Von Heiko Weckbrodt
Dresden. Hohe Energie- und Personalkosten, Pleitewellen, das China-Geschäft ist rückläufig, dazu Fachkräftemangel, Bürokratielasten und Donald Trumps Wirtschaftskriege: „Der Maschinenbau und unsere gesamte Industrie stehen unter erheblichem Transformations- und Wettbewerbsdruck“, warnt Geschäftsführer Oliver Köhn vom Branchenverband VDMA Ost während der Innovationstagung „Hub disrupt“ in Dresden, die sich auf vernetzte Produktions- und Datenräume nach dem „Manufacturing-X“-Prinzip fokussiert hat. Die Wirtschaft brauche dringend neue Impulse. „Manufacturing-X birgt da die Chance auf neue Verdienstquellen und Geschäftsmodelle.“ Erste praktische Anwendungsbeispiele hat nun der Dresdner „Smart Systems Hub“ in der Gläsernen VW-Manufaktur vorgestellt.
„Die wachsenden geopolitischen Spannungen und Lieferkettenstörungen wie jüngst im Zuge der Nexperia-Chipkrise haben gezeigt, wie sehr die europäische Industrie von außereuropäischen Dienstleistern abhängt“, betonte Hub-Chef Michael Kaiser zum Konferenzauftakt. Umso wichtiger sei es, Referenzlösungen zu schaffen, die mögliche Produktivitätssprünge durch Manufacturing-X für den Mittelstand sichtbar machen. „Eine Reihe von Use Cases haben wir nun gemeinsam mit unseren Partnern geschaffen.“

„Unsere Industrie steht unter erheblichen Transformations- und Wettbewerbsdruck.“ – Geschäftsführer Oliver Köhn vom VDMA Ost
Hinter „Manufacturing-X“ steht die Idee, Maschinenbauer, Chipfabriken, Flugzeugbauer und andere Unternehmen nach dem „Catena-X“-Vorbild aus dem Automobilsektor vertikal und horizontal zu vernetzen. Sprich: Der Anlagenhersteller meldet beispielsweise seinen Bauteilebedarf an den Zulieferer, der stimmt seine Lager und Transportpläne darauf ab und so weiter. Die ganze Lieferkette wird so transparent, wie es die Partner ausgehandelt haben – ohne Geschäftsgeheimnisse preiszugeben und ohne dass Geschäftsdaten nach Übersee abfließen. Zudem sieht „Manufacturing-X“ digitale „Brücken“ zwischen den Branchen vor, um etwa eine neue Maschine, die ursprünglich für die Autoindustrie entwickelt wurde, rasch an die besonderen Standards der Raumfahrt oder der Chipfabriken anzupassen.
Experten sehen gute Chancen, der deutschen Industrie dadurch Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, die sie in den vergangenen Jahren an die internationale Konkurrenz verloren hat. Immerhin jedes dritte Industrieunternehmen geht laut einer Bitkom-Umfrage davon aus, dass der Datenaustausch entlang der Wertschöpfungskette entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sein wird.
Smart Systems Hub Dresden will Henne-Ei-Problem knacken
Bisher verzögerte indes ein Henne-Ei-Problem den breiten Einsatz von Manufacturing-X: Ohne praktische Vorzeige-Beispiele mit erkennbarem Nutzen will kaum ein Mittelständler vorpreschen. Durch diese Abwartehaltung entstanden aber eben auch keine Praxisanwendungen. In Dresden hat sich deshalb der Technologie-Vermittler „Smart Systems Hub“ mit Praxispartnern zusammen getan, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. In Thingkathons, ManuX-„Pilotsprints“ und anderen Formaten entstanden und entstehen Schnittstellen für die unterschiedlichen Datenräume der beteiligten Branchen und vor allem erste Beispiele, wie Manufacturing-X in der Praxis funktionieren kann.
Beispiel Sitec: Vernetzungs-Upgrade für Fabriken, die über Jahrzehnte gewachsen sind
Ein Beispiel ist „Sitec Industrietechnologie“ aus Chemnitz: Der Sondermaschinen-Hersteller hat ein neues Geschäftsfeld für digitale Dienste aufgebaut. Mit „Connect“ hat Sitec einen Baukasten aus Nachrüst-Sensoren, Schnittstellen und Computerprogrammen entwickelt, der auch heterogene Fabriken mit Maschinen ganz unterschiedlicher Altersklassen – von der Mikromat-Anlage aus DDR-Zeiten bis hin zu neuesten Modellen – digital vernetzt. „Wichtig ist dabei aber, mit den gewonnenen Informationen nicht einfach nur Datensilos volllaufen zu lassen, sondern diese Daten dann auch für vorausschauende Wartung, die Erstellung von CO2-Bilanzen und andere Dienste zugänglich zu machen“, betont Sitec-Chef Nico Nebel. Durch den Einsatz von „Manufacturing-X“-Konzepten lässt das neue Produkt und Geschäftsmodell schneller und branchenübergreifend auf dem Markt einführen.

Foto: Heiko Weckbrodt
Ähnliche Praxisbeispiele wollen die Manufacturing-X-Partner aus Sachsen nun deutschlandweit und international schaffen – und auf weitere Branchen übertragen. Ein Szenario, das Smart Systems Hub und die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden bereits bearbeiten, ist die Mikroelektronik: Als Europas führender Produktionsstandort für Computerchips verfügt das „Silicon Saxony“ über einzigartige Voraussetzungen, die vernetzte Produktion über ganze Wertschöpfungsketten hinweg in der Halbleiterindustrie vorzuexerzieren. „Semiconductor-X“ heißt dieser Branchen-Ableger von „Manufacturing-X“ und wird in Sachsen vor allem von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden bearbeitet. Die Hoffnung dabei: Wer hier die ersten Pilotlösungen generiert und in die Massenproduktion überführt, erarbeitet sich einen Innovationsvorsprung vor der Konkurrenz, erschließt sich neue Einnahmequellen in der „Datenökonomie“ – und setzt „ganz nebenbei“ auch Standards, die die gesamte Branche weltweit transformieren.
Mehr Infos im Netz:
Manufacturing-X: plattform-i40.de/IP/Navigation/DE/Manufacturing-X/Initiative/initiative-manufacturing-x.html
Anwendungsbeispiele aus dem Smart Systems Hub: smart-systems-hub.de/de/manufacturing-x
Semiconductor-X in der HTW Dresden: htw-dresden.de/hochschule/fakultaeten/info-math/forschung/smart-production-systems/projekte/semiconductor-x


