mit den Blumentöpfen quatschen, oder was?“ Auch an Urlaub verschwendet sie keinen Gedanken: „Ich hab‘ noch Haushaltstage von der DDR übrig.“
Ein echtes Original
Helga Jäschke ist ein echtes Original, im besten Sinne des Wortes. Seit einigen Jahren betreibt sie die „Heideschänke“ in der Heidestraße in Radeberg – eine Sportlergaststätte samt Terrasse vor einem Fußballplatz, auf dem niemand mehr kickt. Das jedoch ist der 80-Jährigen total egal.
Sie kocht an sieben Tagen pro Woche für ihre Stammkundschaft – morgens Kaffee, mittags quasi ausschließlich Fleischgerichte, abends kleine Mahlzeiten. Ihre Gästeschar ist bunt gemischt. Viele sind Rentner, aber auch Geschäftsleute und Bauarbeiter lassen sich ihre Hausmannskoste schmecken.
Ein Teil ihrer Stammkundschaft war nun beim runden Geburtstag dabei – außerdem Verwandtschaft aus Kamenz, Hannover und Hamburg. Und an diesem Tag hat Helga Jäschke ausnahmsweise mal nicht gearbeitet, kein Bier gezapft, kein Schnitzel geklopft. Und sie hat mal nicht ihre Kittelschürze getragen – die ist eigentlich ihr Markenzeichen. „Die letzten Gäste sind um 2.30 Uhr gegangen, ich war dann um 3.30 Uhr daheim“, erzählt sie. Wenig Schlaf – das ist für die 80-Jährige nichts Ungewöhnliches. Nachts schläft sie nur zwischen drei und vier Stunden. „Das reicht mir.“
Von der Kelterei in die Gastronomie
Eigentlich wollte Helga Jäschke nie in der Gastronomie arbeiten – die Radebergerin ist gelernte Süßmosterin. Doch als die Kelterei, bei der sie angestellt war, bald nach der Wende dichtmachte, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Arbeitslos sein – das kam für sie nicht in Frage.
Der Weg in die Gastronomie war dann eher zufällig. In der bereits geschlossenen Kelterei hatte sie einen Lagerraum angemietet, um das Obst von Privatkunden anzunehmen und zu einer anderen Kelterei zu bringen. Und da kam es dann regelmäßig vor, dass die Leute sie gefragt haben, ob sie denn auch etwas zum Mittagessen da habe.
„Die wollten dann mal eine Bockwurst oder eine Bratwurst“, erzählt Helga Jäschke. Und so habe sich das eben immer weiterentwickelt. Mehr spontan als geplant. Als es dort dann irgendwann nicht mehr weiterging, weil das Gebäude baufällig war, zog sie in die Heideschänke um – da war sie schon über 70 Jahre alt.
„Wer sich daneben benimmt, fliegt raus“
Wie es weitergeht? „Ich hoffe, dass es noch eine Weile so geht wie jetzt“, sagt Helga Jäschke. Im Großen und Ganzen sei sie gesund und fit. „Schmerzen kommen, Schmerzen gehen. Man muss sich da nicht so verrückt machen.“ Kürzertreten – das sei jedenfalls keine Option.
„Das geht auch überhaupt nicht“, sagt sie. „Der Kalender ist voll. Familienfeiern, runde Geburtstage, Jugendweihen, Schuleinführungen, Weihnachtsfeiern – die Heideschänke ist ganzjährig gut ausgebucht.
Und ihre Stammkundschaft bleibt ihr treu. Mit vielen Gästen ist eine Freundschaft entstanden, die 1,49 Meter große 80-Jährige ist bei allen beliebt und respektiert. „Und wenn sich mal einer daneben benimmt, dann fliegt er raus“, sagt sie bestimmt. „Es sollen sich ja alle wohl bei mir fühlen.“
Über ihre Körpergröße kann Helga Jäschke nur schmunzeln. „Nicht armeetauglich“, sagt sie. Aber um erfolgreich eine eigene Kneipe zu führen, dafür reichen die 1,49 Meter völlig aus.
Vegetarisch ist bei Helga Jäschke nur die Salatbeilage
Also geht alles weiter seinen Gang. Die Gäste würden schon anfangen zu fragen, wann es endlich wieder Flecke gibt, die sind besonders beliebt. „Bei mir sind die Gerichte heftig und deftig“, sagt Helga Jäschke. Und reichlich. Vegetarisch ist nur die Salatbeilage. „Meine Gäste wollen eben Fleisch.“
Eingekauft wird ein bis zwei Mal pro Woche im Großmarkt und im Schlachthof in Dresden. Auto fährt die 80-Jährige nicht mehr. „Ich dürfte noch, aber ich will nicht mehr“, sagt sie. „So kann ich während der Autofahrt besser nachdenken, was ich alles brauche.“
Sie hat einen Mitarbeiter, der ihr immer mal wieder aushilft – ansonsten sind auch Tochter oder Enkelin manchmal dabei. Ob die die Heideschänke eines Tages übernehmen wollen? „Weiß ich nicht“, sagt Helga Jäschke. „Erstmal mache ich ja noch weiter.“