Silvester wird er sich um Mitternacht in die Mitte der Gaststube setzen. Ob er dann weint oder lacht, weiß er noch nicht. Aber er wird zu knabbern haben und meint damit keine Chips. Es wird sein letzter Abend als Wirt der Markersbacher „Linde“ sein. Claus Eckert hat die Gaststätte verkauft. Obwohl er sich zehn Jahre um einen Nachfolger bemühte, gibt er die Gaststätte nicht gern her. 27 Jahre gehörte sie ihm, zuvor hatte er sie seit September 1980 geleitet. „Ich bin Kellner, Buchhalter, Einkäufer, Hausmeister, mache das Büffet, helfe in der Küche …“ Eckert ist mittendrin in seiner arbeitsreichen Berufung, auch wenn die in Kürze Vergangenheit ist.
Dem Neuen will er mit Rat und Tat zur Seite stehen. Na ja, mehr Rat als Tat, sagt Eckert, aber so richtig kann er es sich nicht vorstellen, dass er die „Linde“ nur noch als Gast besucht.
Genau so wenig konnte er sich damals vor 38 Jahren vorstellen, auf was er sich da einließ. Eigentlich war der gelernte Elektriker und Schweißer da gerade Kraftfahrer bei der Armee, und als solcher belieferte er eben auch das Betriebsferienheim in Markersbach. Er half drei, vier Wochen aus, stand hinterm Tresen, bekam Gefallen, bewarb sich, wurde genommen. „Und seitdem bin ich Gastwirt“. Er machte noch seine Ausbildung zum Kellner und zum Gaststättenleiter. Manchmal habe er es bereut, aber nie ernsthaft, denn: „Ich wollte nichts anderes mehr.“
In der DDR war es „uneinfacher“, eine Gaststätte zu leiten, sagt Eckert. Um etwas Vernünftiges auf den Tisch bringen zu können, musste er organisieren lernen. Nach der Wende war es kein Problem mehr, eine vernünftige Karte zu gestalten, aber es taten sich schnell andere Schwierigkeiten auf. Die Leute nämlich konnten plötzlich jenseits der Grenze billig essen und kosteten das auch aus. „Aber sie sind dann schnell wiedergekommen“, sagt Eckert.
Er erzählt ohne Pathos, dramatisiert nicht, macht nichts wichtiger, als es war. Er hängt einfach an der „Linde“ und will sich den Abschied nicht schwerer machen, als er eben ist. Auch wenn er sich schon lange mit dem Gedanken trug.
Sein Nachfolger kommt nicht aus der Branche und will erst einmal unerkannt bleiben, jedenfalls in der Zeitung. Die Gäste werden ihn schon kennenlernen. Eckert hat er damit überzeugt, dass er den Gasthof so lassen will, wie er ist – als Dorfgasthof mit Übernachtung.
Wichtig war Eckert, dass der Neue die sieben Angestellten übernimmt. Bei denen und seinen treuen Gästen will sich Eckert noch bedanken. Ohne sie hätte er wohl nicht so lange die Geschäfte geführt. Die „Linde“ ist der Ort im Dorf, wo seit fast 230 Jahren von der Geburt bis zum letzten Gang die Leute zu allen Anlässen zusammenkommen, sagt Eckert. Er wünscht sich, dass es so bleibt.
Eckert wohnt nicht weit weg, wird seinen Gasthof, der es dann nicht mehr ist, immer im Blick haben. Mit Freude im Herzen, sagt er. „In dieser Hoffnung schwebe ich.“ Und wenn sich die Hoffnung nicht erfüllt? Dann werde er mit dem Neuen reden, woran es liegt. Die Dehoga als Interessenvertreter der Gastwirte freut sich über solche positiven Übergabe-Geschichten wie in Markersbach. Viele Wirtsleute wünschen sich Nachfolger, viele haben es aufgegeben. Man braucht nur in die Dörfer schauen: Wo gibt es noch Gasthöfe? Eine Börse, wie zum Beispiel bei den Nachfolger suchenden Ärzten, gibt es nicht. Es würde wohl nicht viel helfen, sagt Eckert. Derzeit suchen zwei Gastwirte aus dem Pirnaer Dehoga-Bereich Nachfolger, sagt Geschäftsführer Thomas Pfenniger. Die Dehoga helfe, wenn gewünscht, mit Unternehmensberatungen.
Claus Eckert setzt sich an den Tisch rechts von der Eingangstür in der Ecke und trinkt einen Kaffee. Obwohl er unzählige Fässer Bier hinterm Tresen hat in Gläser laufen lassen, er selbst trinkt keines. Es hat ihm als Wirt nicht geschadet – entgegen der landläufigen Meinung, dass ein Wirt, der mit seinen Gästen kein Bier trinkt, kein richtiger Wirt ist. Eckert war ein richtiger, auch ohne Bier.
Die Linde ohne Claus Eckert. Noch ist das für viele im Dorf schwer vorstellbar. Eckert weiß, dass sich die Leute an ihn gewöhnt haben – so wie er sich an die Gäste. „Wenn ich gestorben bin, geht es auch weiter“, sagt er. Damit will er sich selbst gut zureden. Denn an Sterben denkt der 71-Jährige freilich noch nicht. Es gibt noch viel zu tun. Und er hat nun mehr Zeit für Norwegen, wo viele aus seiner Familie leben. Schon über 30 Mal war er dort. Aber hinziehen, nein. Er ist in Markersbach zuhause. Auch wegen der „Linde“.
Von Heike Sabel
Foto: © Daniel Schäfer