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Ein Unternehmer mit Haltung

Fritz Straub sieht den Verkauf der Hellerauer Werkstätten nach Frankreich als einen Schritt Sachsens nach Europa. Der Verkaufserlös fließt in eine private Stiftung, die Jugendprojekte fördern will.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann sitzt auf einem Stuhl und schaut in die Kamera.
Zehn Jahre hatte sich Fritz Straub mit der Nachfolge für sein Unternehmen beschäftigt – und dann entschieden. Foto: Deutsche Werkstätten Hellerau

Von Nora Miethke

Dresden. Fritz Straub hatte sich fest vorgenommen, nicht gerührt zu sein. Dann brach ihm doch leicht die Stimme an ein, zwei Stellen in seiner Abschiedsrede. Vermutlich quetschte sich auch die eine oder andere Träne ins Auge, als er zum Schluss des Festakts mit Antoine Courtois, dem neuen Eigentümer der Deutschen Werkstätten Hellerau, Arm in Arm vor seinen Mitarbeitenden und Gästen stand und dieser ihn auf Deutsch würdigte: „Sie haben eine Vision. Sie sind ein Vorbild. Ich möchte gratulieren“.
Mit einem Festakt Anfang September begann für das 127 Jahre alte Traditionsunternehmen ein neues Kapitel. Straub hat 75 Prozent der Firmenanteile an die französische Firmengruppe „Ateliers de France“ verkauft. 25 Prozent behält er selbst. Das sei kein Zeichen von Misstrauen oder Kontrollwut. „Aber es gibt Entscheidungen, die kritisch werden könnten für das Unternehmen, und da möchte ich gefragt werden“, so der Unternehmer.
Für Festredner Michael Kretschmer ist der Abschied Straubs von der Firmenspitze eine „Zäsur“. Für ihn seien die Begegnungen etwas Besonderes gewesen. „Dieser groß gewachsene Mann mit dem weißen Haar, immer eine Erscheinung, immer klug und nachdenklich in dem, was er sagte, meistens fragend, aber immer zugewandt“, so beschrieb der sächsische Ministerpräsident Straub.

Von der Marke fasziniert
Der 82-jährige Saarländer war in seinem ersten Berufsleben verantwortlicher Geschäftsführer für die Pharmasparte bei der Hoechst AG. Als er auf seine strategischen Ideen die Antwort bekam: „Sie haben recht, aber ich habe das Geld“, war dies das Ende seiner Karriere als Angestellter. Fritz Straub wollte Unternehmer werden. Die Treuhandanstalt zeigte ihm 60 DDR-Betriebe – vergeblich, bis sie ihn 1992 in die Deutsche Werkstätten Hellerau GmbH, vormals VEB Möbelkombinat Hellerau, führten. Es waren nicht die MDW-Möbel von Franz Ehrlich oder die Menzel-Stühle, die ihn faszinierten, sondern die Marke und das soziale Verständnis des Gründers. Karl Schmidt, der die Werkstätten 1898 gründete, hatte sich ganz der Herstellung von Reformmöbeln verschrieben. Sie sollten als Kompromiss zwischen preisgünstiger, maschineller Herstellung und geschmackvollem Design für die Mittelschicht erschwinglich sein. Karl Schmidt baute auch mit Partnern die erste deutsche Gartenstadt als Musterwohnsiedlung für seine Angestellten.
Fritz Straub startete nach einem „radikalen Abbauprogramm“, wie er selbst sagt, mit 85 Tischlern neu. Doch niemand brauchte eine große Schreinerei. Niemand im Westen konnte sich an die Hellerauer Werkstätten erinnern und die Konkurrenz in der Möbelproduktion ist hart.
Daher stellte der neue Inhaber den Betrieb schon bald um auf hochwertigen Innenausbau teurer Räume, erst in öffentlichen Gebäuden, später dann in Luxusjachten von über 100 Metern Länge. Da gibt es nur zwei oder drei Werften, die solche Privatschiffe bauen und alle sind Auftraggeber der Dresdner. Sie haben an mehr als 50 Mega-Jachten mitgearbeitet.
Ende 2023 arbeiteten etwa 450 Menschen für die Deutschen Werkstätten. Sie waren zu einer Firmengruppe mit einer Tochtergesellschaft in Russland geworden. Eine Tochterfirma in Großröhrsdorf erledigt den anspruchsvollen Innenausbau für Privathäuser in Berlin und München, in England und in der Schweiz.
Doch die großen Krisen der letzten Jahre – die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg in der Ukraine – brachten das lange erfolgsverwöhnte Unternehmen ins Straucheln. Der wichtigste Markt – das Jachtgeschäft – war zusammengebrochen, die russischen Oligarchen mussten ihre Schiffe im Westen vertäuen und konnte keine neuen kaufen. „Ich hatte zu spät reagiert und musste mir eingestehen, dass wir Insolvenz anmelden müssen”, bilanzierte Straub selbstkritisch.
Aber die Hauptauftraggeber, die deutsche Lürsen-Werft und eine zweite Werft aus den Niederlanden, wollten das nicht akzeptieren. Sie versorgten ihre besten Innenausstatter mit zwei Großprojekten für den Jacht-Ausbau im Wert von 70 Millionen Euro und sicherten so den Fortbestand. Dennoch waren die Einschnitte hart. Die Tochtergesellschaft in Russland wurde aufgelöst. Rund 100 Beschäftigte mussten gehen, die verbliebenen verzichteten auf Tariferhöhungen, Inflationsprämie und Weihnachtsgeld.
Dass dieser schmerzhafte Umstrukturierungsprozess weitgehend unbemerkt durchlaufen werden konnte, liegt auch an der besonderen Führungskultur. Chefs müssen nicht in allem Spezialist sein, aber mit ihren Mitarbeitenden so umgehen, dass jeder das Gefühl hat, es kommt auf ihn an, so das Verständnis. „Menschen etwas zutrauen und gemeinsam den Erfolg sehen oder auch gemeinsam in den Abgrund blicken. Diese Führungskultur macht die Erfolgsgeschichte der Hellerauer Werkstätten aus“, betonte Kretschmer in seiner Rede.

Nach der Umstrukturierung stand Straub erneut vor der Nachfolgefrage, mit der er sich schon seit zehn Jahren herumschlug. Sein Traum, das Unternehmen in eine private Stiftung zu überführen, war aufgrund der volatilen Geschäftsentwicklung geplatzt. Und so rief er Antoine Courtois an, den Präsidenten der „Ateliers de France“. Dieser hatte seit ihrem ersten Kennenlernen 2017 die französischen Werkstätten zu einem kleinen Firmenimperium der schönen Handwerkskünste ausgebaut, mit einem Umsatz von 685 Millionen Euro im vergangenen Jahr und mehr als 2.600 Mitarbeitenden.
Für Straub ist Courtois ein Sammler von Marken. Warum es der richtige Weg ist, dass sich die Marke „Deutsche Werkstätten Hellerau” in den Marken-Strauß der 50 besten Handwerks- und Einrichtungshäuser Frankreichs einreihen soll, begründet er so: „Courtois kennt unser Haus und ist bereit, unserer Firma die Möglichkeit zu geben, seine Identität zu bewahren und sich weiterzuentwickeln.” Jedes Unternehmen in der Firmengruppe ist völlig unabhängig und kann seine eigene Strategie verfolgen.

Straub, der Europäer
Den Franzosen musste er erklären, welche Bedeutung die Deutschen Werkstätten für die Sachsen haben. Den Sachsen musste er klären, warum er mit dem Verkauf an Courtois einen bewussten Schritt nach Europa macht. „Ich finde es toll, dass wir hier ein kleines Stück Europa schaffen“, rief er beim Festakt aus. Im Saarland unter dem Protektorat der französischen Alliierten aufgewachsen, erlebte er als junger Mann, wie der französische Präsident Charles de Gaulles und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer sich in den Armen lagen, um die jahrhundertealte „Erbfeindschaft“ zu überwinden. Das hat ihn nachhaltig geprägt.
Für Kretschmer ist Straub eine Unternehmerpersönlichkeit, die immer das Ganze sehe, nicht nur wirtschaftlichen Gewinn und Verlust. Damit meinte der Politiker nicht nur den Einsatz von Straub 2010 für die Bewerbung Helleraus um den Titel als Unesco Weltkulturerbe.
Der Unternehmer ist auch bereit, der Gesellschaft etwas vom Unternehmenserfolg zurückzugeben. So sollen der Verkaufserlös und seine 25 Prozent Firmenanteile in eine private Stiftung fließen, die noch in diesem Jahr gegründet werden wird – mit dem Ziel, der Jugend in Sachsen die Werte von Demokratie und Freiheit zu vermitteln.
„Ich kann es nicht verstehen, dass die AfD hier so eine Gefolgschaft hat“, betont Straub. Der Erfolg und die Existenz des Unternehmens hängen vom Vertrauen seiner ausländischen Kunden und Partner ab. „Denkt daran und passt auf“, appelliert er direkt an seine Beschäftigten, denen er dem Vernehmen nach, das Weihnachtsgeld aus seinem Privatvermögen nachzahlen will.

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