Von Irmela Hennig
Zittau/Görlitz. Die niedrigen Mieten, die Nähe zur tschechischen Grenze mit der Möglichkeit, günstig einzukaufen. Für Lukas Paul Wilke waren das zwei von mehreren Punkten, die dafür sprachen, in Zittau zu studieren. Im Wintersemester 2021 startete der Dresdner an der Hochschule Zittau/Görlitz (HSZG) mit Molekularer Biotechnologie. Schon am Beruflichen Gymnasium hatte er Biotechnologie als Leistungskurs belegt. Fand das Fach interessant genug, um damit weiterzumachen. Bereut hat der heute 24-Jährige weder die Richtung, noch den Ort. Den Anfang gelte es natürlich schon zu bewältigen. „Man kommt vielleicht mit dem Wunsch, gleich an Genen zu arbeiten und Krebs zu heilen. Doch in den ersten Semestern geht es um Grundlagen“, so Wilke. Allerdings habe er später bemerkt, wie alles ein Gesamtbild ergibt und fachgebundene Themen auf diese Basis aufbauen.
Seit etwa 25 Jahren gibt es Biotechnologie an der Zittauer Fakultät Natur- und Umweltwissenschaften. Noch sind die Gebäude und Labore des Sektors über die Stadt verstreut zu finden, sollen aber künftig an einem Standort konzentriert werden. Neben dem Bachelor in Molekularer Biotechnologie bietet die HSZG den Masterstudiengang für Pharmazeutische Biotechnologie an, das Internationale Hochschulinstitut Zittau den für Biotechnologie und angewandte Ökologie. Geht es zu Beginn vor allem um Mathematik, Physik, Biologie und Chemie, stehen später Inhalte wie Immunologie, Gentechnik oder auch Bioverfahrenstechnik auf dem Plan. Wie Lukas Wilke hat auch Sophie Kutzner Biotechnologie in Zittau studiert, sogar ihren Master hier gemacht. Inzwischen schreibt sie ihre Doktorarbeit bei einem der größten deutschen und europäischen Pharmaunternehmen – bei Boehringer Ingelheim RCV am Standort in Wien. Sophie Kutzner, die aus Horka bei Niesky stammt, sieht in dem Fachbereich vielseitige Karriereperspektiven. „Ich kann als Wissenschaftler, sogenannter Scientist, in branchentypischen Unternehmen bleiben, kann eine Laborleiterstelle annehmen oder mich um eine Management- beziehungsweise Gruppenleiterstelle bemühen.“ Mit einem Bachelor-Abschluss finde man unter anderem sehr wahrscheinlich als Labortechniker einen Job.
Da sie während des Abiturs Mathe und Physik als Leistungskurs belegt habe, und Chemie Teil ihres Abis war, sei ihr der Anfang des Studiums recht leichtgefallen. „Wer diese Vertiefungen nicht hat, kommt aber trotzdem mit, solange man sich mit dem Fach beschäftigt, an den Seminaren aufmerksam teilnimmt oder, wenn notwendig, an den kostenlosen Tutorien, also Nachhilfestunden.“ Lukas Paul Wilke ergänzt, die Professoren hätten „ein Interesse daran, dass man es schafft“. Auch wenn es Abbrecher gebe. Die eher kleine Hochschule sorge überdies dafür, dass man sich kenne. „Man ist hier keine Matrikelnummer“, so der Sachse, der inzwischen an der Technischen Universität Dresden seinen Master in Biochemie macht und sich später eine Tätigkeit in der Pharmabranche vorstellen kann. Er weiß: „Die Welt steht uns offen.“
An der Zukunft mitarbeiten
Das kann Professorin Dr. Eva Neugebauer bestätigen. Die Möglichkeiten seien weitgefächert. Besonders, wenn man nach dem Bachelor den Master anhängt. Absolventen könnten beispielsweise mit daran arbeiten, chemische Prozesse auf biotechnologische Methoden umzustellen. Ziel sei es, damit der Rohstoffknappheit zu begegnen, Ressourcen zu schonen und auch die Umwelt, indem unter anderem weniger toxische Abwässer entstehen, weniger Erdöl benötigt werde. Neugebauer berichtet zudem von einer Absolventin, die nun an einem Uniklinik-Herzzentrum im Entwicklungsbereich tätig ist. Und sie sieht sogar in der Oberlausitz gute Jobmöglichkeiten. In Ämtern, aber ebenso in der Wirtschaft. So bei Sysmex Partec in Görlitz, einem Produzenten von Geräten, unter anderem für Diagnostik, oder beim Reagenzien-Hersteller Euroimmun mit Standorten in der Region.
Eva Neugebauer hat seit zwei Jahren den Lehrstuhl für „Molekulare Biotechnologie“ an der Hochschule inne. Die gebürtige Eibauerin hatte im Ruhrgebiet unter anderem Mikrobiologie und Chemie studiert und beim Virologen Christian Drosten in Bonn promoviert. War später zehn Jahre bei Euroimmun als Arbeitsgruppenleiterin tätig. Dort traf sie auf viele Kollegen in Führungspositionen, die ihr Biotechnologie-Studium in Zittau absolviert hatten. „Und mir ist aufgefallen, wie toll sie ausgebildet sind.“
Praktisch tätig werden, schon während der Hochschulzeit, spiele dabei eine wichtige Rolle. Für Lukas Paul Wilke spricht darum das eingebaute Praxissemester, das in Unternehmen, in der Forschung oder auch an der Hochschule absolviert werden kann, für das Studium an der HSZG. Man werde als Zittauer Student da gern genommen. Sophie Kutzner rät überdies dazu, sich zusätzlich einen Minijob in der Fachrichtung zu suchen. „Das überzeugt im Lebenslauf.“ Und es sei gut, „über den Tellerrand zu schauen“. Ihr Praxissemester im Master habe sie in den Niederlanden absolviert.
Generationswechsel vor Ort
Biotechnologie sei generell ein sehr praktisches Fach. In den Laboren des Fachbereichs finden Praktika statt. Brot backen und Bierbrauen, was den Ursprung von Biotechnologie vermittele, seien als Experimente fest verankert und beliebt, so Professorin Neugebauer. Um Erstsemestern bereits in der theorielastigen Anfangszeit etwas zu bieten, wird es am Lehrstuhl mit „Grundlagen Biotechnologie“ eine neue Vorlesung geben. Mehrere Professoren wechseln sich dabei ab und wollen mit den Einsteigern „spannende Experimente machen“.
Auch sonst haben Eva Neugebauer und ihre Kollegen im Fachbereich einiges verändert. Hintergrund sei auch ein Generationenwechsel in den letzten vier, fünf Jahren. „Wir haben hier jetzt alles junge Professoren aus unterschiedlichen Gebieten und mit neuen Ideen“, so Eva Neugebauer. Dem trägt seit dem Wintersemester eine geänderte Studienordnung Rechnung. Das bedeutet unter anderem konkret: Professorin Neugebauer wird dann eine Virologie-Vorlesung halten, verknüpft mit einem Laborpraktikum. In dem Bereich habe sie durch ihre frühere Forschungsarbeit die Expertise. Sie habe unter anderem am Sars-Coronavirus und am jetzt gerade wieder präsenten Chikungunya-Virus gearbeitet. Viren generell sind in der Biotechnologie ein Zukunfts- und Gegenwartsthema. Im Bereich Zellbiologie trifft das beispielsweise zu auf entzündliche Erkrankungen des Darms. Dem Gebiet widme sich Lehrstuhlinhaberin Professorin Dr. Elisa Wirthgen. Mit einem von der EU sowie dem Freistaat geförderten Projekt werde nun eigens eine Nachwuchsforschergruppe aufgebaut. Die werde sogenannte rekombinante Antikörper identifizieren und herstellen. Ziel: diagnostische Tests und eventuell sogar therapeutische Ansätze für entzündliche Erkrankungen entwickeln.


