Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Am 20. März verkündete der polnische Fliesen- und Sanitärkeramik-Hersteller Cersanit, dass er sein Meißner Werk schließen will. 100 Produktionsarbeitsplätze stehen bei der Meissen Keramik GmbH auf dem Spiel.
Bevor am heutigen Mittwoch erstmals Betriebsrat und Geschäftsführung über einen Sozialplan verhandeln, äußert Stephan Enzmann von der Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie einen schlimmen Verdacht. „Wir können das Gerede vom großen Wettbewerbsdruck nicht nachvollziehen. Stattdessen haben wir Anhaltspunkte, die nahelegen, dass jahrelang darauf hingearbeitet wurde, keinen Gewinn zu erwirtschaften“, sagt Enzmann.
Dreh- und Angelpunkt ist dabei der im August 2017 beigelegte „Kampf um Meissen“. Die Staatliche Porzellan-Manufaktur hatte damals ihren letzten offenen Streit um den Markennamen „Meissen“ mit einem Vergleich beendet. Demnach durfte Meissen Keramik den Namen behalten, weil es seinen Sitz in der Stadt hat.
„Den polnischen Eigentümern ging es vor allem um den Namen. Das ist auch der Grund, weshalb sie zwar die Produktion einstellen, aber gleichzeitig eine kleine Niederlassung in der Stadt behalten“, denkt der Gewerkschafter, der weitere Indizien kennt, die diese Vermutung untermauern sollen.
„Laut unseren Mitgliedern wurde in den vergangenen Jahren die Produktpalette verringert und außerdem zu wenig investiert“, sagt Enzmann, der zuletzt am Montagvormittag mit dem Betriebsrat gesprochen hat.
„Der Frust ist groß. Außerdem haben die Betriebsräte noch immer nicht die Jahresabschlüsse von 2017 und 2018 erhalten. Diese wollten sie haben, um die Verluste verstehen zu können.“
Weniger zögerlich sei das Unternehmen bei einer anderen Frage gewesen. So habe es den Beschäftigungssicherungsvertrag schon gekündigt. „Unsere Mitglieder hatten auf tarifliche Leistungen verzichtet. Im Gegenzug durfte niemand gekündigt werden. Dieser Vertrag läuft nun zum 30. Juni aus“, sagt Enzmann.
Cersanit-Unternehmenssprecher Jens Petershagen wollte sich auf Anfrage noch nicht zu aktuellen Entwicklungen äußern. Er verwies auf die Erklärung vom 20. März. Demzufolge ist die Nachfrage nach Keramik-Fliesen in Deutschland zwischen 2015 und 2018 um zwölf Prozent gesunken. Zudem drängten internationale Wettbewerber aus Niedriglohnländern in Asien und Osteuropa auf den deutschen Markt.
Meissen Keramik versicherte, mit Investitionen in moderne Technik versucht zu haben, die Situation am Standort zu verbessern. Unter anderem habe man einen Laserdrucker für die Oberflächenbearbeitung angeschafft, der die Produktion von größeren Fliesenformaten ermöglicht habe, heißt es in der Mitteilung.
Unterstützung bekommt das Unternehmen in seiner Argumentation vom Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Keramischen Industrie, Christoph René Holler: Die Fliesenindustrie bewege sich in einem schwierigen Marktumfeld, sagt Holler und fügt an: „Bei im Vergleich hohen Abgaben, weit überdurchschnittlich hohen Lohnnebenkosten sowie Höchstpreisen bei der Energie haben sich die Rahmenbedingungen in Deutschland deutlich verschlechtert.“
Berit Kasten von der Arbeitsagentur im Landkreis Meißen rät den betroffenen Mitarbeitern trotzdem, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Sie sollten sich auf jeden Fall bei uns melden. Es kommt zwar auf den Einzelfall an, aber gut ausgebildete Fachkräfte haben eine gute Chance, eine neue Stelle zu finden“, sagt Kasten.
Von Stephan Hönigschmid
Foto: © Claudia Hübschmann