Es rattert und zischt am Fuße des Borsbergs. Dort, wo das Örtchen Graupa bei Pirna an den Wald grenzt, steht ein acht Meter hohes Ungetüm auf einem Gartenweg. Astwerk und Freileitungen hat es zur Seite gedrängt, um mit großem Getöse einen dicken Metallbolzen ins Erdreich zu rammen. Staub und Steine wirbeln auf. Inmitten der Schwaden sieht man Männer in weißen Schutzanzügen hantieren. Die Passanten gucken neugierig bis besorgt. Nein, hier wird nichts Giftiges gesucht, sondern etwas sehr Gesundes: Wasser.
Immer mehr Menschen träumen vom eigenen Brunnen. Und immer mehr machen den Traum wahr. Noch 2017 hat das sächsische Umweltamt rund 250 Meldungen über neue Bohrungen erhalten. Bis Ende November dieses Jahres waren es schon 450. Noch mehr boomt der Brunnenbau zwischen Elbsandstein und Osterzgebirge. Die Wasserbehörde des Landkreises registriert normalerweise fünfzehn bis zwanzig private Bohrungen jährlich. Und in diesem Jahr? Bis November gab es fast einhundert Bohranzeigen. Die Anzahl der Bauprojekte wird sich also mehr als verfünffachen – die vielen Schwarzbauten, die das Umweltamt vermutet, noch gar nicht mitgedacht.
Die Lust am Brunnen hat der staubtrockene Sommer geweckt. So war es auch bei Silke Bellmann, Besitzerin des Gartens am Graupaer Borsbergsaum, in dem jetzt der Bohrer lärmt. Die Regentonnen waren schnell geleert, erzählt sie. Leitungswasser musste herhalten, um Tomaten und Gurken, Kartoffelpflanzen und Beerensträucher zu versorgen. Schon die vorigen Sommer seien oft trocken gewesen. Die Gärtnerin glaubt, dass das so weitergeht. Also hat sie die Brunnenbauer von Wilschdorf engagiert, um das Grundwasser anzuzapfen.
Seit dem Morgen hantieren die Fachleute nun in der Garteneinfahrt. Sie haben ihren Apparat, der huckepack auf einem Lkw montiert ist, zwischen den Bewuchs bugsiert und den Bohrmast aufgerichtet, haben Rohre und Gestänge gestapelt und den Kompressor von der Größe eines Kleinlasters in Stellung gebracht. Meist reicht fürs Bohren von Gartenbrunnen ein erheblich kleineres Gerät, das man per Kran über die Gartenzäune hieven kann. Aber hier, sagen die Jungs, brauchen sie Bums. Sie rechnen mit zähem Widerstand.
Die Prognose trifft offenbar zu. "Ganz schön hart", sagt Geräteführer Nico Friese, als sein Hammer Pause macht. Er setzt die Ohrenschützer ab und wischt sich Erdkrümel von der Nase. Dann betrachtet er das ausgeworfene Material. Bröckchen mit silbrig schimmernden Einsprengseln. Das ist schon eine Art Felsen, auf dem er hier rumhämmert. Trotz immensen Drucks hat sich das Gestänge nur einen Meter tief eingefressen. Aber Wasser kommt erst in dreißig Metern Tiefe, wenn man Glück hat. So tief lässt sich kein Rohr in den Boden drehen, sagt Friese, jedenfalls nicht bei dieser Härte. Aber abwarten. Brunnenbohren ist wie eine Wundertüte aufzumachen, sagt er. "Man weiß nie, was einen erwartet."
Der Brunnenbau Wilschdorf bohrt seit den 1950ern nach Wasser. Heute stellt die Firma laut Prokurist Mike Hofmann jährlich eine dreistellige Zahl Brunnen her, für Wasserwerke, für die Industrie, zur Trockenhaltung großer Baugruben, aber auch für Privatleute. Die Erfahrung lässt fundierte Einschätzungen zu, ob und wie tief Wasser anzutreffen ist. Eine Garantie gibt es nicht überall, sagt Hofmann. Das Risiko der Fehlbohrung besteht vor allem im Felsgestein. Hier schätzt er den Anteil gescheiterter Versuche auf etwa fünf Prozent.
In Graupa tritt der Bohrer wieder in Aktion. Eigentlich sind es zwei Werkzeuge, die gemeinsam in die Tiefe dringen. Zum einen der Hammer, der mit ultraharten Zähnen aus Wolframkarbid alles zerbeißt, was ihm in die Quere kommt. Zum anderen das Rohr, in dem der Hammer arbeitet. Je mehr "Luft" der Hammer macht, umso weiter wird es ins Erdreich reingeschraubt. So bleibt der Schacht stabil, auch wenn das umgebende Material weicher wird.
Nico Friese, seit 2005 Brunnenbauer, bedient die Hebel und Schieber an seinem Steuerstand nach Manometer, aber vor allem nach Gefühl und Gehör. Die Frequenz des Hammers sagt ihm, wie hart das Gestein ist, ob er den Druck erhöhen oder drosseln muss.
Ein Teil der Pressluft wird zum Ausblasen des Abraums benutzt. Brauner Staub umhüllt Heidekraut und Rhododendron. Plötzlich öffnet sich die "Wundertüte". Der Bohrer kommt zügig vorwärts. Unverhofft ist eine lockere Gesteinsschicht erreicht. Der Maschinist indes traut dem Frieden nicht. Die nächsten Meter könnten schon wieder knüppelhart sein, sagt er.
Sich als Privatmann einen Brunnen zuzulegen, ist vergleichsweise simpel. Es gibt kein förmliches Genehmigungsverfahren. Die Bohrung muss lediglich angezeigt werden – beim Umweltamt und bei der Wasserbehörde des Kreises. Dass die Genehmigung versagt wird, ist sehr selten, teilt das Landratsamt mit. Auch braucht man zur Entnahme des Grundwassers keine Extra-Erlaubnis, sofern man pro Jahr nicht mehr als zweitausend Kubikmeter fördert. Eine Gefahr für den Grundwasserspiegel sieht das Umweltamt auch beim gegenwärtigen Boom des Brunnenbohrens nicht. Geringe Wasserentnahmen, wie für den privaten Haushalt üblich, hätten in der Regel keine nachteiligen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, heißt es aus der Behörde.
Zwei Tage später im Graupaer Garten von Silke Bellmann: Geschafft! In 32 Metern Tiefe sind die Brunnenbauer auf Wasser gestoßen. Sechseinhalb Tausend Euro wird wohl allein der Schacht kosten. Dazu kommen Rohre, Armaturen, die Pumpe. Ob sich das finanziell lohnt? Für Frau Bellmann ist das gar nicht so wichtig. "Hauptsache, man ist unabhängig."
Von Jörg Stock
Foto: Marko Förster