Luisa Zenker und Michael Rothe
Dresden. Tischler Thomas Schulze steht mit einem Meterstab an der Hobelbank. Gerade zeigt der 70-Jährige seinen zwei Lehrlingen, wie sie einen Türrahmen bauen. Schulze könnte eigentlich längst die Füße hochlegen und seinen Ruhestand genießen. Doch der Holzexperte kommt zweimal in der Woche für je fünf Stunden in die Werkstatt der Löbauer Tischlerei Pötschke. „Mir macht es Freude, den jungen Leuten die Augen zu öffnen und sie auf das Berufsleben vorzubereiten.“
Mit 64 ist Schulze in den Ruhestand gegangen, er bekommt eine ortsübliche Rente. „Klar kann ich hier noch ein paar hundert Euro dazuverdienen, aber das ist nicht der Hauptgrund“, sagt der Tischler, der Spaß daran hat, die jungen Menschen zu motivieren und selbst noch zu lernen.
Ein halber Tag ist in Ordnung. Aber mittags bin ich verbraucht, da bin ich dann müde. – Thomas Schulze (70 Jahre), Tischler
Schulze ist damit keine Ausnahme, 13 Prozent der Deutschen sind im Alter von 65 bis 74 Jahren erwerbstätig, obwohl sie bereits Rente beziehen. Ein Großteil wegen Geld oder der Freude am Arbeiten. Wirtschaft und Politik wollen diese Prozentzahl erhöhen.
Doch das Handwerk wird immer wieder als Branche genannt, in der man mit über 65 nicht arbeiten kann. Tischler Schulze dazu: „Ein halber Tag ist in Ordnung. Aber mittags bin ich verbraucht, da bin ich dann müde.“ Einen ganzen Tag an der Schleifmaschine stehen – das halte er mit 70 Jahren nicht mehr durch. „Die Bedingungen dafür stimmen in den Betrieben nicht, wir Alten bräuchten Stühle zum Ausruhen. Arbeitsmodelle mit vier Stunden am Tag.“ Das passe aber derzeit nicht in den Betriebsablauf.
225.000 offene Stellen gibt es im Handwerk
Sein Chef Wilfried Pötschke sieht das ähnlich. Er leitet noch im Alter von 69 Jahren mit seinem Sohn den Betrieb. „Weil ich gebraucht werde, motiviert bin und gesundheitlich noch kann.“ Um 6 Uhr morgens ist er im Büro, als Geschäftsführer ist er selbst nicht mehr in der Werkstatt tätig, sondern für administrative Aufgaben zuständig. In seiner Tischlerei könne man bis 67 Jahren arbeiten, sagt er. Denn der Betrieb ist hochautomatisiert. Schwere Tür- oder Fensterrahmen muss keiner mehr tragen. Kräne, Gabelstapler und höhenverstellbare Arbeitsplatten machen die Arbeit rückenschonend.
Auch die Handwerkskammer Dresden begrüßt es, wenn ältere Beschäftigte nach dem Eintritt in den Ruhestand weiterarbeiten. Denn: Der Fachkräftebedarf ist hoch. 225.000 offene Stellen gibt es im Handwerk deutschlandweit. Gleichzeitig macht sich der demografische Wandel bemerkbar. Zudem fehlt es an Azubis, allein im Kammerbezirk Dresden sind 400 Azubistellen dieses Jahr nicht besetzt worden.

Quelle: SZ/Veit Hengst
„Die Menschen länger im Beruf zu halten, das muss unser Ziel sein“, sagt daher der deutsche Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Der Dachdeckermeister nimmt wahr, dass mehr und mehr Meister auch nach Eintritt in den Ruhestand dem Betrieb treu bleiben und stundenweise weiterarbeiten, beispielsweise um Brötchen auszutragen.
Auch sein Vater war mit 73 Jahren noch im familiengeführte Dachdeckerbetrieb tätig, nicht mehr oben auf dem Dach, aber etwa bei Baustellenkontrollen. Die von der Bundesregierung beschlossene Aktivrente sei daher ein richtiger Schritt, findet der 56-jährige Dittrich. Sie sieht vor, dass Ältere neben der vollen Rente 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen dürfen.
Fast die Hälfte der Babyboomer vorzeitig im Ruhestand

Quelle: Michael Kappeler/dpa
Andreas Brzezinski, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Dresden, warnt aber vor einem Drehtüreneffekt: Die Aktivrente dürfe nicht dazu führen, dass Rentner vorzeitig in den Ruhestand wechseln und dann dazu verdienen. Denn Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigen, dass fast die Hälfte der Babyboomer im Rentenalter verfrüht in den Ruhestand gegangen ist.
Mit über 60 im Maurerbetrieb
Doch kann man überhaupt mit über 60 noch auf dem Dach stehen oder Straßen bauen? „Grundsätzlich kommen alle Gewerke infrage“, sagt Hagen Rießmann von der Handwerkskammer Leipzig. In Zimmereien, Bodenlegerbetrieben, Steinmetz- oder Stuckateurbetrieben sei es aber schwer vorstellbar, dass pauschal länger gearbeitet wird.
„Mancher Meister steht noch mit Mitte 70 fit in der Werkstatt, während ein anderer mit Mitte 50 körperliche Beschwerden spürt und sich eine Beschäftigung mit weniger körperlicher Belastung wünscht“, sagt Rießmann. „Das Alter allein sagt wenig aus über die Arbeitsfähigkeit. Deshalb sind Flexibilität und Augenmaß nötig.“

Quelle: SZ/Veit Hengst
Das findet auch Maurermeister Andreas Geißler. Der Dresdner leitet noch mit 70 Jahren gemeinsam mit seinem Sohn den Betrieb. „Ich fahr’ keine Ziegel mehr, ich schreibe Angebote für Schulen, Kindergärten, Privatgrundstücke“, sagt Andreas Geißler. „Tausende Tonnen Schubkarren schleppen – das machst du nicht bis 70. Das geht rein motorisch nicht mehr.″ Statt halb 7 ist er jetzt halb 9 im Büro.
Auch sein Sohnemann Peter Geißler muss mit 45 Jahren bereits gut auf den Rücken aufpassen. Automatisiert ist beim Maurer nur die elektrische Schubkarre und der Gabelstapler – mehr gehe nicht, so Geißler. 40 Jahre auf Knien arbeiten – da sei der Körper irgendwann verschließen. Laut Handwerkskammer Dresden wechseln viele ältere Handwerke dann in andere Positionen, in denen sie sich auf Akquise, Arbeitsschutz, Ausbildung spezialisieren. Da sei in größeren Betrieben leichter als in kleineren.
SZ


