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Deutschlands jüngster Messerschmied kommt für Jahrtausende altes Handwerk zurück nach Görlitz

Der 24-jährige Tillmann Klein ist jüngster Meisterschüler seiner Innung. Sein Handwerk lernte er zwischen Amboss und Esse in Pirna und Finnland - und nun kehrt er zurück in seine Heimat.

Lesedauer: 5 Minuten

Man sieht Tillmann Klein beim Messer schleifen.
Tillmann Klein zeigt in einem Kurs in der ehemaligen Lattka-Stube in der Weberstraße 8 in Görlitz, wie man Messer richtig schleift und schärft. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Von Marc Hörcher

Tillmann Klein liebt sein Handwerk. Der 24-jährige Görlitzer ist der jüngste Meisterschüler seiner Innung unter den Messerschmieden und -schleifern – wie die Tätigkeit des „Präzisionswerkzeugmechanikers für Schneidewerkzeuge“ salopp genannt werden kann. Stundenlang könnte er erzählen, über das Herstellen und das Abschleifen von Messern mit Wassersteinen und deren verschiedene Rauheitsgrade, über die Messer selbst, über die unterschiedlichen Anschliffe der Klingen – und nicht zuletzt über seine private Messersammlung.

Die Frage, wie viele Messer er selbst sein Eigen nennt, führt bei ihm zu einem verschmitzten Grinsen – und der Erklärung: Eine Vitrine mit seiner Sammlung hat er zu Hause – eine, mehr soll es nicht werden, das ist mit seiner Lebenspartnerin so vereinbart, um des lieben Hausfriedens willen. Manche Messer ruhen als Ausstellungsstücke in besagter Vitrine, andere nutzt er zu den passenden Gelegenheiten: zum Schnitzen beim Spaziergang im Wald, zum Kappen eines Seils bei einer Klettertour, als Rettungsmesser beim Paddeln im Kanu.

Aus jedem Land, das er bereist hat, besitzt er ein Messer, sagt er, in Erinnerungen schwelgend – sechs solcher „Ländermesser“ kamen bis jetzt zusammen – fünf gekauft, eines selbst geschmiedet im Zuge seines Auslandssemesters in Finnland. Tillmann Klein ist gebürtiger Görlitzer. „Ich verbinde selbst viel mit dieser Stadt. Nicht allein, dass ich hier aufgewachsen bin, auch begann ich hier den Einstieg in den Beruf, der mich sehr begeistert“, sagt er. In seinen Händen liegt nicht nur das handwerkliche Können, sondern, so der Plan, künftig auch die Nachfolge für einen 117 Jahre alten Traditionsbetrieb in der Görlitzer Altstadt. Der junge Mann möchte den geschichtsträchtigen Laden der Schleiferei Lattka in der Weberstraße 8, die sein Meister vor zwei Jahren aufkaufte, weiterführen.

Wie kam es dazu? „Nach meinem Abitur ging ich nicht studieren, sondern begann den leider viel zu selten gewählten Weg und erlernte ein Handwerk. Etwas selbst zu schaffen, individuell, kreativ, einzigartig – so stellte ich es mir vor“, sagt Klein. Also begann er den seltenen Beruf des Präzisionswerkzeugmechanikers in der Innung der Messerschmiede bei einem Meister in Pirna. Das erste Jahr verbrachte er noch in Görlitz an der Berufsschule Christoph Lüders. Von Lehrern und Schulleitung ausgezeichnet, startete er dann in sein zweites Lehrjahr, das er in Pirna fortsetzte.

Sein Werkzeug haucht alten Schätzen neues Leben ein

Das Handwerk, sagt Klein, habe ihn „voll und ganz in seinen Bann gezogen“. Warum? Der junge Mann beschreibt seine Faszination so: „Ich bekomme Werkzeuge, meist Messer und Scheren, die nicht selten älter sind als ich selbst. Für den Besitzer sind es manchmal emotionale Erbstücke, aber auch nicht selten Roststücke aus vergessenen Schubladen, die sich später als kleine Schätze herausstellen.“ Die bringt er mit seinen Händen wieder zum Vorschein. „Mit einfachsten Mitteln, wie vor 100 Jahren – Geduld, Präzision und Fingerspitzengefühl sind ausschlaggebend für diesen Inbegriff der Nachhaltigkeit.“ Einmal geschmiedet, habe schon so manche alte Schere, die bei ihm auf der Werkbank lag, nach einer Aufarbeitung an die Kinder weitergegeben werden können. Übrigens kann man sogar sagen, dass das Handwerk des jungen Manns, die Herstellung von Messern, sogar schon Jahrtausende alt ist. Laut archäologischen Entdeckungen wurde das älteste Klappmesser der Welt vermutlich in der Zeit zwischen 600 und 500 vor Christi hergestellt.

Nach Finnland ging es für den Messer-Experten dann in seinem zweiten Lehrjahr. Seine guten Noten in der Ausbildung, die ihm ein Erasmus-Stipendium einbrachten, verhalfen ihm dazu. Dort lernte er „bei einem alten Schmiedemeister das Handwerk in seiner wohl ältesten Form zwischen Amboss und Esse kennen“, schildert Klein. Dort entstand auch sein persönliches Ländermesser aus Finnland – natürlich selbst geschmiedet. Ein solch traditionelles Finnenmesser zeichne sich durch seinen massiven Griff aus, sei „klein, fast schon ein bisschen moppelig“, beschreibt er. Der Griff ist aus Birkenrinde gefertigt, „fast hunderte Schichten“ davon übereinander. Ein „typisches Arbeitsmesser, unfassbar praktisch“ – mit einer ganz besonderen Eigenschaft: „Je nasser das Messer wird, desto griffiger wird es.“

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Unterdessen dachte in seiner Heimat sein Meister Maik Zenker, Inhaber der Schleiferei Zenker aus Pirna, laut darüber nach, die Schleiferei Lattka in Görlitz nach seinem Ende aufzukaufen und ihr neues Leben einzuhauchen. Wie die SZ bereits berichtete, wurden aus diesen Überlegungen konkrete Taten und genauso kam es. „Für mich eine tolle Idee, ging es doch somit wieder ein Stück nach Hause zurück“, sagt Klein.

Maik Zenker, Inhaber der Schleiferei Zenker aus Pirna, hier beim Aufbau des neuen Ladens im Jahr 2022. Inzwischen ist das Geschäft fertig, die Mitarbeiter empfangen dort regelmäßig Kunden – und Tillmann Klein veranstaltet seine Messerschleif-Kurse.
© Martin Schneider

Doch erst einmal arbeitete er weiter in Pirna und tat das, was er sich von seinem Handwerk erhofft hatte. „Als einer der letzten Handwerksbetriebe stellen wir Messer in zig verschiedenen Formen zu 100 Prozent in Deutschland und fast ausschließlich von Hand her“, erzählt der junge Mann. In der letzten Phase seiner Lehre blieb es für ihn spannend. Nachdem er die Prüfungen abgeschlossen hatte, wurde er in der deutschen Meisterschaft des Handwerks für seine Leistungen deutschlandweit ausgezeichnet. Nicht ohne Stolz deutet er auf das Zertifikat. Des Weiteren empfahl ihn die „Stiftung für Berufsbildung“ für ein Bildungsstipendium, er bekam es und ist sehr glücklich darüber. Kurz darauf gründete er seine eigene Firma, um in der Teilselbstständigkeit noch individuellere Werkstücke herstellen zu können.

Mit dem 3D-Drucker stellt er selbst Schleifhilfen für Messer her, an denen sich die Messer nach den gängigen Winkelgrößen ausrichten lassen. Nicht sein einziger kreativer Einfall. Auch ein Görlitzer Stadtmesser, das es so nur dort zu kaufen gibt, hat Klein für die Schleiferei Zenker entworfen. Der Name: Görlitzer „Nausche“, in schlesischer Mundart heißt das schlicht „Messer“. Und: „Der Griff wird aus Ulme gefertigt – dasselbe Holz wie das Naturdenkmal mitten im Stadtpark der Stadt“, erklärt der Handwerker.

Das Messer an sich muss allerdings in Pirna hergestellt werden. Denn in der Görlitzer Werkstatt des Lattka-Nachfolgers befindet sich nun nach der letzten Renovierung keine eigene Werkstatt her. Das habe bauliche und denkmalschutzrechtliche Gründe, erklärt der Junghandwerker. Er selbst hat seinen Lebensmittelpunkt derzeit noch in und um Pirna, pendelt aber im Schnitt einmal im Monat nach Görlitz in das Zenker-Ladengeschäft. Etwa, um in dem Traditionsbetrieb Messerschleif-Kurse zu geben. An denen kann jeder, der möchte, ohne großes Vorwissen teilnehmen.

Er sieht sich als Botschafter seines Handwerks

Trotz all seiner Freude am Herstellen und Schleifen von Messern – manchmal ist Tillmann Klein fast schon enttäuscht, beschreibt er. Und zwar davon, dass er merkt, „wie unbekannt unser Handwerk ist“, und das „in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Regionalität eine wichtige Rolle spielen.“ Wie unbekannt, das verdeutlicht auch diese Zahl: In seinem Jahrgang gibt es zwei Azubis in diesem Handwerk – deutschlandweit. Doch Tillmann Klein gibt nicht auf. Denn das Erhalten von Werkzeug über viele Generationen hinweg, das ist das, was er sich selbst auf die Fahnen geschrieben hat – und wofür er gerne einstehen möchte. Und der Funke springt anscheinend über. Ein Redakteur eines Fachmagazins urteilte erst kürzlich in einem Porträt über ihn: „Gäbe es für dieses Handwerk einen erklärten Markenbotschafter, dann wäre er es“ – eine Rolle, in der sich Klein auch selbst gerne sieht.

Internetseite mit einer Übersicht zu Inhalten und Terminen von Tillmann Kleins Messerschleif-Kursen: www.tactical-knives-and-more.de

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