Leipzig/Dresden. Trotz heftiger Niederschläge in den letzten Tagen blicken die Winzer an Elbe, Saale und Unstrut auf eine gute bis durchschnittliche Ernte. Im Vergleich zum Katastrophenjahr 2024 ist man sogar mehr als zufrieden, meint Andreas Claus, Chef des Thüringer Weingutes in Bad Sulza und Präsident des Weinbauverbandes Saale-Unstrut.
Doch Jubel will nicht aufkommen. Denn wie viele andere deutsche Winzer, haben auch die Weinbauern in Mitteldeutschland mit Problemen zu kämpfen – fernab von Wetterunbilden.
Die Deutschen trinken weniger Wein
„In Deutschland geht der Weinkonsum zurück. Dies liegt unter anderem am demografischen Wandel in Deutschland, in Verbindung mit einem geänderten Konsumverhalten“, erklärt Ernst Büscher von Deutschen Weininstitut (DWI).
„Der Anteil der Älteren, die traditionell mehr Wein getrunken haben, geht zurück und die jüngere Generation trinkt tendenziell weniger Wein und andere alkoholische Getränke.“
Diese Entwicklung habe sich in den letzten beiden Jahren deutlich verschärft. Nicht zuletzt auch aufgrund der Warnung von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, wonach jeder Tropfen Alkohol gesundheitsschädlich sei.
Leider kommt noch eine andere Entwicklung hinzu, weiß Felix Hößelbarth, Vorsitzender des sächsischen Weinbauverbandes: „Im Handel greifen immer mehr Kunden zu ausländischen Weinen.“
Ausländische Konkurrenz ist groß
Vielerorts in Deutschland wächst die Befürchtung, dass sich die Absatzprobleme verschärfen und Weinbetriebe aufgeben müssen. 20 bis 30 Prozent der Betriebe könnten in Rheinland-Pfalz auf der Strecke bleiben, heißt es aus dem größten deutschen Weinbundesland, wo sechs der 13 deutschen Anbaugebiete liegen.
„Von diesen Entwicklungen sind alle Weinbaugebiete betroffen, unabhängig von ihrer Größe“, sagt DWI-Experte Büscher. „In touristisch stark frequentierten Weinregionen, in denen ein großer Teil des Weins vor Ort abgesetzt wird, fällt dies vielleicht nicht so stark auf. Aber sobald man als Erzeuger auf den Absatz im Lebensmittelhandel angewiesen ist, konkurrieren die deutschen Weinerzeuger mit Weinen aus der ganzen Welt.“
Die Freyburger Winzergenossenschaft beliefert den Lebensmittelhandel. Ihr neuer Chef Hartmut Schreiter könnte also ein Klagelied anstimmen, macht er aber nicht. Der 58-Jährige ist kein Kellermeister, sondern hat in Leipzig Bauingenieurwesen studiert und für die Deutsche Bahn Brücken gebaut.
Der größte Weinerzeuger Mitteldeutschlands holte den gebürtigen Berliner an Bord, weil er, wie er selbst von sich sagt, konsequent nach vorn schaut, mehr die Chancen, als die Probleme im Blick hat und koordinieren, also zwischen einer Vielzahl von Interessen Brücken bauen kann. Von Wein versteht er obendrein auch eine Menge, schließlich bewirtschaftet er mit seiner Frau seit 1994 einen Weinberg in Höhnstedt im Saalekreis nahe Halle.
Winzer spüren Preisdruck in Handel und Gastronomie
Zwar sei der Weinkonsum 2024 deutschlandweit um zehn Prozent gesunken, seit 2021 steige aber der Absatz von Weißweinen wie Weißburgunder, Grauburgunder und anderen Weinen der Genossenschaft wieder, so Schreiter. Zur Wahrheit gehöre aber auch, „dass wir das Hoch von 2018 noch lange nicht wieder erreicht haben“.
Schreiter will – sicher zur Freude der rund 300 Genossenschaftsmitglieder – den Absatz weiter ankurbeln. Angesichts des Preisdrucks im Handel und auch in der Gastronomie wird das aber kein Sparziergang.
Laut Ernst Büscher vom DWI sank der Marktanteil der vom Handel eingekauften heimischen Weine 2024 im Vergleich zum Jahr davor um einen Prozentpunkt auf 41 Prozent. Drei Jahre zuvor waren es noch 45 Prozent. Das liege daran, „dass die Deutschen beim Weineinkauf – wie bei Lebensmitteln insgesamt – sehr stark auf den Preis achten und weniger auf die guten Qualitäten, die vor der eigenen Haustür wachsen. Lieber kaufen sie mehr günstige Weine aus dem Ausland.“
Eine Flasche pro Kopf und Jahr mehr
Hier komme der fehlende „Weinpatriotismus“ zum Tragen, so der DWI-Experte weiter. „Denn eigentlich sollte es für die deutschen Weinerzeuger kein Problem sein, ihre Weine im eigenen Land zu verkaufen, da wir hierzulande etwa doppelt so viel Wein trinken, wie wir herstellen.“
Fehlenden Weinpatriotismus beklagt auch der Verein Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau, ein Zusammenschluss von Winzerinnen und Winzern. Sie fordern zum Kauf heimischen Rebensaftes auf. Würden die Deutschen pro Kopf und Jahr anstelle einer Flasche importierten Weins, Produkte aus hiesigen Weinkellern kaufen, ginge es den Betrieben hierzulande deutlich besser.
Felix Hößelbarth vom sächsischen Weinbauverband und Betriebsleiter im Weingut Hoflößnitz in Radebeul stört sich, wie er sagt, am Wort Patriotismus. Die Idee dahinter, nämlich für regionale Produkte zu werben, sei hingegen zu begrüßen und würde auch den Winzern im Freistaat helfen.
Spitzenqualität von Sachsens Steillagen
Denn hier wachsen die Reben zumeist an Steillagen, wo Handarbeit gefragt ist. Die Weine aus dem kleinsten und östlichsten Weinanbaugebiet Deutschland hätten dank ihrer Spitzenqualität einen festen Kundenstamm, gleichwohl machen auch den sächsischen Winzern die günstigeren Weine aus dem Ausland das Leben schwer.
Dass ein nennenswertes Sterben von Weingütern die Folge des rückläufigen Weinkonsums sein wird, davon gehen für ihre Regionen weder Felix Hößelbarth noch Andreas Clauß aus. „Allerdings wird es Winzer geben, die ihre Weinberge vorübergehend oder auch dauerhaft nicht mehr bewirtschaften“, glaubt der Thüringer Weinbauer.
Bereits jetzt sei das Neupflanzen von Rebstöcken in Mitteldeutschland eher eine Seltenheit. Die Euphorie, den Betrieb zu vergrößern, die er noch in den 1990er- und 2000er-Jahren hatte, sei verflogen, so Winzer Clauß weiter. Man verbessere hingegen immer mehr die Qualität. „Insbesondere unsere Weißweine sind spitze, andere Länder wären froh, mit solchen Qualitäten aufwarten zu können. Das hat seinen Preis. Dafür müssen wir werben.“
Freyburger erwarten rund 3,2 Millionen Liter Wein
Marketing ist auch das Thema von Hartmut Schreiter. In diesen Tagen wollen die Genossenschaftler rings um Freyburg mit der Ernte beginnen. Rund 3,2 Millionen Liter werden erwartet. Eine Menge, die verkauft werden will.
Die größten Potenziale sieht der Neue darin, das Absatzgebiet zu erweitern, vornehmlich den Berliner und Brandenburger Raum stärker zu bespielen. Dazu will er den Eigenvertrieb weiter ausbauen.
Zugleich müsse es Veränderungen im Handel geben. Hartmut Schreiter spricht von einer stärkeren preislichen Spreizung. „Ein Großteil der Kunden gibt höchstens fünf bis sechs Euro für eine Flasche Wein aus. Also sollten wir ihnen ein entsprechendes Angebot machen. Ohne die Kunden zu vernachlässigen, die bereit sind, für unsere Spitzenweine auch tiefer in die Tasche zu greifen.“
Winzer sind auch Landschaftspfleger
Beim Marketing schlagen die Sachsen neben den bewährten Wegen noch einen weiteren ein. Sie werben mit der Kulturlandschaft der Steillagen. Dafür hat der Weinbauverband extra eine Projektstelle geschaffen – gefördert vom Land. Mit Annette Fiss, die zuvor in Baden-Württemberg bei einer Wein-Genossenschaft das Marketing verantwortete, habe man eine Expertin gefunden, die die sächsischen Winzer stärker vernetzen und gemeinsame Aktionen initiieren soll.
„Unsere Steillagen sind ein wichtiger Bestandteil der Kulturlandschaft Sachsens, und das gilt es zu bewahren“, gibt Felix Hößelbarth die Richtung vor. Das ist auch das Credo an Saale und Unstrut. „Wir sind nicht nur Erzeuger, sondern auch Landschaftspfleger“, ergänzt Andreas Clauß.