Logistiker Philipp Gola hat im Januar von der Kündigung erfahren. Der Bremsenhersteller Knorr-Bremse will ihm und 41 weiteren Kollegen den Arbeitsplatz in Dresden zum Ende des Jahres streichen.
Gola kontrolliert, lagert und verpackt die Bremsen, die dann weltweit in Zügen, Rolltreppen und Fahrstühlen eingebaut werden. Siemens, Alstom, Bombardier: sie alle sind Abnehmer vom Dresdner Standort für Widerstandtechnik. Jetzt soll damit Schluss sein. Das Unternehmen hat angekündigt, die Produktion nach Polen zu verlagern.
Knorr-Bremse verlagert drei deutsche Standorte gen Osten
Noch im vergangenen Jahr hat Gola das 120-jährige Firmenjubiläum mitgefeiert. Von einer Standortverlagerung war da nicht die Rede. Den Bremsenhersteller in Dresden gibt es bereits seit 1904, damals noch als Heine Resistors. 2012 wurde es von Microelectrica aufgekauft – einem Unternehmen, das zu 100 Prozent der Aktiengesellschaft Knorr-Bremse gehört.

Quelle: Foto: Sven Ellger
Knorr-Bremse selbst hat seinen Sitz in München, die 32.000 Mitarbeiter produzieren Bremssysteme für Bahnen, Lkws, Fahrstühle an 100 Standorten in über 30 Ländern. Zuletzt verzeichnete das Unternehmen Rekordaufträge, gerade im Schienenbereich, die Aktie stieg in einem Jahr um 20 Prozent. Doch hinter den Zahlen verbirgt sich eine bittere Realität. Das Unternehmen kündigte in diesem Jahr an, drei Standorte von Deutschland gen Osten zu verlagern: Die Firma Evac aus Wedel nach Polen, die Firma Hasse und Wrede von Berlin nach Tschechien und eben Dresden. 180 Beschäftigte sind betroffen.
Standortverlagerung: „Profitgier und Gewinnmaximierung“
Doch wenn die Auftragsbücher prall gefüllt sind, warum verlagert das Unternehmen seinen Standort von Dresden nach Polen? Aus wirtschaftlicher Sicht steht der Standort laut der Gewerkschaft IG Metall nicht infrage – Aufträge gibt es in der Bahnbranche gerade genug. Laut Geschäftsbericht 2023 verbuchte allein der Standort Dresden drei Millionen Euro Gewinn. „Die Zahlen sind nochmal gestiegen“, sagt eine damit vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden möchte – aus Angst vor einer Kündigung.

Quelle: Knorr-Bremse
Das Unternehmen selbst verweist als Grund für die Verlagerung auf das konzernweite Strategieprogramm BOOST. „Unsere Analyse des Heine Standorts in Dresden hat ergeben, dass wir hier nicht ausreichend kosteneffizient produzieren können“, antwortet das Unternehmen auf eine Presseanfrage der Sächsischen Zeitung. In Polen könne man die Fertigung ähnlicher Produkte zusammenfassen. Das Strategieprogramm Boost soll die Produktion „effizienter“ gestalten. Christian Göbel von der IG Metall Dresden lacht. Der Gewerkschaftssekretär bezeichnet die Standortverlagerung als reine „Profitgier und Gewinnmaximierung.“
Standortverlagerung nach Ostpolen wegen Lohngefälle?
Laut Göbel nennt das Unternehmen als Grund einen Lohnunterschied um 30 Prozent zwischen dem polnischen Standort Rzeszów und Dresden. Die polnische Boomstadt profitiert als logistische Drehscheibe nahe der Ukraine vom Militär. Der Gewerkschaftssekretär kann diese Zahlen nicht nachvollziehen. Zumal ihm zufolge die Personalkosten des Unternehmens nicht einmal zehn Prozent des Umsatzes ausmachen. Knorr-Bremse verweist zudem auf das „herausfordernde Marktumfeld in der Lkws-Sparte“. Logistiker Gola lacht, denn Widerstände für Lkws produziert der Dresdner Standort nicht.
Rekordaufträge, 42-Stunden-Arbeitswoche, Tarifflucht
Auch die Börse Online fragte zuletzt in Bezug auf Knorr-Bremse: „Wie nachhaltig ist das Wachstum, wenn es auf Kosten von Arbeitsplätzen und Standorttreue geht?“ Knorr-Bremse ist laut IG Metall als einziges Großunternehmen in der Metall- und Elektroindustrie im Aktienindex MDAX nicht tarifgebunden. Logistiker Philipp Gola arbeitet 42 Stunden pro Woche – das sei normal bei Knorr-Bremse. „Als Dank dafür soll die Produktion ins Ausland verlagert werden”, sagt Göbel. Er steht vor der weißen Firmenhalle in Dresden-Reick. Presse soll nicht auf das Betriebsgelände.
Der Betriebsrat fürchtet, dass im nächsten Schritt der Rest der Belegschaft gehen muss. Denn nach Plänen von Knorr-Bremse sollen die Bereiche Projektmanagement, Verwaltung, Entwicklung, Einkauf, Vertrieb vorläufig in Dresden bleiben. Rund 25 Beschäftigte würden somit am Standort arbeiten.
Auch Werkstätte für Menschen mit Behinderung in Gefahr
„Das Unternehmen hat auch eine soziale Verantwortung in der Region“, so der Betriebsrat. Durch die Produktionsverlagerung seien 140 Arbeitsplätze in den Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung gefährdet. Diese fertigen und montieren Vorprodukte für das Dresdner Werk „Die Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist ein gemeinnütziges Projekt, welches durch einen Lieferanten betrieben wird. Der zukünftige Betrieb unterliegt dessen Planung“, weist Knorr-Bremse auf Presseanfrage von sich.
Hoffnung durch Zukunftswerkstatt mit Geschäftsleitung
Gibt es noch Hoffnungen? Philipp Gola und andere aus der Belegschaft haben zuletzt gemeinsam mit der Geschäftsleitung von Knorr-Bremse und IG Metall in einer Zukunftswerkstatt Ideen zusammengetragen. Eine Überlegung ist, die Produktpalette zu erweitern. Die Vorschläge werden im Juni vorgelegt. Derweil war CEO Harald Schneider zweimal im Unternehmen. Gefühlskalt, aber mit offenem Ohr habe man ihn erlebt, heißt es aus der Belegschaft.
Das Unternehme begrüßt jede „wirtschaftliche tragfähige Idee, die der langfristigen Sicherung des Standortes dient.“ IG Metall und Betriebsrat haben noch Hoffnung, dass so die Verlagerung abgewimmelt werden kann. Auch einen Streik ziehen sie in Erwägung. Am Standort Berlin hat der Arbeitskampf einmal geklappt. Nun steht dort aber zum zweiten Mal die Schließung vor der Tür.
SZ