Dresden. Schränke mit Reagenzgläsern und Chemikalien, tiefgekühlte Bio-Präparate und jede Menge Analyse-Hightech. Einen Gang entlang Labore links und rechts, und noch einen Gang. Es ist ein Zentrum für Biotechnologie in der Dresdner Johannstadt. Das für Forschung und für Firmen. Die SZ ist unterwegs in den Laboren bei Frank Buchholz. Zum zweiten Mal hat er die höchste Forschungsförderung der EU bekommen, zum zweiten Mal bereits die 2,4 Millionen Euro für den ERC Advanced Grant. Hier geht es um Moleküle. Jene, die genetisch bestimmend sein können.
Frank Buchholz arbeitet mit seinem Team im Dresdner Uni-Krebszentrum UCC, das auch zum Nationalen Tumor-Zentrum (NCT) gehört. Er ist jedoch weder Arzt noch forschender Mediziner. Buchholz in Biologe. Genauer gesagt Professor für Medizinische Systembiologie. Mit seiner Forschungsgruppe entwickelt er die molekularen Werkzeuge für die Medizin der Zukunft. Eine Medizin, wie er sagt, die die Krankheiten an der Wurzel packt. „Mein Team entwickelt Technologien, die dann für die Behandlung von Patienten neue Möglichkeiten eröffnen.“
Die wirklichen Krankheitsursachen
Vieles in der Medizin setzt heute auf die Behandlung von Symptomen. Das hilft oft. Die Ursachen der Krankheiten aber bleiben. Insbesondere, wenn es genetische Ursachen sind. Und das sind viele, vielleicht sogar die meisten.
Krebs ist davon wohl die bekannteste. Erkrankungen des Gehirns wie Alzheimer oder Parkinson, der Verlust von Sehen oder Hören, Autoimmunkrankheiten – die Liste ist lang. Und Frank Buchholz schafft mit seiner Forschung ein Stück neue Hoffnung auf Heilung.

Quelle: Buchholz-Lab/TUD
„Unser Erbgut ist eine riesige Abfolge von Informationen, die wir in uns tragen. Fast jede Zelle hat diese Informationen“, sagt Buchholz. Mittlerweile sind viele Fälle bekannt, bei denen ein einziger Fehler in dieser Erbinformation zu ganz bestimmten Krankheiten führt.
Mit molekularen Werkzeugen, die sein Team in der TU Dresden entwickelt, kann er diese Defekte erkennen und mehr noch: „Wenn wir vom Genome Editing sprechen, geht es im Prinzip darum, diese Fehler im Erbgut zu reparieren, sodass dann die Krankheit tatsächlich geheilt ist.“ Konkret und am weitesten fortgeschritten sind die Forschungen für die Bluterkrankheit, berichtet Buchholz.
Unsere Enzyme setzen eigenständig die DNA dann auch wieder zusammen. – Frank Buchholz, Professor für Medizinische Systembiologie an der TU Dresden
Die davon betroffenen Menschen müssen sich lebenslang ein bestimmtes Protein spritzen, das ihr Körper selbst nicht produziert. Ein einziger Erbfehler, eine falsche Kopie an einer einzigen Stelle im Erbgut, ist dafür die Ursache. 3,2 Milliarden Basenpaare ergeben das menschliche Genom. In dieser eigentlich festgeschriebenen lebenswichtigen Abfolge sind 140.000 Basenpaar in einem einzigen Gen lediglich falsch herum angeordnet. Und freilich kann dieses Gen dann seinen Auftrag nicht mehr erfüllen.
„Das Genom ist vergleichbar mit einer Sprache: Wenn man in einem Satz Wörter umstellt, dann ergibt der Satz keinen Sinn mehr. So ist es auch bei den Informationen auf dem Genom“, sagt Frank Buchholz. „Bildlich übertragen, können die von uns entwickelten Rekombinasen falsch platzierte Wörter wieder an die richtige Stelle rücken.“Es hat das Potenzial, zum mächtigsten Werkzeug einer ganz neuen Art von Medizin zu werden.
Rekombinasen, das sind Moleküle, die in lebenden Zellen ganz gezielt chemische Reaktionen auslösen, ohne dass sie dabei selbst verbraucht werden. Genau damit beschäftigt sich Frank Buchholz seit seiner Zeit in an der University of California in San Francisco, später am Max-Planck-Institut CBG in Dresden. Jetzt, an der TU Dresden, will er dies bis zur Anwendung bringen und ist mit seinem Team weltweit eine jener Forschungsgruppen, die ganz vorn bei diesem Thema dabei ist.

Quelle: Buchholz-Lab/TUD
Diese Rekombinasen sind mächtige Werkzeuge, die ins Erbgut eingreifen können.„Unsere Technologie macht präzise Schnitte im Genom“, sagt Buchholz.Das aber können andere Techniken auch. Crispr/Cas9 nennt sich die von einer US-Amerikanerin und einer Französin entwickelte Technologie, für die es 2020 den Nobelpreis gab. Im Gegensatz zu dem, was Buchholz macht, ist dies sogar viel einfacher anzuwenden, schneller und preiswerter daher. Aber, so erklärt der Dresdner Forscher, es gibt einen entscheidenden Nachteil. Die Crispr-Genschere trennt die DNA nur an einer definierten Stelle. „Unsere Enzyme, also die Rekombinasen, setzen eigenständig die DNA dann auch wieder zusammen. Das ist der Unterschied zu fast allen anderen Technologien, bei denen im Prinzip die Zelle dann hinterher das selbst reparieren muss. Und jede Zelle macht das auch, aber immer ein klein bisschen anders halt. Da passieren Fehler.“ Und Fehler im Genom bedeuten Risiken für Nebenwirkungen, auch Krebs kann so entstehen.
HIV und Bluterkrankheit heilen
Dass jemand gleich zweimal diesen ERC Advanced Grant von der EU bekommt, ist nahezu ausgeschlossen. Zu umkämpft ist diese Forschungsförderung. Etwa nur jeder zehnte der Spitzenforscher aus allen Fachdisziplinen kam in der letzten Auswahlrunde letztlich durch. Buchholz ist einer davon.
„Beim zweiten Antrag jetzt wollen wir diese Rekombinasen anders programmieren. Schneller, viel besser und zudem einfacher programmieren. Wir sind derzeit wirklich eines der führenden Labore weltweit, das das kann. Es bleibt dennoch schwierig, so ein Enzym völlig neu zu programmieren.“
Krebs ist dabei erst einmal noch nicht das Thema. Zu unterschiedlich sind dort die einzelnen Entstehungs- und Verbreitungsmechanismen. Die Forscher um Buchholz widmen sich verstärkt den monogenen Erkrankungen. „Also um Erkrankungen, bei denen ein einziges Enzym fehlt, wie die Bluterkrankheit eben, wie Mukoviszidose oder auch bestimmte Augenkrankheiten, bei denen ein einziger Gendefekt der Auslöser ist. Es gibt auch Gehörerkrankungen, bei denen ein Gendefekt zur Taubheit führt“, sagt Buchholz. Solche monogenen Erkrankungen stehen beim Dresdner Team derzeit im Fokus, weil sie das einfachere Ziel sind, um diese neue Technologie in eine klinische Therapie umzuwandeln.
Wie unglaublich ist diese Aussicht: Menschen künftig wieder hörend oder sehend machen zu können. Zumindest bei bestimmten genetischen Ursachen. Zwar ist Frank Buchholz kein Arzt, um Anwendungen in der Klinik geht es ihm dennoch. Zwei Firmen hat er gegründet, mit denen die neue Gentechnologie bis zur Anwendung weiterentwickelt werden soll. 2022 war dies Seamless Therapeutics in Dresden und zuvor schon 2019 Provirex. Jene Firma sollte nicht weniger erledigen, als HIV zu heilen. Ein erstes Ziel und gleich riesengroß, doch die Forscher und Entwickler stehen kurz davor. „Das integrierte HI-Provirus wird dann aus den Genen herausgeschnitten. Im besten Fall wären diese Patienten dann von HIV geheilt“, sagt Frank Buchholz.
Die Vorbereitungen für den klinischen Test dieses HIV-Projekts begannen bereits vor etwa zehn Jahren. Bisher ist noch kein Patient behandelt worden. „Aber wir sind jetzt dabei, das endlich nach vorne zu bringen. Im Prinzip steht alles auf Go. Damit sollen demnächst die ersten Patienten genetisch behandelt werden. Vielleicht noch dieses Jahr.“
SZ