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Interview mit IWH-Ökonom Holtemöller: „Sachsen muss mehr in Köpfe investieren statt in Beton“

Was sollte Sachsens künftige Landesregierung tun, um Arbeit und Wirtschaft zu fördern? Im Interview sagt Professor Oliver Holtemöller vom IWH in Halle auch, was jetzt nicht passieren darf.

Lesedauer: 4 Minuten

Man sieht Professor Oliver Holtemöller
Professor Oliver Holtemöller ist Vizepräsident und Konjunkturchef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Er hat Ratschläge für Sachsens künftige Koalitionsregierung. Quelle: IHW

Georg Moeritz

DresdenHerr Holtemöller, Sachsens Wirtschaft ist im ersten Halbjahr um 0,7 Prozent geschrumpft, stärker als die deutsche Wirtschaft insgesamt. Was ist da passiert?

Wir haben insgesamt eine Schwäche der Industrie. Die Dienstleistungsbereiche laufen besser. Sachsen hat einen relativ hohen Industrieanteil. Der liegt etwa in Höhe des Bundesdurchschnitts. Die Länder mit niedrigerem Industrieanteil, so etwa Berlin als Hauptstadt, hatten zuletzt die höheren Wachstumsraten. Baden-Württemberg mit dem höchsten Industrieanteil meldet sogar 1,3 Prozent Rückgang, also noch mal deutlich schlechter als Sachsen.

Das heißt, im Moment sind Dienstleistungsländer wie Berlin ökonomisch im Vorteil gegenüber Industrieländern?

Nicht nur im Moment. Seit zehn, zwölf Jahren entstehen neue Arbeitsplätze in Deutschland überwiegend in den Dienstleistungsbereichen. Da arbeiten ja auch die meisten Menschen, das wird oft unterschätzt. Die öffentliche Diskussion dreht sich häufig um die Industriearbeitsplätze, gerade in den vergangenen Tagen wieder bei der Berichterstattung über die SPD-Wahlkampfschwerpunkte. Da wird gesagt, wir wollen gute Industriearbeitsplätze in Deutschland.

Sind die nicht das Wichtigste, damit die Wirtschaft funktioniert?

Der Dienstleistungssektor wächst in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, während die Industrieanteile kleiner werden. Es gehört zum Strukturwandel, dass die Dienstleistungsbereiche bedeutender werden, und die sind tendenziell eher in urbanen Ballungsgebieten angesiedelt. In Ostdeutschland gibt es weniger urbane Ballungsräume, weniger Großstädte und mehr ländlichen Raum. Außerdem muss man die Altersstruktur der Bevölkerung bedenken.

Werden die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West jetzt wieder größer?

In Ostdeutschland ist die konjunkturelle Lage derzeit sogar etwas besser als in Deutschland insgesamt, in Sachsen aber unter anderem wegen des hohen Industrie-Anteils nicht. Allerdings empfehle ich für Ost-West-Vergleich ohnehin nicht das Bruttoinlandsprodukt, sondern eher einen Blick auf die Produktivität. Wie viel Wertschöpfung erwirtschaftet ein Erwerbstätiger pro Stunde? Diese Zahlen werden sich in Ost und West weiter annähern. Was sich aber auseinanderentwickeln dürfte: der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung.

Allerdings werden auch gerade Beschäftigte frei. Während die Chipindustrie wächst, sind Solarmodulfabriken geschlossen worden – in Sachsen-Anhalt schon vor einigen Jahren, nun in Freiberg und Dresden. Hat der Staat dort versagt?

Nein. Betriebe, die nicht erfolgreich sind, verschwinden wieder. Das gehört zur Marktwirtschaft. Der Staat soll nicht jedes Unternehmen am Leben erhalten. Wichtig ist in einem Sozialstaat, die betroffenen Menschen gut zu unterstützen, sich neu zu orientieren. Es gibt ja genügend Bereiche, wo händeringend Personal gesucht wird.

Was sollte denn Sachsens künftige Landesregierung tun, um die Wirtschaft zu fördern?

Der größte Faktor in Ostdeutschland ist die Demografie. Das Wichtigste ist, dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Potenziale vernünftig ausgeschöpft werden. Das fängt in der Schule an. In Ostdeutschland ist der Anteil der Schulabbrecher deutlich höher als in Westdeutschland. Es geht weiter mit der Qualifikation und der Forschung und Entwicklung an den Universitäten. Da gibt es auch Verbesserungspotenzial.

Am meisten gesprochen wird aber über Zuwanderung.

Sie gehört auch dazu, vor allem die gute Integration von vorhandenen Zuwanderern ist wichtig. Die Arbeitslosenquoten von Zuwanderern sind in Ostdeutschland größer als in Westdeutschland. Überall dort muss man ansetzen, um genügend Menschen für die Teilnahme am Wirtschaftsleben zu haben. Man kann das ja auch nicht gegen die Bevölkerung machen. Die Wahlergebnisse zeigen, dass dieses Thema die Menschen sehr stark beschäftigt. Bevor man sich Gedanken macht, wie man mehr Zuwanderer anzieht, sollte man diejenigen besser integrieren, die schon hier sind.

An Sachsens künftiger Landesregierung wird wahrscheinlich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beteiligt sein. Was erwarten Sie?

Da kenne ich mich zu wenig aus, ich habe auch noch nicht das Programm des BSW gelesen.

Im Parteiprogramm steht zum Beispiel, dass wir „nicht Milliardensubventionen für Konzerne aus Übersee“ brauchen, sondern „Zukunftsfonds zur Förderung innovativer heimischer Unternehmen“. Brauchen wir die?

Ich finde die Unterscheidung zwischen ausländischen und einheimischen Unternehmen hier nicht zielführend. Deutschland profitiert von der internationalen Arbeitsteilung. Die Dax-Konzerne gehören auch nicht unbedingt Deutschen, sondern haben eine international zusammengesetzte Eigentümerschaft. Aber Subventionen für einzelne große Unternehmen halte ich auch in den meisten Fällen für nicht sinnvoll. Ich stimme damit überein, dass es besser wäre, die Rahmenbedingungen zu verbessern, damit kleine und mittlere Unternehmen lokal besser wachsen können. Es ist aussichtsreicher, als einzelne große Unternehmen zu subventionieren.

Kann denn ein kleiner Handwerksbetrieb dazu gebracht werden, ein großer zu werden? Sollte der Staat Zusammenschlüsse fördern?

Nein. Die Unternehmen werden größer, indem sie ihre Absatzmärkte vergrößern. Beim Beispiel Handwerker ist das schwierig, weil er ja physisch Distanzen überbrücken muss. Aber dort, wo Güter produziert werden, die dann verkauft werden, oder etwa Software, da kann man den Wirkungskreis vergrößern und zusätzliche Gewinne am Standort des Unternehmens erzielen. Der Staat sollte die Rahmenbedingungen verbessern, damit innovative Unternehmen nachhaltig wachsen können.

Zum Beispiel?

Wenn ein Betrieb den Schritt gehen möchte von einem kleinen inhaberzentrierten Betrieb zu einem größeren Unternehmen, dann treten häufig Finanzierungsprobleme auf. Der Staat kann hier zwar kaum direkt helfen, aber kann die Anreize für private Investoren verbessern und sich für eine Verbesserung der Kapitalmarktbedingungen in Europa insgesamt einsetzen.

Was sollte denn die neue Landesregierung auf keinen Fall tun?

Wenn man sich anguckt, was die wichtigsten Wohlstandstreiber für Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten waren, dann waren darunter der Export und die Globalisierung. Deutschland hat vom gemeinsamen europäischen Binnenmarkt profitiert und von der europäischen Osterweiterung, dazu gehörte auch Zuwanderung. Wenn Sie mich also fragen, was man unterlassen sollte: diesen Prozess rückgängig machen zu wollen. Die Politik sollte den europäischen Binnenmarkt nicht einschränken. Das ist freilich weniger ein landespolitisches Thema.

Das Land hat zum Beispiel mit dem Strukturwandel in den Braunkohleregionen zu tun, dorthin fließen Milliarden Fördergeld.

Dort ist es wichtig, mehr in Köpfe zu investieren statt in Beton. Im Zuge des Braunkohle-Ausstiegs wird viel in Straßen und Schienen investiert, und ich habe auch nichts gegen Bahnschienen. Aber der Engpass für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen, ist eindeutig die Demografie und nicht in erster Linie die physische Infrastruktur.

Das Gespräch führte Georg Moeritz.

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