Dresden. Der Fallschirm spannt sich in der ganzen Halle auf. Die Facharbeiterin Ina Keßler kontrolliert genau, ob alle Nähte sitzen und sich die Leinen sauber aufspannen. Es geht schließlich um Leben und Tod. Die 58-Jährige ist selbst noch nie aus der Luft per Fallschirm gesprungen. Mit diesem dunkelgrünen wäre es auch nicht möglich, denn der wird für das Militär hergestellt.
Seit 41 Jahren arbeitet Keßler für das Fallschirm-Unternehmen Spekon. Zu DDR-Zeiten noch mit mehreren hundert Kollegen, jetzt sind es 40 Mitarbeiter, die am Standort in Seifhennersdorf Rettungs- und Truppenfallschirme schneiden, nähen, verpacken. Gerade laufen besonders viele beigefarbene Fallschirme durch die Nähmaschinen. Sie werden für die Vereinigten Arabischen Emirate hergestellt.
Seifhennersdorfer Fallschirmtechniker: Seit Ukraine-Krieg Umsatz verdoppelt
Das Unternehmen hat volle Auftragsbücher. Es ist eines von 80 Unternehmen, das in Sachsen in der Rüstungs- und Sicherheitsindustrie arbeitet. In Westdeutschland aber sind diese schlecht sichtbar. Der Fallschirmtechniker produziert daher mehr fürs Ausland, etwa für die Mongolei, Bulgarien, Portugal. Einen Auftrag der deutschen Bundeswehr haben sie nicht abbekommen: Der rund 56 Millionen Euro teure Auftrag für insgesamt 4336 Haupt- und 3090 Reservesysteme ging an ein französisches Unternehmen.
Für Spekon läuft es dennoch gut. 1000 Fallschirme produziert das Unternehmen im Jahr. Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich der Umsatz von 2,5 auf fünf Millionen Euro verdoppelt. Deshalb investiert das Unternehmen auch acht Millionen Euro in eine Gebäudeerweiterung. Zusätzliche Arbeitsplätze sollen damit geschaffen und die Kapazität um ein Drittel erweitert werden.
Wenn wir als ostdeutsches Bundesland zögern oder ablehnen, werden diese Investitionen anderswo in Deutschland getätigt. – Dirk Panter (SPD), Sachsens Wirtschaftsminister
Nach dem sächsischen Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) muss die sächsische Rüstungsindustrie dennoch stärker als bisher von den wachsenden Verteidigungsausgaben profitieren. „Die Milliarden aus dem Sondervermögen dürfen nicht nur im Westen aufschlagen“, sagt er bei einem Thementag zur Sicherheitsindustrie.
„Wenn wir als ostdeutsches Bundesland zögern oder ablehnen, werden diese Investitionen anderswo in Deutschland getätigt – und mit ihnen gehen neue Arbeitsplätze, Innovation und industrielle Wertschöpfung verloren.“
Mehr Produktion fürs Ausland als für Deutschland
Das findet auch Gunter Niemtschke, Geschäftsführer des Unternehmens MWK Defence in Königswartha. Er steht vor einem Backofen. Das Unternehmen mit 80 Beschäftigten stellt nicht nur Teile für Panzer her, sondern auch Küchengeräte für Kriegsschiffe und U-Boote. Das meiste davon produzieren sie für das Ausland, nicht für die deutsche Bundeswehr.
„Das ist eine geschlossene Gesellschaft in Westdeutschland. Da gibt es keinen Zugang für Firmen aus dem Osten.“ Es sei schwierig, an Aufträge heranzukommen, so der Geschäftsführer. 90 Prozent der deutschen Rüstungsstandorte liegen im Westen. Dass vom Sondervermögen etwas bei ihm ankommt, da sieht er momentan schwarz.

Quelle: Juergen Loesel
Ihm zufolge ändere sich aber die Einstellung in der Bevölkerung. Die Ablehnung sei vor einigen Jahren stärker gewesen.
„Es muss allen in der Bevölkerung klar werden, wir sind nicht verteidigungsfähig“, so Niemtschke. Vor einigen Jahren protestierten vor seinem Werktor noch 200 Demonstranten.
Bund soll Osten bei Verteidigungsaufträgen stärker berücksichtigen
Selbst in der Regierung war lange Zeit Skepsis zu spüren. So schlug Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) 2023 in Großenhain einen Volksentscheid vor. Der Rüstungskonzern Rheinmetall wollte dort eine Pulverfabrik und eine Fabrik für Artilleriegeschosse bauen. Ein Vorschlag, den er jetzt bereuen dürfte, wirbt er doch nun für eine „Ostdeutschlandkomponente“. Das Ziel: Auch sächsische Unternehmen und Standorte sollen vom höheren Wehretat profitieren.
Es ist ein Thema, das noch immer spaltet: Wer über die Dörfer Sachsens fährt, sieht hin und wieder ein Plakat mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ oder eine Friedenstaube. „Ich wünsche mir keinen Krieg, keine Waffen, keine Panzer“, sagt Minister Panter dazu. Und fährt fort: „Wir müssen als Land so gut ausgerüstet und vorbereitet sein, dass niemand auf die Idee kommt, tatsächlich eine Eskalation herbeizuführen.“ Sachsen dürfe nicht den Anschluss verlieren. Mit der Halbleiterbranche und guten Forschungseinrichtungen sei es in mancher Hinsicht sogar „besser“ als der Westen.
Funksysteme für Kriegsschiffe aus Dresden
So boomt auch die Verteidigungsbranche in Sachsen. Ob beim Fallschirmbauer Spekon in Seifenhennersdorf, bei MWK Defence in Königswartha oder bei Rohde & Schwarz in Dresden.
Letzteres wurde bereits 1933 gegründet. Wer im Flughafen durch eine piepsende Sicherungsschranke geht, hat sicherlich eine von Rohde & Schwarz passiert.

Quelle: Juergen Loesel
Der Münchner Technologie- und Sicherheitskonzern mit 15.000 Beschäftigten hat seit 2023 einen Standort in der Dresdner Innenstadt mit 65 Ingenieuren und Softwareentwicklern.
Auch in Leipzig und Chemnitz beschäftigt er Fachkräfte. In Sachsen forscht das Unternehmen an zivilen und militärischen Funksystemen an Land, auf dem Wasser und in der Luft.
Geheime Gespräche zu neuer Ansiedlung
In Dresden sucht es dafür händeringend neue Fachkräfte, denn es will seine Beschäftigtenzahl verdoppeln. Zudem sei der westdeutsche Konzern auf der Suche nach einem neuen Produktionswerk.
Minister Panter dürfte dabei hellhörig werden. Im Mai sagte er in einer Regierungserklärung, er werde sich „vehement dafür einsetzen, dass wir Investitionen in die Rüstung auch nach Sachsen holen“. Fünf Monate nach der Erklärung hat er noch keine große Ansiedlung verkündet. Geheime Gespräche gebe es aber, sagt er auf Nachfrage.

Quelle: Juergen Loesel
Auch im Süden von Dresden boomt es. In Wilsdruff investiert der Geschäftsführer Torsten Freudenberg des Unternehmens Precision Mechanics Group (PMG) in eine neue Halle.
Von 85 Beschäftigten will er auf 115 wachsen und das doppelte produzieren. Das Unternehmen stellt hoch spezialisierte Bauteile für die Luft- und Raumfahrt her. Ein Viertel davon geht in die Rüstungsindustrie.
„All unsere Teile sind dual-use. Wir wissen oft selbst nicht, wo sie verbaut werden.“ Der Hersteller baut unter anderem Raketenkomponenten für Raumfahrtkonzerne wie SpaceX.
Zudem forscht er an einem Stoßdämpfer für den Nachfolger des Leopard-Panzers. Dafür erhält der Geschäftsführer auch hin und wieder Drohmails.
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