Es ist abends gegen 18 Uhr. Chefarzt Mario Marx geht durch seine Station in der Radebeuler Elblandklinik, setzt sich neben eine der Frauen, die er gerade operiert hat. Die Brust ist nach einer Krebs-OP neu aufgebaut. Der Doktor scherzt mit ihr und ihrem Ehemann, der gerade auf Besuch ist. Die junge Frau, Polizistin aus dem Erzgebirge, ist gut drauf, trotz Blutbeutel für den Abfluss aus der Wunde und Rollator als Stütze nach dem schweren Eingriff. Eine andere Patientin hat es offenbar schwerer nach der Operation. Der Arzt bittet die Stationsschwester, öfter, auch in der Nacht, nach ihr zu schauen.
Tagesalltag auf Station 2a. Dr. Marx ist Senologe. Die Heilkunde von der weiblichen Brust ist sein Fach. Neue Methoden des Brustaufbaus, nachdem das wuchernde Gewebe oder gar die ganze Brust entfernt worden ist, hat er vor sieben Jahren mit nach Radebeul gebracht. Sogar Instrumente konstruierte er dafür – etwa um die Haut der Brust halten und erhalten zu können, während das böse Gewebe darunter entfernt wird. Mario Marx hat mal Maschinenbauer gelernt, bevor er pflegerische Hilfskraft in der Görlitzer Chirurgie wurde und dort von einem Chirurgen für seine eigentliche Berufung begeistert wurde.
Der große Blonde, 1,91 Meter, ist im Elblandklinikum nicht zu übersehen. Meist 6 Uhr morgens parkt er sein Auto hinter der Notaufnahme ein. 320 000 Kilometer stehen auf dem Tacho. Marx pendelt noch immer zwischen Görlitz und Radebeul. „Die gute Stunde Autofahren ist schon entspannend. Was mir an Immobilien hier angeboten wurde, war einfach unverschämt teuer“, sagt er. Zu Hause an der Neiße sei das Haus mit großem Garten abbezahlt. Dort hat er tiefe Familienwurzeln, mit Frau, drei Kindern, die gerade Abitur machen, mit Eltern und Schwiegereltern.
Knapp fünf Stunden braucht er nur, um ausgeschlafen zu sein, sagt der Görlitzer, der morgens vor der Fahrt Richtung Radebeul auf Stepper oder Trimmrad steigt und knapp 1 000 Kilokalorien verbrennt. Damit das „Delikatessfett“ auf seinen Hüften gar nicht erst aufkommt. Andere sagen „Hüftgold“, worauf er bei seinen Patientinnen zurückgreift, um die Brust wieder aufzubauen. Marx zeigt in seinem Laptop Fotos von Frauenbrüsten, die auf anderen OP-Tischen in Deutschland unters Skalpell kamen. Frauen, die anschließend unglücklich waren, weil sie nur noch eine Naht in Brusthöhe hatten.
Marx nennt die weibliche Brust Sinnesorgan, Sexualorgan, welches für das Selbstwertgefühl wichtig ist. Deshalb melden sich Frauen aus ganz Deutschland – auch transsexuelle Männer – zur plastischen, rekonstruktiven Brustchirurgie bei ihm an. Die junge Frau aus dem Erzgebirge musste fast ein Jahr darauf warten. Nein, ein Schönheitschirurg sei er nicht. Vier Fünftel der Patienten kommen nach einer Krebs-OP oder etwa, weil die Brust nicht symmetrisch ist. Über konkrete OP-Zahlen will Marx nicht reden, aber es gibt viel mehr Wünsche, als er und seine 25 Mitarbeiter erfüllen können.
„Erst wenn der Marx nicht mehr weiter weiß“, ist so ein Satz unter den Brustchirurgen Deutschlands. Der Mann ist anerkannt und hat sich das erarbeitet. Drei Tage im Monat gibt er Vorlesungen an der Uni Tübingen und operiert dort auch. Tage von 6 bis 22 Uhr sind das. Treffen mit den Besten und Innovativsten auf seinem Gebiet. Operationen werden von dort via Internet in alle Welt übertragen.
Wenn Mario Marx von Tübingen erzählt, dann redet er etwas schneller. Aus Begeisterung, Stolz und auch Zufriedenheit über das, was er für seine Eingriffe aus dem Mekka der deutschen Senologen hierher mitbringen kann. Der Elblandklinik-Chefarzt operiert auch in Berlin, Chemnitz, Leipzig und Neubrandenburg. Seine medizinische Heimat ist Radebeul.
Hier will er das verwirklichen, worauf er seit 15 Jahren hinarbeitet. Was in Görlitz nicht geworden ist. Eine eigene Klinik im großen Klinikum. Nicht in den bisher beengten Räumen, sondern mit Platz für dazugehörige Bereiche wie der Gynäkologie, geleitet von Chefärztin Kerstin Winkler. Mit einem Beratungssaal, in dem sich die Ärzte über neue Möglichkeiten mittels neuster Bildschirmtechnik austauschen.
Vor allem aber will Marx für seine Patientinnen genug Platz, genug Licht fürs Wohlbefinden und schnelleres Gesundwerden. Das bekommt er jetzt. Direkt über der neuen Notaufnahme sind zwei Etagen für die Brustchirurgie eingerichtet. 22 Betten in hellen Zimmern mit Weinfarben wie Grün und Lila auf Weiß. Platz und Raum, in denen Neuerkrankte mit bereits erfolgreich Behandelten sprechen können.
Mario Marx und seine Leute haben gerade begonnen zu packen. Das normale Büromaterial, die Patientenakten und die Frauenbilder vom Gang in der Station. Keine Playboy-Schönheiten. Dennoch schöne Frauen, die bei dem Brustdoktor waren und sich wieder in ihrem Körper als Frauen wohlfühlen. Sie haben eine Gruppe gegründet und malen Selbstporträts. „Von diesen Frauen lerne ich. Die Ausstellung auf dem Flur erzählt mehr über unsere Arbeit als Worte“, sagt der Doktor.
Auf die Frage, was für ihn noch Belohnung sei, zeigt er auf seine Internetseite. Ganz oben ein Foto von strahlenden Gesichtern und schönen Dekolletés. Darunter ein farbkräftiges Bild einer nackten Frau, die vor Energie und Lust nur so strotzt. Marx: „Die Frau hat sich nach der Behandlung so gut gefühlt und mir das Bild geschenkt.“ Marx’ Website hat auch eine Replik mit Kochrezepten. Er kocht gerne mit Freunden und Familie. „Ich wünsche mir jeweils das Lieblingsrezept der Frau, die sich von uns gut behandelt gefühlt hat.“
Brüste aus Marzipan, Dankesbriefe, eine Schreibtischlampe aus Meissener Porzellan werden mit ins neue Büro gebracht. Westseite mit viel Sonne ist das. Die schönste Lage im ganzen Radebeuler Klinikum. Er hat die neue Klinik bekommen. Der Bau kostete mit Notaufnahme und Fördermitteln rund zwölf Millionen Euro. Lebensziel eigene Klinik also erreicht? Ja und nein, sagt der Chef. Ja, weil es in Radebeul jetzt an einem Ort die optimale Behandlung geben wird – von Ankommen bis zum Abschiedsgespräch. Weil sich in Radebeul Frauen gut behandelt fühlen können.
Und nein, weil der Brustchirurg sein Werk fortgesetzt wissen will. „Ich möchte noch zehn junge Kollegen zum Facharzt führen. Die können dann gerne besser sein als ich.“ Doch vorerst ist Super-Mario, wie manche Kollegen aus Scherz und Bewunderung sagen, in seinem Fach hier weit und breit offenbar der Beste.
Am Freitag werden Notaufnahme und Brustzentrum als Klinik eingeweiht. Als Marx in den Elblandkliniken vor sieben Jahren startete, trug der große Blonde auffällige rote Lackschuhe. „Handgearbeitet. Die haben Korksohlen. Ich kann darin auch im OP-Saal lange gut stehen.“ Die Roten will er am nächsten Wochenende wieder tragen.
Von Peter Redlich
Foto: © Norbert Millauer