Von Heiko Weckbrodt
Dresden. KI-Assistenten und KI-Agenten, die Diffusion solch fortgeschrittener Technologien in Mittelstand und kleine Unternehmen hinein sowie produktionsnahe Anwendungen über die bloße Recherche und Text-Genese hinaus gehören derzeit zu den wichtigsten Trends beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der sächsischen Wirtschaft. In der KI-Forschung gehört Sachsen zwar bereits zu den führenden Standorten in Deutschland. Bei der Kommerzialisierung und praktischen Anwendung ist aber noch ein kräftiger Ruck notwendig, um ins internationale Spitzenfeld vorzustoßen. Das hat die neue Konferenz „Brains on Silicon“ im Oktober in Dresden ergeben, mit der die sächsische KI-Community eben diesen Führungsanspruch ein Stück weit untermauert hat.
Die internationale Tagung im Kongresszentrum am Dresdner Elbufer lockte 40 Referenten und rund 600 Fachbesuchern an. „Weil uns eines verbindet: die KI im Unternehmenseinsatz voranzubringen“, erklärte Organisator Stefan Queißer vom Veranstalter „Confgames“ diese Resonanz auf die Premiere. „Mit Brains on Silicon setzen wir ein Signal für die KI-Transformation – praxisnah, zukunftsorientiert und gemeinsam.“ Lobende Worte fand Geschäftsführer Frank Bösenberg von Branchenverband „Silicon Saxony“: „Diese Konferenz bringt die Hardware- und die Software-Community zusammen“. Dies sei ein vielversprechender Ansatz für die ambitionierten KI-Pläne in Sachsen.

„Sachsen muss noch eine Schippe drauflegen. – Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Kralinski
Allerdings hat Staatssekretär Thomas Kralinski (SPD) auch ein wenig Wasser in den Wein gegossen: „Sachsen muss noch eine Schippe drauflegen“, wenn es künftig in dieser Schlüsseltechnologie „nicht nur Anwender, sondern auch Gestalter“ sein will, schätzte der scheidende Wirtschaftspolitiker ein. Zwar beschäftigen sich bereits viele Forschungseinrichtungen und eine Reihe Firmen im Freistaat mit Künstlicher Intelligenz. Auch gibt es inzwischen spezialisierte KI-Rechenzentren, eine eigene KI-Strategie sowie eine starke Mikroelektronik-Industrie, die eine Basis auch für KI-Beschleuniger und ähnliche Elektronik sein kann. Doch Hochleistungs-Chips für KI-Schulen, wie sie etwa Nvidia und AMD in den USA oder die Chinesen entwerfen und betreiben, können hiesige Halbleiterfabriken nicht herstellen. Gerade dies aber sollte sich ändern, wenn es nach Kralinski ginge: „Wir wollen doch, dass die KI-Chips der Zukunft in kleinsten Strukturen auch hier gebaut werden.“
Ansätze gibt es dafür auch bereits: Globalfoundries und andere Halbleiterunternehmen liebäugeln mit der Massenproduktion neuromorpher KI-Beschleuniger in Dresden, Kleinserien dafür werden bereits hergestellt. Wirksame Impulse würde diese Spezialisierung an der Schnittstelle zwischen KI-Hardware und -Software aber vor allem bekommen, wenn auch regionale Abnehmer eine starke Nachfrage für solch innovative Chips erzeugen würden. Dies steht und fällt wiederum mit einem breiteren KI-Einsatz in Sachsens Betrieben, Instituten und Behörden. Insofern wird es gerade für kleine und mittelständische Unternehmen im Freistaat extrem wichtig sein, den KI-Zug nicht zu verpassen: Diese Technologie entwickelt sich derzeit rasant weiter, sorgt in vielen Betrieben bereits für signifikante Kostenersparnisse, einen Wandel der Geschäftsmodelle, eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und Produktivitätsschübe.
Sechs KI-Mega-Trends für den Mittelstand
1. Evolution vom bloßen Prompt zum Agenten
Nachdem OpenAI, Google und andere Akteure ihre Chatbots der neuesten Generation ab 2022 schrittweise online gestellt hatten, stürzten sich viele kommerzielle Anwender vor allem auf die Fähigkeiten von ChatGPT, Gemini, Claude & Co., eigenständig halbwegs brauchbare Texte zu recherchieren und zu schreiben sowie Illustrationen zu generieren. Dies hat seither den Markt für Werbetexter, Anwaltsgehilfe und andere Berufsgruppen bereits kräftig verändert.
Nun aber rücken fortgeschrittene KI-Szenarien in den Fokus von Dienstleistern und Industriebetrieben, die über bloße Prompt-Eingaben weit hinausreichen. So geht der Trend hin zu lernfähigen digitalen Assistenten und Agenten. Beide beruhen meist auf den „Large Languages Models“ (LLM) der großen KI-Konzerne, unterscheiden sich aber laut Marcel Claus Ahrens vom Berliner KI-Agenten-Startup „n8n“ vor allem im Funktionsumfang und Autonomie-Grad:
- KI-Assistenten können Texte und komplexe Datensätze analysieren, Dokumente erkennen, all dies strukturieren und damit menschliche Entscheidungen und Pläne vorbereiten.
- KI-Agenten gehen noch einen Schritt weiter: Sie führen zahlreiche Arbeitsschritte en bloc und selbstständig aus, können Pläne erstellen und Ziele verfolgen. Manche dieser Agenten steuern autonom und ohne weitere menschliche Eingriffe komplexe wirtschaftliche, kreative oder technologische Prozesse im Hintergrund. Andere sind auf menschliche Zustimmung oder Ablehnung angewiesen („Human on the loop“).
2. Google-Experte: Planen sie immer ein Not-Aus ein!
„Wir müssen nicht-menschlichen Entitäten Grenzen setzen, ihre Zugriffsrechte auf Ressourcen klar definieren, ihre Handlungen beobachtbar und reversibel machen“, forderte Google-KI-Experte John Paul Li in einem Leitreferat auf der Dresdner Konferenz. Andernfalls neige die KI dazu, sich in Halluzinationen und Endlosschleifen zu verrennen, immer mehr Ressourcen zu binden und verwaiste Programmleichen zu erzeugen. „Wir brauchen immer einen Exit-Knopf!“
3. Belegschaft braucht KI-Upgrade
Manche Unternehmer glauben, mit ein paar OpenAI-Lizenzen und einem Weiterbildungs-Seminar werde der KI-Einsatz in der Firma zum Selbstläufer. Andere wollen durch dadurch vor allem Personal einsparen. In der Praxis aber ist es sinnvoller, die Belegschaft beim KI-Einsatz mitzunehmen, sie zu überzeugen, dass auch liebgewonnenen Routinen mal aufgegeben werden müssen. Als Belohnung winken dann interessantere Aufgaben für den Menschen, die wiederum das Unternehmen voranbringen. Zudem müssen sich die Beschäftigten stetig und freiwillig weiterbilden, eben weil sich die KI-Technologie derzeit so rasant weiterentwickelt. Am besten ist es, die Mitarbeiter so zu ertüchtigen, dass sie sich in eigener Initiative mit neuen Trends und Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz jeden Tag aufs Neue auseinandersetzen.
4. Fachkräfte finden:
Erfahrene „Prompt-Ingenieure“ und KI-Spezialisten auf dem Stand der Zeit sind rar. Daher müssen die Unternehmen selbst solche Experten heranpäppeln: Indem sie ihre Belegschaft für die KI-Einsatz fortlaufend ertüchtigen und dafür auch Eigeninitiative fördern (siehe oben). Oder sie erschließen personelle Ressourcen, die bisher gar nicht auf dem freien Arbeitsmarkt verfügbar sind. Als wichtigen Ansatz empfiehlt die Digitalagentur Sachsen in einer neuen Studie, junge Talente zu fördern und vor allem ganz gezielt Frauen für den KI-Sektor zu gewinnen. Möglich sei dies durch „angepasste Recruiting-Maßnahmen, flexiblere Arbeitszeitmodelle und den Aufbau von Netzwerken, insbesondere aber auch eine frühe Förderung und Begeisterung für Technologiethemen, die bereits im Kindesalter beginnt“.
5. Dezentrale KIs optimieren komplexe Prozesse
Dezentrale KI kann Bahnsysteme, Speditionen und ähnliche Transportunternehmungen unter Umständen besser optimieren als zentrale Dispatcher oder Leitrechner. Ein Beispiel: Die DB Netz hat einen „Digitalen Zwilling“ des Bahnnetzes rund um den Hauptbahnhof Magdeburg entworfen und dann KI-Agenten in die einzelnen Züge in dieser Komplex-Simulation eingespeist. Die handeln seither untereinander aus, wann wer welches Gleis benutzen darf. Dabei setzte Innovationsmanager Roman Ließner auf das sogenannte „Reinforcement Learning“: Erzeugten die ersten Durchläufe noch einen Megastau am Hauptbahnhof, erkannten die KI-Agenten beziehungsweise Züge mit jeder Lernschleife immer deutlicher, dass Kooperation sie weiterbringt als bloßes „Vordrängeln“. Letztlich erreichten sie in der Endlosschleife konfliktfreie Zugbewegungen – die Erfolgsquote lag da schon deutlich über den Werten, die menschliche Dispatcher normalerweise erreichen.
6. Realistische Aufgaben für den Einstieg identifizieren
Wer zu ehrgeizig einsteigt oder den – oft recht teuren, weil oft recht hardware-aufwändigen – Schritt vom Prototypen zum Alltagseinsatz nicht schafft, verhebt sich schnell am KI-Einsatz und gibt frustriert wieder auf. Diese Erfahrung haben schon mehrere Unternehmen in Sachsen machen müssen, vor allem kleinere Industriezulieferer. Daher ist es wichtig, für die eigene Firma sinnvolle und hürdenarme Einsatz-Szenarien für Künstliche Intelligenz rechtzeitig zu identifizieren. Besonders weit verbreitet, weil vergleichsweise einfach aufzusetzen, sind derzeit vor allem folgende KI-Aufgaben:
- Genese von Produktbeschreibungen, Werbetexten und Newslettern
- Markt-Recherchen
- automatisierte Befüllung von Firmen-Blogs mit Texten
- Vorab-Sortierung und -Prüfung von Bewerbungen, Ausschreibungen und Geschäftsbedingungen
- Hochwertige Übersetzung von Korrespondenzen mit Partnern in nicht-europäischen Sprachen, an denen Google Translate & Co. oft noch scheitern.
- Kundenbetreuung (für Fortgeschrittene)
- Qualitätskontrolle in der Produktion (für Fortgeschrittene)
Weitere Informationen im Netz: brainsonsilicon.com
Die neuen KI-Studien der Digitalagentur Sachsen gibt es hier zum Download: digitalagentur.sachsen.de/Publikationen.html


