Von Georg Moeritz
Dresden. Das sind ganz neue Werbe-Argumente bei der Suche nach sächsischen Fachkräften: „Haustarifvertrag, Karrierestufen für jeden Job, Entgeltgruppe“ – solche Begriffe finden sich jetzt in Stellen-Angeboten einer der größten sächsischen Fabriken. Die Mikrochipfabrik des Konzerns Globalfoundries mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Dresden wirbt mit ihrem Tarifvertrag. Personalchefin Steffi Schneider sagt: „Für uns ist Tarifbindung ein Wettbewerbsvorteil.“ Vor allem bei freien Stellen in der Technik lasse sich damit werben.
Der Wettbewerbsvorteil besteht tatsächlich: Beim Nachbarn Infineon gibt es keinen Tarifvertrag für den Standort Dresden, und auch nicht in der jüngsten sächsischen Chipfabrik, die der Elektrokonzern Bosch vor drei Jahren eröffnet hat. Dabei baut Infineon gerade an und schiebt sich mit 1.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen auf Platz 1 der Fabriken in Dresden und Ostsachsen.
Nach der Mitarbeiterzahl ist Globalfoundries jetzt nur noch auf Platz 2. Doch Personalchefin Schneider sagt, die Chipbranche werde in Dresden in den kommenden Jahren insgesamt stark wachsen. Damit werde es umso wichtiger, dass Globalfoundries mit Tarifbindung und „guter Arbeit“ punkte. Im Stellenangebot stehen als Firmenvorteile auch Fitnessstudio, familienfreundliche Teilzeitmodelle – und dass sich im Betrieb alle nach amerikanischem Vorbild duzen. Also auch der Geschäftsführer mit Doktortitel.
DGB-Vorstand lobt Globalfoundries für Sozialpartnerschaft
Es ist erst wenige Jahre her, dass Globalfoundries Tarifverträge mit aller Macht verhindern wollte. Die Konzernleitung in den USA lehnte Tarifverhandlungen mit Gewerkschaften aus Prinzip ab. Die Dresdner Werksleiter blieben nicht lange, zwei Geschäftsführer wechselten von Globalfoundries Dresden zu Infineon Dresden. Bei einem Warnstreik in Dresden boten die Manager Streikbrecherprämien für Beschäftigte, die trotz Streiks zur Arbeit kamen.
Die Chemiegewerkschaft IG BCE blieb hartnäckig und verteilte Flugblätter vor dem Werkstor. Inzwischen ist Globalfoundries fast zum Vorzeigebetrieb geworden. Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), besuchte vorige Woche Geschäftsleitung und Betriebsrat in Dresden und zeigte sich danach sehr zufrieden: Er habe das Gefühl, dass in dem Chipwerk „jetzt Sozialpartnerschaft gelebt wird“, sagte Körzell zu sächsische.de
Der Tarifvertrag habe einigen Beschäftigten bis zu 800 Euro brutto mehr im Monat beschert, sagte der DGB-Vizechef. Körzell betonte, ein Tarifvertrag schaffe auch Betriebsfrieden. Die Beschäftigten könnten nachsehen, ob sie richtig eingruppiert seien, es gebe Transparenz. Die Personalchefin müsse nicht mit jedem einzelnen über das Gehalt sprechen.
Im Herbst stünden bei Globalfoundries die nächsten Verhandlungen über den Gehaltstarifvertrag an, also über eine Erhöhung der Gehälter in den Tabellen. Die sind nach Entgeltgruppen unterteilt, je nach Kenntnissen und Fähigkeiten der Angestellten. Außerdem gibt es bei Globalfoundries sechs Stufen: Alle zwei Jahre ist eine Gehaltserhöhung wegen längerer Betriebszugehörigkeit vorgesehen, nach zehn Jahren ist die höchste Stufe erreicht.
Nach Tarifvertrag künftig 36,1 Stunden Arbeit pro Woche
Zwei Beispiele: Ein technischer oder kaufmännischer Mitarbeiter mit dreijähriger Ausbildung und vier Jahren Betriebszugehörigkeit hat laut Tabelle bei Globalfoundries in Entgeltgruppe T2 Anspruch auf rund 3345 Euro im Monat. Ein Meister oder staatlich geprüfter Techniker kommt nach zehn Jahren in Entgeltgruppe T4 auf rund 4.795 Euro Monatsgehalt. Das Gehalt wird 13-mal jährlich gezahlt, Zuschläge etwa für Sonntage sind außerdem geregelt. Laut Betriebsrat gab es dieses Jahr eine Erhöhung der Gehälter um drei Prozent. Der Vertrag gilt aber nur für etwa die Hälfte der Belegschaft, er umfasst keine Gehälter für Ingenieure.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Michael Nadollek sagte zu sächsische.de, mit dem Vertrag sei die Idee vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit einen großen Schritt weitergekommen. Vorher habe es größere Unterschiede gegeben. Regeln zu Zuschlägen wurden mit dem Tarif abgesichert, die Arbeitszeit sinkt schrittweise auf 36,1 Stunden pro Woche im kommenden Jahr, in diesem Jahr sind es 36,25 Stunden. Das „transparente Entgeltsystem“ ermögliche Facharbeitern eine Entgeltentwicklung und biete damit Wertschätzung für ihren Erfahrungszuwachs, sagte Nadollek, der auch Vertrauensmann der IG BCE im Betrieb ist.
IG Metall Sachsen will Chiptarif mit Arbeitgeberverband
In der deutlich kleineren Dresdner Chipfabrik des Konzerns X-Fab mit rund 550 Beschäftigten war schon zum April 2021 ein Tarifvertrag in Kraft getreten. Bei Globalfoundries Dresden gilt ein Rahmenvertrag seit Anfang 2023, der Entgelttarifvertrag seit April 2023. Gewerkschafter Körzell rechnet nach eigenen Angaben damit, dass sich in den Nachbarfabriken „früher oder später die Erkenntnis auch durchsetzen wird, bei Infineon, Bosch und Fabriken, die noch kommen“. Mit einer Kampagne namens #Tarifwende wirbt der DGB für mehr Tarifverträge und fordert Beschäftigte auf, sich zu vernetzen und auch mehr Betriebsräte zu gründen.
Während für Globalfoundries und X-Fab die Chemiegewerkschaft IG BCE zuständig ist, kümmert sich die IG Metall um Bosch und um Infineon – aus Tradition, weil Infineon früher die Halbleitersparte des Elektrokonzerns Siemens war. Die IG Metall hat nun neue Hoffnung geschöpft, auch in diesen Dresdner Betrieben Tarifgehälter einzuführen. Sie will dazu nicht mit den Managern von Infineon und Bosch einzeln verhandeln, sondern mit deren Arbeitgeberverband, dem Verband der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie (VSME). Der hat Abteilungen für tarifgebundene und tariffreie Unternehmen.
Protest bei Bosch Dresden mit farbigen Pappen
Dirk Schulze, der IG-Metall-Bezirksleiter für Sachsen, Berlin und Brandenburg, hat mit dem VSME Dresden „Sondierungsgespräche“ vereinbart. Schulze sagte vor wenigen Tagen, er freue sich über die Bereitschaft des Arbeitgeberverbandes, mit der IG Metall die Vorbereitungen für einen Flächentarifvertrag anzugehen. „Der gemeinsame Wille ist da, das ist ein gutes Zeichen für die Beschäftigten in den Halbleiterwerken.“
Ziel der IG Metall sei es, „auch in dieser Boom-Branche gute Arbeitsbedingungen zu erreichen und den Menschen ihren Teil an diesem wirtschaftlichen Erfolg zu sichern“. Bei Bosch Dresden gab es bereits öffentlichen Protest gegen Ungleichbehandlung im Konzern, Mitarbeiter gingen mit farbigen Pappen auf die Straße vor dem Betrieb.
Schulze erwähnte auch den bevorstehenden Bau der Mikrochipfabrik ESMC European Semiconductor Manufacturing Company mit Haupt-Investor TSMC aus Taiwan. Allerdings hat die IG BCE schon angekündigt, die Zuständigkeit für diese Fabrik zu beanspruchen – und auch für Intel in Magdeburg. Körzell sagte, es sei immer gelungen, sich in der „Gewerkschaftsfamilie“ zu einigen. Beide Industriegewerkschaften gehören zum DGB.
DGB: Milliardensubvention nur noch für Betriebe mit Tarif
Körzell erinnerte daran, dass die geplanten Neubauten von ESMC und Intel vom Bund mit Milliarden gefördert werden, auf Basis des Europäischen Chip-Gesetzes. Globalfoundries habe bei seinem Besuch bekräftigt, ebenfalls Erweiterungspläne zu haben und von Zuschüssen profitieren zu wollen. Der DGB wolle, dass der Staat seine Subventionen für Fabriken an Bedingungen knüpfe: Tarifbindung und Mitbestimmung gehörten dazu. „Wir wollen, dass Unternehmen mit öffentlicher Förderung sich auch der sozialpartnerschaftlichen Verantwortung stellen und Tariflöhne zahlen“, sagte der DGB-Vorstand. Das könne auf Bundesebene geregelt werden. In den USA bekomme TSMC ebenfalls Subventionen vom Staat für die Neubauten, auch dort gebe es höhere Fördergelder für Betriebe, die Gewerkschaften zuließen und beispielsweise Ausbildungsplätze böten.
Von der Bundesregierung forderte Körzell erneut, das Tariftreuegesetz rasch voranzubringen. Es ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, ähnlich wie im sächsischen Koalitionsvertrag ein Vergabegesetz. Damit soll geregelt werden, dass Betriebe nur dann öffentliche Aufträge bekommen, wenn sie beispielsweise zu Tarifbedingungen arbeiten. In Sachsen gibt es keine Einigung in der Regierungskoalition, das Vergabegesetz wird nicht vor der Landtagswahl am 1. September zustande kommen. „Das bedauern wir sehr“, sagte Körzell. Außer Sachsen und Bayern habe jedes Land ein solches Gesetz. Die Erkenntnis müsse sich noch durchsetzen, dass solche Regeln kein Standortnachteil seien. Beim Bundes-Tariftreuegesetz setze der DGB darauf, dass es nach Sommerpause mit Verve umgesetzt werde.
Die „Tarifflucht“ koste Sachsen viel Geld, sagte Körzell. Mit Tarifverträgen hätten die Beschäftigten in Sachsen nach DGB-Berechnungen 4,6 Milliarden Euro mehr Kaufkraft, die Sozialkassen würden 3,3 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen und der Staat 1,9 Milliarden Euro mehr Steuern. Auf Bundesebene gehe es um insgesamt mehr als 130 Milliarden Euro.