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Die Tür zum All öffnet sich hier

Ein bisher in dieser Art weltweit einzigartiges Forschungszentrum der Astrophysik wird in der Lausitz aufgebaut. Das neue Universum beginnt in alten Gebäuden.

Lesedauer: 5 Minuten

So könnte das störungsfreie Low Seismic Lab tief unten im Granit der Lausitz aussehen. Dazu kommen dann eventuell auch noch die Tunnel im Dreieck vom Einstein-Teleskops. Visualisierung: DZA

Von Stephan Schön

Ein bisher in dieser Art weltweit einzigartiges Forschungszentrum der Astrophysik wird in der Lausitz aufgebaut. Das neue Universum beginnt in alten Gebäuden.

Von Görlitz aus geht es in die Tiefen des Alls. Ein riesiges, zwei Stockwerke hohes Banner zeigt schon mal, wie das funktionieren könnte. Ganz irdisch. Alte denkmalgeschützte Gebäude, ein kleiner Park und dazu eine kühne Glasarchitektur. Das Kahlbaum-Areal nahe der Neiße soll anders werden. Ganz anders. Noch sperrt ein Bauzaun das Gelände ab. Dahinter befinden sich die teils schon mehr als 150 Jahre alten Gebäude, von einsturzgefährdet bis halbwegs erhalten. Graffiti zeugen von der letzten Nutzung dieser Stätte. Nicht legal, aber oft offenbar. Wie ein „Lost Place“, ein vergessener Ort, kommt dieses Areal daher. Es soll Görlitz in die Zukunft bringen und zu einem in der Wissenschaftswelt bestens bekannten Ort machen.
Das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) wird hier entstehen. Ein neues Großforschungszentrum mit 1.000 Mitarbeitern. Es geht um Dinge, die es bisher nirgends auf der Welt gibt. Und es wird ein Institut auf dem höchsten Stand seines Fachgebiets. Genau das war auch das Ziel eines Wettbewerbs, wie es ihn härter in der deutschen Wissenschaft zuvor nie gegeben hat.

Labor in der Tiefe

Günther Hasinger kommt von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA in Madrid. Er ist der Chef vom DZA mit seinen drei Teilinstituten. Dem Institut für Astrophysik, dem Institut für Datenwissenschaften und dem Institut für Technologie-Entwicklung. Als Standort vorgesehen ist eben jenes historische Görlitzer Kahlbaum-Areal. Das spektakulärste Labor vom DZA allerdings kommt nicht dahin. Zwischen Hoyerswerda, Bautzen und Kamenz soll es in 250 Metern Tiefe entstehen. Im festen Lausitzer Granit. Zwei Probebohrungen dafür gibt es schon. Sechs weitere sollen in diesem Frühjahr folgen, für das künftige Low Seismic Lab. Ein Ort der Unerschütterbarkeit, unbewegt und ungestört. Genau dafür ist der Granitstock der Lausitz ideal. Eine große unterirdische Halle wird dies sein und dazu Büros tief im Granit. 30 mal 30 Meter in der Grundfläche und gut 40 Meter hoch. Das ist notwendig, um die geplanten Sensorsysteme dort unten aufzubauen. Die sind noch nicht einmal erfunden, aber deren Größe steht schon fest.
Und es geht um noch viel mehr, die ganz große Hoffnung: das unterirdische Einstein-Teleskop. Ein gigantisches Dreieck aus großen unterirdischen Röhren. Das Low Seismic Lab könnte letztlich damit verbunden werden und genau an einer der Ecken sitzen. Superempfindlich soll das europäische Einstein-Teleskop sein und damit Gravitationswellen aus dem All aufspüren, von extrem fernen, gigantischen Ereignissen. Experimentell werden die bisher nicht vorhandenen Sensoren in Görlitz entwickelt und dann im Low Seismic Lab erprobt. Weltweit gibt es so etwas noch nicht. Auch die Technologie dafür fehlt derzeit noch. „Genau daran arbeiten wir“, sagt Günther Hasinger.

Zwei weitere Kandidaten

Die Bewerbung fürs Einstein-Teleskop müsste von Deutschland bei der EU im kommenden Jahr abgegeben werden. Es wäre eine zweite, noch größere Investition in der Lausitz. Die Entscheidung über den Einstein-Standort fällt 2025. Außer der Lausitz sind nur noch zwei weitere Kandidaten dabei. „Aber wir haben hoch und heilig versprochen, dass das Deutsche Zentrum für Astrophysik auch ohne dieses Einstein-Teleskop funktioniert.“
Selbst wenn dieses Teleskop also nicht in die Lausitz käme, ohne die neuen, noch zu erfindenden Materialien und Technologien aus dem DZA wäre es nicht zu bauen. Extreme Spiegel in den Tunneln tief im Granit sollen einmal Laserstrahlen tausendfach hin- und herschicken, damit die Gravitationswellen durch winzigste Verschiebungen der Laser letztlich sichtbar werden.
Voraussetzung für die Spiegel wären Wafer, also Siliziumscheiben, die es bisher nicht ansatzweise gibt. Bisher nutzt die Halbleiterindustrie lediglich 30-Zentimeter-Scheiben. Die fürs Teleskop müssten aber 70 Zentimeter groß sein. „Wir reden bereits mit der Halbleiterindustrie darüber, ob dies experimentell in deren Werken gefertigt werden könnte“, sagt Günther Hasinger. „Andernfalls müssten wir eine solche Anlage selbst in unseren Görlitzer Labors aufbauen. Das würde etwa 20 Millionen Euro kosten.“ Günther Hasinger greift noch mit ganz anderen Mitteln nach den Sternen. Die bei den künftigen internationalen Teleskopen anfallenden Daten übersteigen die des heutigen Internets bei Weitem. Dafür werden neuartige Rechner und starke Datenleitungen sowie Rechenalgorithmen benötigt, von denen es heute weder das eine noch das andere gibt.

Neuartiger Supercomputer

Genau daran soll das Deutsche Zentrum für Astrophysik arbeiten; künstliche Intelligenz und Chips, die wie unser Gehirn arbeiten, könnten dabei helfen. Auch hier sind schon vor Institutsgründung Entwicklungskooperationen mit Firmen und Forschung im Gespräch. Wie Günther Hasinger andeutet, soll auch ein völlig neuartiger Supercomputer in Görlitz entstehen, anders als alle anderen in Deutschland. Ein eigenes Rechenzentrum wird dafür geplant, bestätigt auch Wolfgang Nagel. Der TU-Professor und Chef des Hochleistungsrechnens in Dresden, der Herr über die Supercomputer in seinem Maschinenraum. Er ist von Anfang an dem Projekt Lausitz beteiligt. Wie groß der Supercomputer werden muss, steht noch nicht genau fest. Es steht auch noch nicht fest, wo der in Görlitz hinkommt, nur dass er kommt. „Mittel- bis langfristig wird etwa ein Drittel des Jahresbudgets vom DZA in die Datenanalyse gehen.“ Schon in diesem ersten Halbjahr soll eine Rechnerarchitektur für die kommenden 20 Jahre vorgestellt werden. Und dann wären es noch drei, vier Jahre von der Planung bis zur Fertigstellung, hofft Nagel.
Im Endausbau stehen dem DZA insgesamt einmal 170 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Jetzt, im ersten Jahr, sind es nur sieben Millionen. In drei Jahren wird evaluiert, ob der Kurs korrigiert werden muss. Die Planer um Günther Hasinger sind überzeugt, sie bekommen es hin. Demnach könnte am 1. Januar 2026 das Deutsche Zentrum für Astrophysik als eigenständige Institution, wahrscheinlich als Stiftung, unabhängig von allen anderen existieren. Bis dahin verwaltet die TU Dresden die Gelder und das Personal. Kanzlerin Undine Krätzig ist bis Anfang 2026 die administrative Chefin für alles. Günther Hasinger spricht von insgesamt 15 geplanten neuen Professuren. Für die meisten wird der Arbeitsort dann jedoch Görlitz sein. Er selbst, in Kürze auch TU-Professor, werde sich zeitweise an der Lehre in Dresden beteiligen. Das DZA ist zwar als eigenständiges Institut noch nicht gegründet, als Chef fühlt sich Hasinger dennoch jetzt schon: „Ich bin der Projektleiter, und ich entscheide, was gemacht wird.“

Räume im Rathaus

Günther Hasinger zog Ende März von Madrid nach Görlitz. Sein Team vom Low Seismic Lab war dann bereits schneller als er selbst. Hoyerswerdas Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh hat den Forschern Räume im Rathaus zur Verfügung gestellt, bis etwas größeres Eigenes geschaffen ist. „Das Projekt besitzt einen wissenschaftlichen Horizont von 40 bis 50 Jahren“, sagt Ruban-Zeh. Von Hoyerswerda aus wird künftig das Untertagelabor gemanagt. Die Verwaltung und die Forschung vom DZA indes arbeitet in Görlitz. 60 Mitarbeiter sollen bis Ende 2025 dahin folgen. Görlitz‘ Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) hat dem Team mehrere Alternativen angeboten. Büros und mögliche Laborflächen seien in der Stadt im Prinzip sofort vorhanden. Auch die nötige Statik wegen der Forschungsgeräte wäre bereits geprüft.
1.000 Mitarbeiter werden es einmal insgesamt im DZA sein. Davon 350 Wissenschaftler, 350 technische Assistenten und 100 Auszubildende. Günther Hasinger rechnet bis 2038 mit weiteren 3.000 Jobs für die Region. Auch durch Ausgründungen und Service.

Sehr visionäres Projekt

Doch wie realistisch ist das? Ein Vergleich mit dem Helmholtz-Zentrum Dresden Rossendorf zeigt, dass in den 30 Jahren seit seiner Gründung mehr als 300 Jobs in 22 Ausgründungen entstanden sind, Tendenz steigend. Die Zahl der Mitarbeiter stieg von damals etwa 600 auf inzwischen 1.400. Weitere Jobs in externer Infrastruktur und Service kommen dazu.
Dennoch verwundert es Bürger und auch teils die Lokalpolitik, dass ausgerechnet Astrophysik und digitale Monsterdaten die Lausitz retten sollen. „Ich mache keinen Hehl daraus, dass sich ein Bauforschungszentrum besser in die Bautzener Wirtschaftsstruktur eingefügt hätte“, sagt Bautzens Oberbürgermeister Karsten Vogt (CDU). „Das Projekt des DZA ist sehr visionär“, kommentiert Frank Großmann die Auswahl. Er leitet die Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer Dresden in Görlitz. „Doch für den Normalbürger sind die Erfolgsaussichten in Form von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung vor Ort schwer vorherzusagen.“ Die Lausitz hat gleich mehrere Probleme: Die größten Firmen in der Region machen nach der Braunkohle dicht, zum Teil schon früher. Jobs fehlen. Junge Leute ziehen weg. Die Wirtschaftskraft sinkt und damit auch der Wohlstand.
Es gebe durchaus Parallelen zum Aufbau Ost, sagte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kürzlich dazu. In den vergangenen 30 Jahren seien Hightech-Branchen wie die Mikroelektronik, die Biotechnologie oder die Umwelttechnik aufgebaut worden. Die Erfahrung zeige nun, „dass man die erhofften wirtschaftlichen Effekte nach zehn bis zwanzig Jahren erzielen kann.“ Görlitz’Oberbürgermeister Octavian Ursu sieht das ähnlich: „Jetzt müssen wir uns gedulden. Solche Großprojekte entstehen nicht von heute auf morgen. Ich sehe das nicht als Nachteil.“ Denn die Infrastruktur müsse mitwachsen: Kitas, Schulen und die schnellen Bahnverbindungen Berlin-Görlitz sowie Dresden-Görlitz-Breslau. Geschwindigkeit ist also nötig, und das eben nicht nur für Daten, sondern auch auf den Schienen.
Mitarbeit von Nora Miethke
und Madeleine Siegl-Mickisch

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