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Eine Tradition von 30.000 Arbeitsjahren

Vor 125 Jahren gründete ein Sachse die Dresdner Schnellpressenfabrik, die spätere Planeta. Vor 25 Jahren fusionierte die Firma mit Koenig & Bauer aus Würzburg. Der Enkel des einstigen Gründers lebt heute in Radebeul.

Lesedauer: 5 Minuten

Ein Mann sitzt mit Dokumenten in der Hand auf einem Sessel.
Frank Sparbert freut sich, dass sich das Unternehmen, das einst sein Großvater gegründet hat, gut entwickelt. Von der bewegten Geschichte des Betriebs künden bis heute heute Zeitzeugnisse. Foto: Amac Garbe

Von Peter Ufer

Radebeul. Zur Feier zum 125. Geburtstag von Koenig & Bauer in Radebeul waren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ende September geladen. Obwohl Frank Sparbert längst nicht mehr zur Belegschaft gehört, ist er mit dabei. Der Rentner verfolgt nach wie vor die Entwicklung seiner alten Firma, denn ohne seine Familie würde es den Druckmaschinenhersteller gar nicht geben.
Frank Sparbert freut sich über die Entwicklung des Unternehmens und hört beim Jubiläumsfest genau zu. Dort bilanziert Ralf Sammeck, seit 2007 Vorstand Segment Sheetfed von Koenig & Bauer, und sagt: „Heute arbeiten über 1.800 Menschen an unserem Standort in Radebeul.“ Er verantwortet den umsatzstärksten Bereich, der ein breites Spektrum von Bogenoffsetmaschinen unter dem Namen „Rapida“ anbietet, vom Halb- bis zum Großformat für den Verpackungs- und Akzidenzdruckmarkt. „Das Segment Sheetfed verzeichnete im ersten Halbjahr 2023 ein Umsatzplus von 30,5 Prozent auf 352,4 Millionen Euro. Das EBIT lag mit 9,4 Millionen Euro zum 30. Juni 2023 deutlich über dem Wert des Vorjahreshalbjahrs“, sagt Sammeck.
Zum Jubiläum weist er zudem darauf hin, dass all das ohne die lange sächsische Tradition gar nicht möglich wäre. „Wir verfügen in unserer Branche über die Erfahrung von knapp 30.000 Arbeitsjahren.“ Frank Sparbert staunt nicht schlecht über diese Addition der Tradition, ist auch ein wenig stolz. Allerdings wusste er lange sehr wenig von der Geschichte, die vor 125 Jahren mit seinem Großvater Alfred begann. Dem Vorfahren ist der Enkel auch nie begegnet. Er kam am 21. Mai 1944 auf die Welt, da war der Opa bereits tot. Er starb schon 1940. Dennoch sind sich beide sehr nah.

Räume voller Vergangenheit
Der erste Grund für die Nähe: Frank Sparbert wohnt in Radebeul im Stadtteil Niederlößnitz in einer Villa, erbaut 1907 von dem Baumeister Eugen Pönisch. Der Großvater legte mit dem Haus den Grundstein für einen Besitz, der bis heute der Familie gehört. Das Anwesen überstand, wie das Radebeuler Druckmaschinenunternehmen, zwei Weltkriege, den Sozialismus, die friedliche Revolution, mehrere Währungsreformen und steht heute, frisch saniert, wie ein Denkmal für das Erbe aus einer längst vergangenen Zeit. Im Vorgarten sprudelt ein Springbrunnen mit den Initialen AS, Alfred Sparbert.
„Inmitten dieser Räume voller Vergangenheit bin ich aufgewachsen“, sagt der 79-Jährige. „Mein Vater Werner hat mir leider nicht viel darüber erzählt, wer mein Großvater war und was er geschaffen hat.“ Das Schweigen hatte seinen Grund. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die meisten Menschen vor allem damit zu tun, ihr Leben neu zu ordnen und aufzubauen. Für den Blick zurück gab es wenig Bedarf, außerdem wurden in der DDR Privatbetriebe enteignet. Deren Historie wanderte in den Abfalleimer der Geschichte. Wenn nicht privat davon berichtet wurde, gerieten sie in Vergessenheit. Vater Werner schien sich wenig dafür zu interessieren, arbeitete auch nicht mehr in der Druck-, sondern in der Reifenbranche, starb 1984.
Der zweite Grund für die Nähe: „Es gab noch meinen Onkel Hellmuth, der kam ab und an auf seinen Vater, meinen Großvater Alfred zu sprechen. Er meinte, der Altvordere wäre ein echter Sachse mit dem Gen eines weitsichtigen Ingenieurs gewesen“, sagt Frank Sparbert. Als Jugendlicher besuchte er oft seinen Onkel, der in Kötzschenbroda wohnte. Hellmuth lebte viele Jahre im Vorderhaus des Fabrikgeländes an der Uferstraße 11. Die alte Fabrik wurde nach der Wende abgerissen. Sie hatte ebenfalls mit dem Großvater zu tun. Dort stellte der Unternehmer bis 1928 Kleindruckmaschinen her. Sein Onkel studierte Maschinenbau, arbeitete viele Jahre im väterlichen Unternehmen. Durch ihn erfuhr der Enkel, dass der Großvater aus Lunzenau stammte, geboren am 9. Juli 1860. Im Jahr 1874 begann er eine Schlosserlehre in Limbach, studierte ab 1879 an der Königlichen Staatslehranstalt in Chemnitz. 1884 startete der Großvater seine Karriere bei Albert & Cie. in Frankenthal, konstruierte lithografische Schnellpressen. Dort lernte er Joseph Hauss und Carl Nack kennen, denen er später wieder begegnen sollte.
Auf dem Grundstück hinter der Radebeuler Villa sanierte Frank Sparbert vor ein paar Jahren auch ein Gartenhaus. In dessen Zimmer mit den großen Fenstern samt Blick in den Garten steht ein ausladender Tisch. Darauf legt der 79-Jährige bei Gesprächen über das Damals all die Dokumente, die er in den vergangenen Jahren über seinen Großvater sammelte.

Einen Teil davon besitzt er seit 1980. Nachdem sein Onkel 1971 und später seine Tante gestorben waren, fand er bei der Haushaltsauflösung in dessen Wohnung eine Kiste, ein Archiv von Alfred. Doch zur tiefgründigen Recherche kam es damals nicht. Er stellte den Karton auf den Dachboden der Villa und dort stand er jahrelang ungeöffnet herum.
Der Großvater hinterließ in dem Alfred-Archiv Dokumente, in denen er seine berufliche Entwicklung genau beschrieben hatte. Anfang 1898 begann er bei Rockstroh & Schneider Nachfahren, in Dresden-Löbtau. Hier traf er Joseph Hauss als Werkmeister und Carl Nack als Korrespondent wieder. Bereits wenige Wochen später gründeten Sparbert und Hauss die Dresdner Schnellpressenfabrik, kurzzeitig war auch Nack Gesellschafter. „Aus der Fabrik gingen später die Planeta-Druckmaschinenwerke und nach der Wende das heutige Werk der Koenig & Bauer AG in Radebeul hervor. Mein Großvater ist also einer der Gründer eines Unternehmens, das nach wie vor Druckmaschinen herstellt. Das zu begreifen und dieser bemerkenswerten Geschichte respektvoll zu begegnen, hat seine Zeit gedauert. Aber jetzt ist es so und das freut mich außerordentlich“, sagt Frank Sparbert. Nach mehreren Versuchen erfanden die Firmengründer den sogenannten Planetenantrieb als „Vorrichtung zur Bewegung des Druckfundaments von Schnellpressen“. Alfred Sparbert schrieb dazu: „Sonntags wurde nach Feierabend in meiner Dresdner Wohnung, Hainsberger Straße die neuartige Schnellpresse ,Columbia` konstruiert und detailliert. Erst nach vier verschiedenen Konstruktionen kamen wir endlich auf den 1901 konstruierten und dauernd angewandten Planetenantrieb.“ Dazu meldeten die Unternehmer ein Patent an, es trug 1902 die Nummer 135138 mit dem Hinweis: Vorrichtung zur Bewegung des Druckfundaments von Schnellpressen. Der Name Planeta war geboren.

Buchdruck-Schnellläufer
Frank Sparbert hat die Historie in den vergangenen zwanzig Jahren nicht nur ausführlich recherchiert, sondern dazu mehrere Beiträge geschrieben. Deshalb weiß er, dass um 1900 in Brockwitz eine neue Fabrik entstand, in der Buchdruckpressen in höherer Stückzahl gebaut wurden. 1910 firmierte dann die Dresdner Schnellpressenfabrik als Aktiengesellschaft, Hauss und Sparbert erhielten als Vorstände einen Fünfjahresvertrag. In diese Zeit fiel die Entwicklung eines Buchdruck-Schnellläufers, der späteren Planeta Fixia sowie die Fabrikvergrößerung auf dem Gelände des Werkes 1 in Radebeul-Naundorf. Die geforderte Umstellung auf Kriegsproduktion trug Alfred Sparbert nicht mit und schied daraufhin aus dem Unternehmen aus. Im Jahr 1915 gründete er die Sparo-Maschinengesellschaft und produzierte kleinformatige Pressen, Briefdrucker und Schneidemaschinen in Kötzschenbroda, genau dort, wo Onkel Hellmuth viele Jahre lebte und Frank Sparbert erstmals mehr von seinem Vorfahren hörte.
Der dritte Grund für die Nähe: Frank Sparbert erzählt, dass er 1960 eine Lehre bei Planeta begann. Als er 1963 zum Ingenieur-Studium nach Karl-Marx-Stadt ging, ahnte der Student nur, dass er möglicherweise den Weg einer bemerkenswerten Tradition fortsetzte. Erst als das Radebeuler Druckmaschinen-Unternehmen, in dem er inzwischen Jahre beschäftigt war, 1998 sein 100. Jubiläum feierte, tauchte der Ingenieur intensiv in die Familiengeschichte ein. Er holte die Kiste mit dem teils ungeöffneten Alfred-Archiv vom Dachboden der Villa. Als er alles gelesen hatte, erschien ihm plötzlich sein persönlicher beruflicher Lebensweg absolut folgerichtig. „Ich bewege mich tatsächlich bis heute auf den Spuren meines Großvaters, auch meinen Söhnen geht das so. Ich hoffe, deren Kinder setzen diesen Weg fort.“
Straße nach dem Gründer benannt
Er selbst, so erzählt Sparbert, habe nach dem Studium, auf Empfehlung von Planeta, die Arbeit im Kartonagen-Maschinen-Werk KAMA Dresden begonnen. 25 Jahre arbeitete er dort, im arbeitsteiligen Prozess sehr eng mit dem Druckmaschinenwerk zusammen. Der Betrieb Planeta gehörte in der DDR zum Kombinat Polygraph, verfügte über sieben Werksteile und war als einer der 10 Exportförderbetriebe ein wichtiger Devisenbeschaffer. Im Jahr 1985 wurde dann das Werk Kama als Werk 7 dem Druckmaschinenwerk zugeordnet. „Ende 1989 nach der friedlichen Revolution wurde ich Werkleiter von KAMA. Das war zum einen eine Ehre, zum anderen eine Bürde, denn als klar wurde, dass die alte Struktur des Unternehmens nicht mehr marktwirtschaftlich relevant sein konnte, musste ich viele Mitarbeiter entlassen und nach 3 Jahren das Werk schließen. Ich musste sogar meinen eigenen früheren Chef in den Ruhestand schicken“, erinnert sich der Radebeuler.
Er erlebte den Übergang vom volkseigenen Betrieb bis zum Verkauf an Koenig & Bauer. Frank Sparbert arbeitete als Leiter Qualitätsmanagement bis 2009 bei Koenig & Bauer in Radebeul, dann ging er, nach 49 Jahren im Unternehmen, in Rente. Frank Sparbert ist ein Unruhegeist geblieben, einer, der wie sein Großvater stets zu Neuem aufbricht.
Diese Energie hat der Vorfahre ihm möglicherweise vererbt. Besonders freut den Enkel, dass es am Werksgelände von Koenig & Bauer seit 2016 sogar eine Straße gibt, die den Namen Alfred Sparbert trägt. „Auch wenn es sich nur um eine kleine Straße, die Lkw-Zufahrt zum Werk handelt, so ist mein Großvater dadurch im öffentlichen Raum nicht vergessen“, sagt der Nachfahre. Denn Gründe, sich an Alfred Sparbert zu erinnern, gibt es offenbar genug.

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