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Flink in Sachsen: Schneller gekündigt als geliefert

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Fahrradkurier mit "Flink"-Schriftzug auf seinem Rucksack fährt eine Straße entlang.
Werden die radelnden Kuriere langfristig in Sachsen Essen ausliefern?

In pinken Jacken radeln die Supermarkt-Kuriere von Flink durch sächsische Großstädte. Doch das Geschäftsmodell hat Tücken. Ein ehemaliger Mitarbeiter zieht vor Gericht.

Von Luisa Zenker

Dresden. In pinkfarbenen Jacken rasen sie auf Elektrorädern durch sächsische Großstädte. Mit Kasten-Rucksack auf dem Rücken transportieren die Radler Tiefkühl-Pizza, Reis, Chips, Brötchen, Bier vom Warenlager bis zum Kunden. Sprüche wie „Wir liefern deinen Einkauf in 10 Minuten“ zieren die Werbetafeln im Dresdner Stadtgebiet. Die Rede ist vom europaweit agierenden Essenslieferdienst Flink, der 2020 als Start-up in Berlin gegründet worden ist.

Im Frühjahr vergangenen Jahres hat sich Flink mit vier Standorten in Dresden etabliert. Auch in Chemnitz und Leipzig hat der auf zuletzt vier Milliarden Euro bewertete Essenslieferdienst Fuß gefasst. Das Geschäftsmodell: Lebensmittel können mit einem Klick auf dem Handy bis zur Couch geliefert werden. Von einem Kurier. Mit dem E-Bike. In 10 Minuten.

Doch was bequem klingt, hat unbequeme Folgen für die Kuriere. So fand im November am Arbeitsgericht Dresden ein Güteverfahren gegen das Start-up statt. Ein unbefristet eingestellter Flink-Mitarbeiter hatte eine Klage gegen Flink eingereicht, weil ihm unbegründet und fristlos gekündigt wurde. Er habe sich von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Software einloggen können, berichtet der Fahrer, der aus Arbeitsschutz-Gründen nicht beim Namen genannt werden möchte.

Ergebnis des Güteverfahrens am Gericht: Flink muss einen mittleren vierstelligen Betrag an den Fahrer zahlen. „Wir haben mit der Gegenseite vereinbart, über Inhalt und Verlauf des Gütetermins sowie den Inhalt des Vergleichs Stillschweigen zu bewahren“, äußert sich das Unternehmen auf Anfrage.

Der Verstoß gegen das Arbeitsrecht sei jedoch kein Einzelfall, erklärt der ehemalige Flink-Fahrer Johannes Kristensen, der den Flink-Kurier am Arbeitsgericht unterstützte. Flink nutze es aus, dass viele Menschen aus Nicht-EU-Ländern bei dem Unternehmen arbeiten. „75 Prozent kamen aus Nicht-EU-Ländern. Studierende aus Indien, Ghana, Bangladesch, die oft nur Englisch können und kaum über das deutsche Arbeitsrecht Bescheid wissen. Sie haben Angst, zu klagen“, erinnert sich Kristensen, der für mehr als ein Jahr Bananen und Schokolade durch Dresden gefahren hat, um die Zeit zwischen Studium und Arbeit zu überbrücken.

Der ehemalige Flink-Fahrer kennt mehrere Fälle, in denen die Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt wurden. „Da die Fluktuation am Standort geringer war, als zu erwarten, haben wir leider leistungsbezogene Kündigungen, größtenteils innerhalb der Probezeit, aussprechen müssen“, verteidigt sich der Essenslieferdienst.

Bedeutet im Klartext: Flink hatte zu viele eingestellt, und musste sie schnell wieder entlassen. Doch die Kritik des ehemaligen Mitarbeiters geht noch weiter: Demnach seien Lohnzahlungen nicht vollständig gezahlt worden und mussten nachgefordert werden. Flink versuche somit, das eigene Geschäftsrisiko und die geringen Bestellungen zulasten der Kuriere auszulagern. Und tatsächlich scheint es dem Lieferdienst nicht gut zu gehen. Zuletzt meldete Flink in Österreich Insolvenz an.

Auch in Dresden sieht man weniger Fahrer auf den Straßen. Einer von vier Standorten habe in Dresden dichtgemacht. Laut Aussagen ehemaliger Mitarbeiter wurde die Hälfte der Belegschaft entlassen. Flink selbst will sich dazu nicht äußern, gibt aber zu, „anfangs einzelne Fehlentscheidungen getroffen“ zu haben.

Die Konkurrenz wird geschluckt, Lieferando macht es vor

Werden die radelnden Essenskuriere in pinken Jacken also wieder aus dem Stadtbild verschwinden? Nein, lautet die Prognose von Marketing- und Handels-Professor Erik Maier der Handelshochschule Leipzig. Er bezweifelt zwar, dass die Lebensmittel-Lieferdienste derzeit überhaupt mit Mindestlohn und Logistikkosten gewinnbringend seien, stellt jedoch klar, dass sich ein Marktführer mit einer Jackenfarbe durchsetzen werde. Ob dieser dann Getir, Flink oder ganz anders heißen wird, sei unklar. Anfang Dezember ist bekannt geworden, dass das türkische Liefer-Unternehmen Getir den deutschen Lieferdienst Gorillas übernommen hat.

Lieferando hat diese Entwicklungen bereits vorgemacht. Der Lieferdienst in oranger Jacken hat sich, anders als Flink und Getir, auf fertige Speisen konzentriert und seine Konkurrenten geschluckt. „Auch bei den Lebensmittellieferdiensten wird es einen ganz klaren Marktführer geben. Das läuft dann mal besser, mal schlechter, je nachdem, wie viel Geld die Leute gerade übrig haben.“

Essenslieferdienste würden laut Maier aber nur in den Großstädten genügend Kunden finden. „Zielgruppe sind junge Menschen, die wenig Zeit haben und flexibel sein wollen“, so der Professor. Oder wie sie der ehemalige Mitarbeiter Kristensen bezeichnet: „Junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren, die ein bisschen faul sind und es cool finden.“ In kleinen und mittelgroßen Städten wie Görlitz oder Riesa sieht der Professor kaum Potenzial: „Das ist nicht profitabel, die brauchen mehrere Hundert Bestellungen am Tag.“

Doch bis sich ein Marktführer durchgesetzt hat, ist es ein harter Kampf mit Minusgeschäften. „Flink und Gorillas liefern sich eine regelrechte Werbeschlacht und setzen auf aggressives Wachstum um als Erstes am Markt zu sein“, erklärt der Handelsexperte. Es sei deshalb kein Wunder, dass Flink mehr Standorte in Dresden aufgebaut habe, als sich rechne. Einfach um als Erstes da zu sein. Stellen sich die Standorte dann nicht als wirtschaftlich heraus, werden sie geschlossen; zulasten der Mitarbeiter, die dann wie zuletzt bei Gorillas in Berlin vor die Tür gesetzt werden.

Um deshalb für bessere Arbeitsrechte in der sogenannten Plattformökonomie zu sorgen, hat Sachsen nun eine Initiative gestartet. „Es gibt in diesem Bereich leider noch zu viele Unternehmen, auch große Player etwa bei Versand- und Logistikdienstleistern, die sich regelrecht aus der Pflicht stehlen, für ihre Subunternehmer und externen Fahrdienstleister Verantwortung zu übernehmen“, erklärte Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) Anfang Dezember. Er fordert gemeinsam mit mehreren Ländern die Bundesregierung auf, einen Entwurf der EU-Kommission zu unterstützen, um die Arbeitsbedingungen in der Plattformwirtschaft zu verbessern. Darunter zählen etwa auch Vorgaben für die künstliche Intelligenz. Denn oftmals werden die Kuriere der Lieferdienste über Softwareprogramme gesteuert. Außerdem ist die Richtlinie darauf ausgerichtet, Scheinselbstständigkeit zu verhindern oder zu minimieren, womit den Arbeitern mehr Rechte zu gestanden werden könnte.

Neue EU-Richtlinie soll Mitarbeiter schützen

Von der Richtlinie würden nicht nur flinke Kuriere profitieren, sondern auch Putzkräfte, die beispielsweise über Helpling gebucht werden oder sogenannter Juicer. Sie laden nachts Elektroscooter wieder auf. Insgesamt sind EU-weit mehr als 28 Millionen Arbeitskräfte in der Plattformökonomie beschäftigt. Wann die Richtlinie jedoch in der deutschen Gesetzgebung umgesetzt wird, ist dem sächsischen Wirtschaftsministerium nicht bekannt.

Mitarbeiter Kristensen hat seine bunte Jacke derweil an den Hacken gehängt: „Es hat sich nicht immer sinnvoll angefühlt, aber für Familien mit Kind oder Menschen mit Mobilitätseinschränkung ist das was Gutes. Und es ist vielleicht manchmal besser, als mit einem fetten Auto irgendwohin zu fahren und Chips einzukaufen.“

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