Fleischer Andreas Wagner aus Mittelherwigsdorf ist einer von hunderten Teilnehmern des Protest-Konvois der Handwerker und Unternehmer. Seine Situation gibt zu denken.
Von Markus van Appeldorn
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen machte sich am Donnerstagnachmittag ein Auto-Konvoi von Handwerkern und Unternehmern von Zittau aus auf – als Protest gegen existenzbedrohende Energiepreise. Mehrere hundert Fahrzeuge beteiligten sich. Ein Teilnehmer war Fleischermeister Andreas Wagner, Inhaber der „Naturpark-Fleischerei Wagner“ in Mittelherwigsdorf. Gleich mit drei Fahrzeugen seines Familienunternehmens war er dabei. SZ hat sich zu ihm auf den Beifahrersitz gesetzt und mit ihm über seine Situation gesprochen – eine emotionale Rundfahrt durch die Oberlausitz.
Das Gelände der Baufirma Osteg an der Zittauer Friedenstraße ist riesig – aber viel Platz hat’s hier am Donnerstagnachmittag nicht mehr. Gerade noch ein paar Fahrwege sind frei. Dicht an dicht stehen hunderte Fahrzeuge: Lkw, teils noch mit schweren Baumaschinen im Schlepp, Lieferwagen, Traktoren mit Hängern. Hunderte Unternehmer und Handwerker sämtlicher Gewerke aus dem gesamten Südkreis haben hier Aufstellung genommen. „Wenn das vor drei Jahren jemand gesagt hätte, dass wir so etwas mal machen müssen – das hätte keiner geglaubt“, sagt Andreas Wagner und lacht ein bisschen – eher ein Lachen aus Verzweiflung. Die ersten gut 100 Fahrzeuge des Konvois haben den Hof schon verlassen. Dann müssen auch wir los.
Techno-Musik als Sound der Verzweiflung
Im Fiat Ducato von Andreas Wagner läuft Techno-Musik. Und irgendwie scheinen die Titel zum Anlass zu passen: „Drama Morbeck Remix“ oder „Dance of Illusions“. Ob so ein Konvoi etwas nutzt? „Man kann das Spiel jeden Tag spielen – im Kreis fahren. Aber irgendwann muss es auch Wirkung zeigen“, sagt er. Wagner hofft wie alle anderen Teilnehmer, dass die Politik irgendwann hinschaut – und handelt. Schon in Zittau schlägt dem Konvoi viel Sympathie entgegen. Am Straßenrand und auch in Fenstern stehen Familien. Kinder winken uns freundlich zu. Aber schon kurz nach Beginn gibt es bei Facebook im Internet auch böse Kommentare. Weil der Konvoi den Verkehr aufhält. Ob so etwas wirklich sein muss? Der Protest würde die Falschen treffen und die, gegen die er sich richtet, überhaupt nicht interessieren.
Und natürlich ist es so. Dort wo die Polizei an Kreuzungen den Weg für den Konvoi frei macht, staut sich der Verkehr weit zurück. Die Polizei lässt den Konvoi in einem Stück passieren – das kann dauern. Tun ihm die betroffenen Verkehrsteilnehmer ein bisschen leid? „In gewisser Hinsicht schon. Die haben ja auch alle Kinder abzuholen oder andere Termine“, sagt Wagner. Dennoch: „Irgendwie muss man Flagge zeigen. Protest hat ein Ziel: Aufmerksamkeit. Und die schaffen wir hier“, sagt er. Und wie andere Teilnehmer will Wagner auch niemanden unnötig behindern. Ein Taxi etwa lässt er an einer Einmündung in den Konvoi hereinfahren. „Der verdient seine Kohle mit dem Auto. Es würde auch niemand von uns einen Krankenwagen blockieren“, sagt er.
„Da stecken Lebenswerke dahinter“
Andreas Wagner schildert am eigenen Beispiel, wofür er diese Aufmerksamkeit schaffen will. 2007 hat er seine „Naturpark-Fleischerei“ in Mittelherwigsdorf gegründet. Mit der Fleischerei, einem Café, einem Catering-Service und einer kleinen Gastronomie im Freibad Oderwitz beschäftigt das Familienunternehmen mittlerweile 27 Mitarbeiter. Und diese Existenz ist bedroht. „Von September 21 bis September 22 haben sich meine Stromkosten verdoppelt“, sagt er. Statt wie früher sieben Prozent würden sie nun zwölf Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Dazu kommen um die 25 Prozent oder mehr gestiegene Einkaufspreise. Klar, er hat die Preise im Januar bereits erhöht. „Aber das kann man nicht immer wieder und wieder machen. Irgendwann gehen die Kunden das nicht mehr mit und kaufen beim Discounter ein“, sagt er.
Einige in der Produktion besonders kostenintensiven Waren hat er deshalb vorläufig aus dem Sortiment genommen – und mehr: „Früher lief die Verkaufskühltheke die ganze Nacht durch. Jetzt wird sie jeden Abend ausgeräumt und ausgeschaltet“, nennt er eine seiner Sparmaßnahmen. Auffangen kann das die gestiegenen Kosten nicht. „Rücklagen konnte ich seit zwei Jahren nicht bilden. Die ich hatte, sind aufgebraucht“, sagt er. Gerade hat er einen neuen Stromliefervertrag geschlossen, für 42 Cent pro Kilowattstunde. „Alles über 50 Cent und ich hätte im Januar aufgehört. Das sage ich so wie es ist“, schildert Wagner die Dramatik der Situation. Sein ältester Sohn ist 19 Jahre alt, lernt gerade das Fleischerhandwerk und will mal in das Familienunternehmen einsteigen.
So ist die Situation bei vielen, die im Konvoi mitfahren. „Hier fahren ja nicht nur Chefs mit, sondern auch viele Mitarbeiter, die ihre Unternehmen und ihre Familien repräsentieren“, sagt er, und: „Das ist alles Herzblut, das hier fährt. Das ist die Angst vor der Zukunft. Da stecken Lebenswerke dahinter.“ Bei so manchem würde nicht nur die Firma, sondern Haus und Hof mit dran hängen. „Das ist bitter. Man muss zuschauen, wie andere mit nicht nachvollziehbaren Entscheidungen etwa in der Energiepolitik Dinge für uns zum Risiko machen“, sagt er. Statt irgendwelcher Entlastungen sollte die gesamte Energiepolitik geändert werden. „Diese Entlastungen finanzieren langfristig die anderen. Die, die nach uns kommen“, sagt er.
Wie zumindest optisch wirkmächtig der Konvoi ist, zeigt sich in der Dunkelheit etwa in Ruppersdorf. Wir stehen ziemlich weit hinten in der Schlange. Vor uns ein schier unendlich scheinender Lichter-Wurm aus orange flackernden Rundumlichtern und Warnblinkern. „Das sind gut zwei Kilometer, die wir hier vor uns sehen. Die Spitze steht schon kurz vor Herrnhut“, sagt Andreas Wagner. Nach drei Stunden Fahrt rollen wir wieder bei Osteg auf den Hof. Andreas Wagner wird auch bei weiteren Konvois dabei sein – bis auch andernorts ein Licht aufgeht.